| # taz.de -- Neue Deutsche Musik: Hallo, wie geht’s? | |
| > Die Compilations „New German Ethnic Music“ und „Songs of Gastarbeiter“ | |
| > widmen sich Folk-Traditionen, die Migranten nach Deutschland mitgebracht | |
| > haben. | |
| Bild: „Kein schöner Land“ neu interpretiert | |
| „Ich ging durch die Gassen mit meiner lustigen Gefolgschaft /Von oben herab | |
| bewarf man mich mit grünen Blüten / Mit grünen Blüten, mein lieber Schatz.�… | |
| Oder auch: „Ein Garten voller Liebe / Ein Garten voller Brot / Ein Garten | |
| voller Blumen / Ein Garten voller Glück.“ Harmonischer kann es kaum | |
| klingen, der Duft von Laub und frisch gemähtem Rasen schleicht imaginär in | |
| die verstopften Nasenflügel. So klingt es, wenn der Chor Klapa-Berlin den | |
| Song „Projden Kroz Pasike“ intoniert – und wenn die Musikerin Gudrun Gut | |
| einen „Garten“ besingt. Doch was hat das eine mit dem anderen zu tun? | |
| Das Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“, initiiert von dem Labelmanager | |
| Jochen Kühling und dem ehemaligen Spex-Redakteur und Migrationsforscher | |
| Mark Terkessidis, ist zweiteilig: Teil eins widmet sich Chören, Bands und | |
| Musikern – die in Berlin ansässig sind – aus Ländern wie Vietnam, Kuba od… | |
| Griechenland. Das Resultat: 140 Musikkünstler und 13 Chöre aus zwölf | |
| Ländern traten kürzlich bei einem Heimatabend in der Komischen Oper in | |
| Berlin auf und sangen Lieder aus ihrem jeweiligen Heimatland. | |
| Der zweite Teil des Projekts umfasst eine Bearbeitung der dort | |
| vorgetragenen Heimatlieder. Dazu haben 13 Elektronikproduzenten, darunter | |
| etwa Mark Ernestus, Margaret Dygas und Ulrich Schnauss, das vorhandene | |
| Songmaterial der Chöre und Bands bearbeitet und neu interpretiert. Womit | |
| auch der Zusammenhang zwischen dem kroatischen Chor Klapa-Berlin und der | |
| Musikerin Gudrun Gut erklärt wäre. Die Berliner Künstlerin hat aus der | |
| puristischen polyphonen A-capella-Musik des kroatischen Chors einen | |
| „Blütenmix“ geschaffen, der den Text durch Instrumente und Klangprofile | |
| ergänzt und somit in einen ganz anderen, viel blumigeren Rahmen stülpt. | |
| Gut hat sich unter anderem aufgrund eines Erlebnisses für das Projekt | |
| begeistert: „Ich war längere Zeit in Kanada, in einem Einkaufszentrum stand | |
| ein älterer Mann, der alpenländische Volksmusik spielte – es war Folkmusik, | |
| kein Schlager, und es klang wunderbar. Oftmals werden alte Musiktraditionen | |
| in einem fremden Land wichtiger und können sich fern der Heimat besser | |
| erhalten. Mich hatte das sehr gerührt und auch verwundert, da ich solch | |
| traditionelle Musik in Deutschland nicht mehr zu hören bekomme und auch | |
| nicht wusste, dass sie schön sein kann.“ | |
| ## Traditionelle Wurzeln neu ernten | |
| Die marokkanische Band La Caravane du Maghreb vereint den Sound des Gnawa – | |
| der für spirituelle und religiöse Rhythmen steht – mit andalusischer | |
| Kadenz. Eine sowieso schon spannende Mischung – bei der Neuinterpretation | |
| ihres Songs „Saadi Belouali Jani“ schafft es der Berliner Musiker Thomas | |
| Mahmoud eine Stimmung zu erzeugen, die nicht an Nordafrika oder Spanien, | |
