# taz.de -- Mindestlohn in Europa: Deutschland gehen die Ausreden aus | |
> Europäische Arbeitnehmervertreter kritisieren auf einer Expertenkonferenz | |
> in Berlin ihr Unverständnis über eine fehlende Lohnuntergrenze in | |
> Deutschland. | |
Bild: Hochburg der Billiglöhne: die deutsche Fleischindustrie. | |
BERLIN taz | Die Grafik mit den Mindestlöhnen in Europa ist schon | |
deprimierend. Gut, Luxemburg ganz oben mit 11,10 Euro brutto die Stunde mag | |
ja noch als Ausreißer durchgehen. Aber Frankreich, mit inzwischen 9,43 | |
Euro? Die Niederlande mit 9,07 Euro, Irland mit 8,65 Euro? Denn in | |
Deutschland: nichts, keine nationale Lohnuntergrenze, nirgends. | |
„Deutschland gibt ein schlechtes Beispiel“, sagt John Douglas, Präsident | |
des Irish Congress of Trade Unions. | |
Internationale Experten diskutierten am Montag auf einer Tagung der | |
Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin das Thema Mindestlohn. Die Debatte um | |
eine nationale Lohnuntergrenze spielt derzeit auch in den | |
Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD eine entscheidende Rolle. | |
Die europäischen Arbeitnehmervertreter finden es fast schon skandalös, dass | |
das wirtschaftlich stärkste Land in der EU bisher keinen einheitlichen | |
Mindestlohn zustande gebracht hat. „Deutschland hat eine politische | |
Verantwortung, endlich einen Mindestlohn einzuführen“, meint Jérome Gautié, | |
Direktor des arbeits- und sozialwissenschaftlichen Instituts an der | |
Sorbonne-Universität in Paris. | |
Auf der Tagung zeigte sich: Die Zeit der Ausreden für Deutschland geht zu | |
Ende. Das betrifft zum Beispiel das oft von den Arbeitgebervertretern | |
vorgebrachte Argument, Deutschland brauche keinen gesetzlichen Mindestlohn, | |
weil die Tarifbindungen stark seien. | |
Das klinge gut, es stimme aber nur leider nicht, wie Thorsten Schulten vom | |
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der | |
Hans-Böckler-Stiftung erklärte. So unterlägen in Deutschland nur noch 58 | |
Prozent der Beschäftigten einer Tarifbindung. In den skandinavischen | |
Ländern hingegen, die auch keinen nationalen Mindestlohn haben, würden für | |
85 bis 91 Prozent der Arbeitnehmer Tarifverträge gelten. | |
## Deutschland betreibe „Social Dumping“ | |
Dass Deutschland sich mit der Abwesenheit eines Mindestlohns einen | |
Wettbewerbsvorteil verschafft, fällt dabei auch den europäischen Nachbarn | |
unangenehm auf. Deutschland betreibe etwa in der Fleischindustrie mit den | |
Billiglöhnen der Werkvertragsarbeitnehmer „Social Dumping“ gegenüber der | |
Konkurrenz in den Nachbarländern, sagte Gautié. | |
Vernichtet ein Mindestlohn Arbeitsplätze? Nein, sagte Gewerkschafter | |
Douglas aus Irland. Das hätten Studien nach der Einführung des | |
Mindestlohnes in Irland klar ergeben. In Frankreich wird mitunter | |
behauptet, der hohe Mindestlohn sei mit schuld an den Ausschreitungen in | |
den Banlieues, den Pariser Vororten. | |
Gautié hielt dem entgegen, bei der Jobsuche der jungen Leute spielten auch | |
Faktoren wie die Qualifizierung, Diskriminierung und regionale Unterschiede | |
zwischen Jobsuche und Stellenangebot eine Rolle. Leider gebe es in | |
Frankreich kaum Studien zu den Auswirkungen des Mindestlohnes auf die | |
Stellensituation. | |
## Niedriglöhne werden nicht verhindert | |
Auf der Expertentagung am Montag wurde allerdings auch klar, dass eine | |
nationale Lohnuntergrenze keine sogenannten „Niedriglöhne“ verhindert. | |
Nur in Frankreich liegt die Höhe des Mindestlohnes bei 60 Prozent des | |
mittleren Einkommens und kommt damit fast an die Niedriglohnschwelle heran, | |
die statistisch bei etwa zwei Dritteln des mittleren Verdienstes verortet | |
wird. | |
In Großbritannien etwa liegt der Mindestlohn bei nur noch 47 Prozent des | |
mittleren Einkommens und damit deutlich im Niedriglohnbereich. | |
8 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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