# taz.de -- Zum Welttag des Radios: Radio Ga Ga | |
> Für den 13. Februar hat die Unesco den Welttag des Radios ausgerufen. Die | |
> taz macht mit und hört Radio – und erzählt Radiogeschichte(n). | |
Bild: Ausgedient: Alte Radios warten auf Kundschaft | |
Strahlt Ihr Lieblingssender gerade auch alle paar Stunden die | |
Werbebotschaft aus, sich ja bloß an der nächsten Telefonbefragung zur | |
Reichweite der Radiosender zu beteiligen? Bei meinem Sender [1][Flux FM] | |
zum Beispiel, dem Berliner Alternativradio schlechthin, läuft das rauf und | |
runter: Mal mehr, mal weniger bekannte MusikerInnen oder andere prominente | |
Menschen erzählen im Plauderton, dass sie meinen Sender extrem gern hören. | |
Und wem das genauso geht, solle doch bitte mitmachen, wenn ein | |
Meinungsforschungsteam demnächst anruft und wissen will, welchen | |
Radiosender man wie oft hört. | |
Für private Stationen ist die Reichweite eine existenzielle Kenngröße, | |
hängen davon doch die Preise für Werbespots ab. Für öffentlich-rechtliche | |
Sender ist das natürlich auch wichtig, aber die verfügen ja noch über | |
Mittel aus den Rundfunkgebühren. Und die Zahlen sagen natürlich zudem etwas | |
darüber aus, wie gut ein Programm bei der Hörerschaft ankommt. | |
Zweimal im Jahr ermittelt die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse – ein | |
Zusammenschluss aus Medien- und Werbewirtschaft – die Reichweiten der | |
Sender in der gesamten Bundesrepublik. Die letzten Zahlen vom Juli des | |
vergangenen Jahres ergaben, dass im Raum Berlin-Brandenburg der private | |
Berliner Rundfunk 91,4 die Nase vorn hatte. | |
Was bedeutet das? Dass werktags tagsüber im Schnitt jede Stunde immerhin | |
rund 141.000 HörerInnen diesen Sender einschalteten. Schon die Erhebung | |
zuvor im März 2019 sah den Sender vorn. | |
## Repräsentative Untersuchung | |
Auf Platz zwei kam im Juli 2019 der RBB-Sender Antenne Brandenburg mit im | |
Schnitt 136.000, die Station 104,6 RTL folgte auf Platz drei mit 129.000 | |
HörerInnen. Die beliebte RBB-Welle [2][Radio Eins] verbuchte rund 99.000 | |
HörerInnen. Nur mal so zum Vergleich: Die täglich verkaufte Auflage der | |
Berliner Zeitung zum Beispiel beträgt laut Erhebung Ende vergangenen Jahres | |
83.690 Exemplare. | |
Für die repräsentative Untersuchung werden jeweils rund 70.000 Menschen ab | |
14 Jahren nach ihren Lieblingssendern gefragt. Das wirft die Frage auf, | |
warum nicht auch 12-Jährige oder Jüngere nach ihrem Radiokonsum befragt | |
werden. Hören die überhaupt noch Radio? Und vor allem: wie? Denn die | |
Verbreitungswege sind heute doch höchst unterschiedlich: UKW ist nach wie | |
vor sehr gefragt, und es gibt ja mit Digitalradio und Internetradio und den | |
irre vielen Podcasts von sonst welchen Anbietern, aber eben auch den | |
klassischen Radios, unendlich viele Möglichkeiten. | |
Das Digitalradio DABplus ist in Deutschland jedoch nur langsam auf dem | |
Vormarsch. Man muss sich halt dafür ein neues Radio kaufen. Aber immerhin: | |
Wie in einem im September 2019 von den Landesmedienanstalten | |
veröffentlichten Digitalisierungsbericht Audio hervorgeht, gibt es in knapp | |
23 Prozent der Haushalte ein Radio, mit dem DABplus empfangen werden kann – | |
34 Prozent mehr als im Vorjahr. Digitalradio heißt vor allem: Man kann viel | |
mehr Sender als über UKW ausstrahlen. | |
Anderswo ist man da weiter: Norwegen hat 2017 als erstes europäisches Land | |
die UKW-Verbreitung eingestellt. Das Szenario ist für Deutschland bislang | |
nicht realistisch. UKW und Digitalradio existieren nebeneinander her. Und | |
beschert gerade den Berlinern eine riesige Palette von | |
öffentlich-rechtlichen sowie privaten, von lokalen bis deutschlandweiten | |
Sendern. Einfach mal reinhören, heute vielleicht, am von der Unesco | |
ausgerufen Welttag des Radios. | |
## Radio-Geschichte 1: Lieb gewonnene Grundversorgung | |
Klinsmann sofort weg, SPD-Landeschef Müller bald, CDU-Chefin AKK will | |
gleichfalls nicht mehr, und auch Reinhard Marx mag nicht länger | |
katholischer Chefbischof sein. In einer Zeit, in der schier kein Stein mehr | |
auf dem anderen bleibt, ist es tröstlich – jedenfalls für konservativ, also | |
bewahrend angehauchte Naturen –, wenn es zumindest eine Ausnahme gibt: die | |
Fußball-Bundesliga-Berichterstattung im Radio. Egal ob Rechts- oder | |
Linksruck, Digitalisierungs- oder Jugendwahn, egal ob beim Aufräumen, | |
Backen oder Fahrradputzen: Samstags um 15.30 Uhr gibt es seit Jahrzehnten | |
