| # taz.de -- Initiative fordert Radio-Quote: Deutsches Liedgut first | |
| > „Deutsche Künstlermanager“ fordern eine „Radio-Quote für heimische | |
| > Künstler“. Was bringt das? Wohl eher den musikalischen Dexit als mehr | |
| > Vielfalt. | |
| Bild: Eine größere musikalische Vielfalt würde vielen Radioprogrammen in Deu… | |
| Der Konzertbetrieb ruht. Musiker:innen verdienen kein Geld mehr, von | |
| heute auf morgen. Die Krise macht kreativ: Home Discos, Watch Parties, | |
| Balkonkonzerte, Skype-ins. Tag für Tag denken sich [1][Menschen neue | |
| mediale Formate aus], die wenigsten sind mehr als Trost-Prokrastination und | |
| Timeline-Bespielung. Der andere Weg, auf Geld vom Staat zu hoffen, ist ein | |
| steiniger. Server stehen still, Warteschleifen schleifen. | |
| In dieser miserablen Lage ist jedes Mittel recht, und so spielt eine | |
| aktuelle Initiative namens „Deutsche Künstlermanager“ die nationale Karte. | |
| In einem von einigen Dutzend mehr oder eher weniger bekannten | |
| Musiker:innen unterzeichneten Aufruf wird eine „Radio-Quote für | |
| heimische Künstler“ gefordert. | |
| Die Begründung liefert Eric M. Landmann, Manager der Beatsteaks: „Es wird | |
| eine Zeit nach Corona geben! Wir haben eine vielfältige, lebendige | |
| Musikszene mit jungen, hoffnungsvollen, talentierten Künstlerinnen, | |
| Newcomern und etablierten Acts. Wenn wir diese Vielfalt erhalten wollen, | |
| benötigen wir nun eure Solidarität und die Unterstützung der Sender.“ | |
| Eine größere musikalische Vielfalt würde vielen Radioprogrammen in | |
| Deutschland guttun. Aber wie soll das gehen? Kulturelle Vielfalt durch | |
| nationale Einfalt? Heimische Künstler gegen Ausländermusik? Germany first! | |
| Pardon: Deutschland zuerst? | |
| ## Frankreich und Österreich machen es vor | |
| Was die „Deutschen Künstlermanager“ da fordern, läuft nicht auf mehr | |
| Vielfalt hinaus, sondern auf den musikalischen Dexit: Künstler:innen mit | |
| Wohnsitz in Deutschland sollen mindestens 50 Prozent der Spielzeit im Radio | |
| erhalten. Zudem fordern sie eine täglichen Sendung von 15 bis 20 Uhr mit | |
| Musik aus Deutschland. Der Ruf nach der Deutschquote im Radio ist ja nicht | |
| neu. Alle paar Jahre wollen Nationallobbyisten mit heimischem Liedgut die | |
| deutsche Identität stärken und verkaufen das als Akt des Widerstands gegen | |
| die fortwährende Sound-Invasion des Kulturimperialismus angloamerikanischer | |
| Prägung. | |
| In europäischen Nachbarländern gilt eine vergleichbare Quote schon länger. | |
| In Frankreich wurde schon 1994 eine Quote für nationale Musikstücke im | |
| Radio eingeführt, in Österreich hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk | |
| zu einer Selbstregulierung verpflichtet. Nun also auch bald der Rundfunk in | |
| Deutschland? | |
| „Von Nord bis Süd, von Ost bis West“ solle die Solidarität reichen, so die | |
| „Deutschen Künstlermanager“ in ihrem Manifest, also quasi von der Maas bis | |
| an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Aber, im Gegensatz zu ihren | |
| Quotenvorkämpfern, haben die „Deutschen Künstlermanager“ diesmal einen | |
| mächtigen Verbündeten: Corona. | |
| Die Forderung der deutschen Künstlerlobby macht sich alte Ängste und | |
| Reflexe zunutze. Wir kennen sie aus der Politik. Auf die ökonomische | |
| Globalisierung wird reagiert mit einer kulturellen Renationalisierung, die | |
| schon mal in Reprovinzialisierung ausarten kann. Je globaler die Ökonomie, | |
| je reibungsloser und schneller der Transfer von Waren und Daten, desto | |
| nationaler, regionaler und provinzieller die Musik. In unsicheren Zeiten | |
| suchen die Verunsicherten Zuflucht auf der Scholle. | |
| ## Von den Killerpilzen bis Kaff König | |
| Und wer sind eigentlich diese ominösen „heimischen Künstler“? Auf der Lis… | |
| der Unterstützenden finden sich Bands wie Killerpilze, Selig, The Boss | |
| Hoss. Aber auch solche, die schon vom Namen her voll die kulturelle | |
| Vielfalt versprechen: Kaff König! Brunhilde! Kaiser Franz Josef! Hier | |
| fragt der Redakteur: Ist das ein Aprilscherz? | |
| Interessant auch die Lücken auf der Liste der „heimischen Künstler“. Wo | |
| sind die Expats? Entschuldigung, wir sollen ja deutsch sprechen, also: Wo | |
| sind die vielen Musiker*innen, die seit Jahrzehnten aus aller Welt nach | |
| Berlin ziehen, genau wegen der kulturellen Vielfalt? Wo sind die | |
| Künstler*innen aus dem migrantisch bis postmigrantisch geprägten HipHop? | |
| Ist es Zufall, [2][dass keine Haiyti], keine Christiane Rösinger auf der | |
| Liste steht, keine Tocotronic und keine Goldenen Zitronen, keine Acts, die | |
| sich zweifelnd mit nationaler Identität und deutscher Geschichte befassen? | |
| Apropos Geschichte: Es war die angloamerikanische Popmusik, die maßgeblich | |
| zur Entnazifizierung der Deutschen beigetragen hat. Es war die sogenannte | |
| „N****musik“, also Jazz und Blues, die dem deutschen Soldatenkörper den | |
| Drill abtrainiert hat. Diese hoch ansteckende Musik wurde übertragen von | |
| British Forces Broadcasting Service und dem American Forces Network. Danke | |
| dafür, liebe Besatzerradios! | |
| Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand, | |
| dass die Band Beatsteaks die Quote unterstützen würde. Diese Information | |
| war der Pressemitteilung einer Agentur zur genannten Initative entnommen. | |
| Nachdem die Beatsteaks auf Facebook mitgeteilt haben, dass sie die Quote | |
| nicht unterstützen, haben wir das korrigiert. | |
| 1 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Walter | |
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