| sondern an typische Berliner Open-Air-Sommerabende erinnert: schlingernde | |
| Klänge, melodiöser Gesang, der nicht aufdringlich ist, gemischt mit einer | |
| Prise Dub. | |
| Nach Rum riecht hingegen „La Ma’ Teodora“ von Felo Martinez, Ricardo More… | |
| und Pedro Abreu. Der kubanische Son, eine Mixtur aus Fröhlichkeit und | |
| Melancholie, bekommt von dem in Berlin lebenden US-Houseproduzenten Eric D. | |
| Clark eine satte Portion Disco verpasst und zwar so fancy, dass es eine | |
| Freude auch für kubanische Füße sein dürfte. | |
| Für den größten Wiedererkennungswert sorgt der Technoproduzent Murat Tepeli | |
| mit seiner Version von „Adalardan bir yar gelir bizlere“, ein türkisches | |
| Liebeslied, im Original von dem BTMK-Ensemble und Chor im Stil türkischer | |
| Kunstmusik vorgetragen. Die Hingabe eines Mannes, der seine Geliebte | |
| besingt, bekommt in der elektronischen Bearbeitung von Tepeli eine | |
| wahrhaftige Tragik zugeschrieben, die noch tiefer ins Herz geht als das | |
| Original. | |
| Am meisten experimentiert wurde bei der Interpretation des vietnamesischen | |
| Quan-ho-Stücks „Ba Quan Moi Trau“. Merkmal und Markenzeichen von Quan-ho | |
| ist, dass Frauen und Männer im Wechsel miteinander singen, stets in | |
| derselben Melodie. Die venezolanisch-deutsche Künstlerin Niobe (alias | |
| Yvonne Cornelius) möchte daraus „etwas Wildes erarbeiten. Also nahm ich | |
| dieses wunderschöne Stück auseinander und baute es mit seinen eigenen | |
| Materialien neu.“ Weswegen nun die Melodien nicht mehr auf einer Frequenz | |
| liegen, die Frauen und Männer nicht mehr im Wechsel, sondern miteinander | |
| singen. Toll! Niobe bestätigt das Hörgefühl: „Mein Remix ist eine | |
| Weiterführung der Geschichte. Die kraftvollen Farben des dazugehörigen | |
| Videos halfen mir, dem ganzen Schwung zu geben. Die sympathischen hübschen | |
| Damen und der sehr nette Herr in dem wunderschönem Garten.“ | |
| Und das ist es: Naturliebe. So wie die Großstädter das Gärtnern für sich | |
| wiederentdecken, hat es auch dieser Sampler geschafft, traditionelle | |
| Wurzeln neu zu ernten. Etwas Schöneres, als mit beiden Hände tief in die | |
| Erde zu graben, gibt es nun mal nicht. | |
| ## Poetische Arbeiterlieder nach Karl Marxs Geschmack | |
| Etwas weniger blumig, dafür anekdotischer geht es bei der Kopplung „Songs | |
| of Gastarbeiter Volume 1“ zu. Die beiden türkisch-deutschen Künstler Imran | |
| Ayata und Bülent Kullukcu (Berlin bzw. München) haben sich mit der jüngeren | |
| Geschichte von türkischen Gastarbeitern in Deutschland auseinandergesetzt. | |
| Die Geschichte einer Einwandergeneration, die aus den Gedächtnissen | |
| schwindet und hauptsächlich Klischees hinterlassen hat. Etwa die für Rauch | |
| in den Parks sorgenden Familien oder die melancholisch dreinblickenden, | |
| rauchenden Teeherren. Die beiden Kuratoren betrachten ihre Compilation als | |
| eine „Respektnote“ an eine Musikkultur, von der es kaum hochwertige | |
| Aufnahmen gibt. Die meisten Songs entstanden in Wohnzimmern oder | |
| Wohnheimen. | |
| Wichtig ist den beiden Künstlern, dass bei dem Projekt der Begriff | |
