# taz.de -- Filmfest Hamburg startet: Gemischt kalkuliert | |
> Das Filmfest Hamburg deckt eine Bandbreite ab, die vom „Großstadtrevier“ | |
> bis zum iranischen Autorenfilm reicht. Ein Profil ist schwer erkennbar. | |
Bild: Auch ein roter Teppich gehört dazu: Das Cinemaxx am Dammtor ist eine Spi… | |
HAMBURG taz | Von einer gewissen Größe an ist es schwer für ein Festival, | |
ein markantes Profil zu entwickeln. Das ist das Dilemma des [1][Filmfests | |
Hamburg], dessen Programm so vielfältig und international ist, dass man | |
kaum von einer erkennbaren Handschrift des Festivalleiters Albert | |
Wiederspiel sprechen kann. | |
Das Filmfest findet vom 26. September bis zum 5. Oktober in den Kinos 3001, | |
Abaton, Metropolis, Passage, Cinemaxx und Studio-Kino statt. Dabei gibt es | |
einzelne Sektionen, die so bedacht konzipiert werden, dass sie bei | |
kleineren Festivals vielbeachtete Schwerpunkte bilden würden. Doch in | |
Hamburg wird halt nicht nur Tilda Swinton mit dem Douglas-Sirk-Preis | |
geehrt, sondern auch das 45. Bühnenjubiläum von Jan Fedder mit seiner | |
ersten und seiner letzten Folge von „Großstadtrevier“ gefeiert. Ein in | |
Ruanda produzierter Spielfilm über den Genozid von 1994 hat im Programm | |
genauso seinen Platz wie ein vom NDR produzierter Fernsehfilm mit dem Titel | |
„Alfred Brehm – Die Gefühle der Tiere“. | |
Das Filmfest Hamburg ist ein Publikumsfestival, bei dem über 40.000 | |
Zuschauer erwartet werden. Es fällt auf, dass vergleichsweise wenig Filme | |
aus den USA gezeigt werden. Bei der Übermacht von Hollywood im | |
Unterhaltungskino mag das ein kulturpolitisches Statement von | |
Festivalleiter Wiederspiel sein, aber es ist auch bekannt, dass seine | |
Vorliebe dem französischen Kino gilt. So gibt es auch in diesem Jahr wieder | |
die Sektion „Voilà“ mit 13 Filmen aus französischsprachigen Ländern. Dab… | |
zeigt sich, wie produktiv die frankokanadische Szene ist, von der gleich | |
fünf neue Filme gezeigt werden. | |
In der Sektion „Drei Farben Grün“ werden Dokumentationen über Umweltthemen | |
und politische Missstände gezeigt. Hier wird das Filmfest dem Anspruch | |
jedes guten Filmfestivals gerecht, tiefer gehende Blicke auf die Welt zu | |
ermöglichen. So wird etwa in „Beyond the Wave“ aus Japan aus einer sehr | |
persönlichen Perspektive von der Atomkatastrophe in Fukushima erzählt. Die | |
Regisseurin Kyoko Miyake hat ihre Kindheit in einer Kleinstadt bei | |
Fukushima verbracht, die jetzt zum radioaktiven Sperrgebiet gehört. Sie | |
fährt mit ihrer Tante in die Geisterstadt und sieht dort die Trümmer ihres | |
Lebens. | |
## Die Stadt der Zukunft | |
In „Blackfish“ wird am Beispiel eines Orca-Wals gezeigt, wie die Tiere in | |
den Tiershows von Freizeitparks abgerichtet werden und wie wenig dabei für | |
artgerechte Haltung gesorgt wird. Und in dem dänischen Dokumentarfilm „The | |
Human Scale“ untersucht Andreas M. Dalsgaard, wie durch Architektur und | |
Stadtplanung ein humaneres und ökologischeres Leben in den Städten der | |
Zukunft ermöglicht werden könnte. | |
Ähnlich politisch ausgerichtet ist der Schwerpunkt des Festivals „Exil“. | |
Sechs Filme im Programm erzählen vom Verlust der Heimat und der Suche nach | |
der eigenen Identität in der Fremde. So hat etwa die türkische Regisseurin | |