| „Gastarbeiter“ nicht mit einer negativen Konnotation behaftet wird: „Wir | |
| sprechen von Gastarbeitern, weil wir das Damals ins Heute holen wollen.“ So | |
| besteht die Zusammenstellung aus Songs, die hauptsächlich Themen wie | |
| Trennung und Sehnsucht behandeln, weswegen die Stücke – im Gegensatz zu | |
| „New German Ethnic Music“ – im Original bleiben und ein Gefühl für die … | |
| ihrer Entstehung mit all ihren Erfahrungen entstehen lassen. | |
| So klingt „Deutsche Freunde“ von Ozan Ata Canani nach hippiesken | |
| Elektrosaz-Folk, zudem ist der Akzent Cananis, der auf Deutsch singt, | |
| höchst entzückend. | |
| Als Meilenstein gilt Cem Karaca mit seiner Band Die Kanaken, die mit „Es | |
| kamen Menschen an“ vertreten sind. Die Kanaken waren die erste türkische | |
| Band, die auf einem deutschen Plattenlabel ein Album veröffentlicht hat. | |
| Das DKP-eigene Label pläne aus Dortmund hatte sich in den Siebzigern auf | |
| linksorientierte politische Lieder und Weltmusik spezialisiert. | |
| Neben dem Max-Frisch-Zitat „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen | |
| an“ ist das Stück ein Mix aus Schlager, Rock und balkanischen Beats. Weiter | |
| heißt es: „Die Menschen waren nicht interessant / Deswegen blieben wir euch | |
| uninteressant.“ Ein schön poetisches Arbeiterlied, welches Karl Marx sicher | |
| gefallen hätte. | |
| Mit der Bourgeoisie lässt sich der Protagonist aus Asik Metin Türköz | |
| „Merhaba Dayi – Wie geht’s?“ vergleichen. Dieser ist zum Urlauben in se… | |
| Heimatland Türkei, trägt schicke Kleidung und reagiert nicht mehr auf ein | |
| türkisches Hallo – Merhaba Dayi. Türköz kontert in wirklich schnellstem | |
| Sprechgesang, unterlegt mit noch schnellerer gespielter Saz ein deutsches | |
| „Wie geht’s?“. | |
| Ganz ohne Remixe will diese Compilation aber auch nicht auskommen, Ayata | |
| und Kullukcu, die als AYKU „kommentiertes Auflegen“ betreiben, sind mit | |
| zwei Remixen vertreten – und lassen dabei Sarkasmus auftanzen, was dem | |
| Projekt gut tut. So heißt es beim Bonustrack „Willkommen“ zum Beispiel: | |
| „Komm Türke / Trinke deutsches Bier / Dann bist du auch willkommen hier / | |
| Mit Prost wird Allah abserviert / Und du bist ein Stückchen integriert.“ | |
| Ein „Gastarbeiter-Rave“, der auch sehr gut auf die Compilation „New German | |
| Ethnic Music“ gepasst hätte. Allerdings ist die Auswahl bei „Songs of | |
| Gastarbeiter“ etwas einseitiger, der Titel lässt Songs aus anderen | |
| „Gastarbeiterländern“ als der Türkei vermissen. Das Booklet hingegen hilf… | |
| die Texte unabhängig vom Klang zu verstehen und auf sich einwirken zu | |
| lassen. Ein Anfang ist gemacht. Dennoch schafft die Compilation „New German | |
| Ethnic Music“ für interessierte Ohren einen besseren Zugang zu | |
| verschiedenen Spielarten traditioneller Musik. | |
| ## ■ Various Artists: „New German Ethnic Music – Immigrant’s Songs from | |
| Germany“ (Karaoke Kalk/Morr Musik/Indigo). Live: am 24. November, Berlin, | |
| HAU | |
| ## ■ Various Artists: „Songs of Gastarbeiter“ (Trikont/Indigo) | |
| 8 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Du Pham | |
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