Lusin Dink in ihrer Dokumentation „Saroyan Land“ die Geschichte des | |
armenischen Schriftstellers William Sayoran recherchiert, der 1964 in jene | |
türkische Stadt reiste, aus der seine Eltern vertrieben wurden. Der | |
koreanische Regisseur Jero Yun sucht in „Looking for North Koreans“ nach | |
nordkoreanischen Flüchtlingen, die in Südkorea und China ein verborgenes | |
und oft armseliges Leben führen. | |
## Heftige Wechselwirkungen | |
Der Film ist eine montierte Kunstform, die aus Elementen aller anderen | |
Künste besteht. In der originellsten Sektion des Festivals konzentriert | |
sich Wiederspiel auf diese synthetischen Qualitäten des Films. Seit 2010 | |
hat er zuerst in der Sektion „Kunst!“, dann in den Sektionen „Musik!“ u… | |
„Tanz!“ solche Wechselwirkungen gezeigt Diesmal geht es in der Sektion | |
„Wort!“ um Unschärfen zwischen Film und Literatur. | |
Der ungarische Film „Das große Heft“ deutet schon im Titel auf die | |
Bedeutung des geschriebenen Wortes hin. Zudem ist er die Adaption eines | |
Erfolgsromans von Ágota Kristóf. Darin wird von neunjährigen | |
Zwillingsbrüdern erzählt, die während des Zweiten Weltkrieges bei ihrer | |
bösartigen Großmutter aufwachsen und ihre Erfahrungen vom Hungern, Frieren | |
und Töten in einem Heft notieren. | |
## Das Wort als Waffe | |
Mit „Manuscripts Don’t Burn“ hat der iranische Filmemacher Mohammad | |
Rasoulof einen Film gegen das in seiner Heimat herrschende System gemacht, | |
in dem von Folter, Einschüchterung und Überwachung erzählt wird, aber auch | |
davon, was für eine effektive Waffe das geschriebene Wort dagegen sein | |
kann. | |
Dem Iran ist in diesem Jahr der Länderschwerpunkt gewidmet, der in Hamburg | |
die Stelle der sonst bei Festivals üblichen Retrospektive einnimmt. Der in | |
seiner Heimat mit Berufsverbot belegt und mit Haft bedrohte Filmemacher | |
Jafar Panahi hat die Reihe von zehn iranischen Filmen aus fünf Jahrzehnten | |
kuratiert. Dabei überrascht, wie groß der Einfluss des italienischen | |
Neorealismus auf die iranischen Filmemacher war. So kann man „The Cow“ aus | |
dem Jahr 1969, der als einer der wichtigsten iranischen Film gilt, als eine | |
Hommage an Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ begreifen. | |
## Mischkalkulation als Methode | |
Die Publikumserfolge aus europäischen Ländern werden in der Sektion | |
„Eurovisuell“ gezeigt, in der Sektion „Nordlichter“ werden Produktionen… | |
der Region vorgestellt und in der Reihe „16:9“ kommen Filme auf eine große | |
Leinwand, die für das öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert wurden. | |
Mischkalkulation nennt man so eine Taktik, bei der das Populäre geboten und | |
dadurch auch Raum für die Filmkunst geschaffen wird. | |
Wie reichhaltig aber eben auch unübersichtlich das Programm ist, erkennt | |
man daran, dass beim Durchblättern des Katalogs leicht übersehen werden | |
kann, dass auch die neuen Filme von Roman Polanski, Atom Egoyan und den | |
Coen-Brüdern gezeigt werden. Man muss halt nicht nur im Kino, sondern auch | |
schon vorher genau hinsehen. | |
Filmfest Hamburg: 26. September bis 5. Oktober | |
26 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.filmfesthamburg.de/de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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