Fußball live aufs Ohr, öffentlich-rechtlich, ohne jede Zuzahlung oder | |
Verträge mit Sendern mit unaussprechlich anmutenden Namen. | |
Zu Jugend- und Studienzeiten lieferte das der WDR, in Berlin bringt | |
Info-Radio vom RBB in Echtzeit auf UKW 93,1 eindreiviertel Stunden lang | |
Flanken, Torschüsse, Siegesjubel, Enttäuschung, mit schneller Schaltung von | |
einem Spiel zum nächsten, Woche für Woche von August bis Mai oder Juni, im | |
Kern so wie seit Ewigkeiten. | |
Es sind vor allem diese Reporterstimmen aus den Stadien, die für Konstanz | |
bürgen – weil es eben teilweise auch seit Jahrzehnten dieselben sind. | |
Karlheinz Kas, stark bayerisch gefärbt, vorzugsweise in süddeutschen | |
Stadien eingesetzt, Sabine Töpperwien im WDR-Sendegebiet, voller Dramatik | |
und Timbre in der Stimme, gar nicht zu reden früher von Manni Breuckmann, | |
der nach seinem Jurastudium lieber Fußballreporter als Richter wurde, oder | |
Günther Koch. Als ob einem jeden Samstag die gleichen Kumpels das Spiel | |
erzählen. | |
Doch leider droht Veränderung: Von einstmals neun Partien, die zeitgleich | |
samstags um halb vier begannen, finden inzwischen nur noch fünf zu dieser | |
Zeit statt – die Bundesliga-Macher versprechen sich von einer Verteilung | |
der Spiele über vier Tage mehr Einnahmen. Fünf parallele Spiele aber sind | |
das absolute Minimum, um den großen Dramafaktor von Stadionschalte, | |
Halbzeit- und Schlusskonferenzen aufrechtzuhalten. Kein Fußballradio mehr? | |
Unvorstellbar – dann kann lieber noch jemand anders zurücktreten, bevor | |
auch das noch wegfällt. Stefan Alberti | |
## Radio-Geschichte 2: Eine Art UKW-Erweckungserlebnis | |
Als ich mit der Schule fertig war, ging ich in die Lokalredaktion des | |
Westfalen-Blattes. Ich wurde ins Kabuff neben den Sportredakteur gesetzt, | |
der hörte den ganzen Tag den Lokalrundfunk. Der Sound meines ersten | |
Praktikums war ein endloser Strom aus intelligenzverachtenden | |
Gewinnspielen, schlechter Musik und Staumeldungen. | |
Das Gute an dieser Art Radio ist, dass man es irgendwann nicht mehr hört. | |
Es ist eher so ein Grunddudeln, und nur wenn der Verkehrsfunk sich | |
automatisch lauter stellt, schreckt man kurz hoch. | |
Das Schlechte ist, dass man vielerorts auch nichts anderes zu hören bekommt | |
(okay, Deutschlandfunk Kultur, aber manchmal will man sich ja auch einfach | |
mal entspannen). | |
Insofern war Berlin eine Art UKW-Erweckungserlebnis für mich. Ich stand in | |
meiner ersten WG-Küche, hörte Radio Eins vom RBB und fühlte mich beim | |
Brötchenschmieren – wahrscheinlich von Robert Skuppins und Volker | |
Wieprechts „Morning Show“, ich weiß es nicht mehr genau – mehr als passa… | |
unterhalten. | |
Ich hatte einfach nicht gewusst, dass Moderatoren länger als zwei Sätze am | |
Stück reden dürfen, dass sie dabei ein Thema haben dürfen, hatte ich auch | |
nicht gewusst. Es gab sogar Musik, die ich selbst auch auf CD hatte. | |
Wahnsinn. | |
Am Donnerstagmorgen höre ich die Filmempfehlungen von Knut Elstermann, | |
freitagmorgens das neue „Geräusch der Woche“, freitagabends vermisse ich | |
das leider eingestellte radioZwei von Thomas Wosch und Martin Gottschild. | |
Radio Eins war meine erste Radio-Liebe und ist es geblieben. Manchmal | |
vergesse ich das. Wenn ich dann über Land fahre und das Autoradio | |
einschalte, erinnere ich mich wieder. Anna Klöpper | |
## Radio-Geschichte 3: Hauptsache, Klicks und Content | |
Es lebe das kuratierte Radioprogramm. Selbst der deutsche Podcast-Boom nahm | |
seinen Anfang beim Berliner Radiosender Radio Eins.Mit ewig langen | |
Word-Takes, eigenwilliger Musikauswahl und deutlich zu vielen Pimmelwitzen | |
hoben Olli Schulz und Jan Böhmermann den Laberpodcast auf ein neues Level: | |
Die Sendung „Sanft und Sorgfältig“, die auch als jederzeit herunterladbarer | |
Podcast zur Verfügung stand, erhöhte die Reichweite von Radio Eins und | |
schuf hierzulande überhaupt erst ein größeres Bewusstsein für das neue | |
Audiomedium Podcast – was im Prinzip ja nichts anderes als eine tragbare | |
Radio-Mediathek mit beliebig vielen Sendern ist. Das Konzept – zwei Leute | |
unterhalten sich ungefiltert über alles Mögliche – wurde häufig kopiert und | |
zog einen Boom nach sich, der bis heute anhält. | |
Dass Sender bei ihrem zunehmenden Podcast-Programm zumindest ein bisschen | |
auf Stichhaltigkeit achten bei dem, was die Leute vor dem Mikro sagen, ist | |
dabei ein Segen. Wie wichtig das ist, zeigt etwa derzeit der | |
Streaming-Dienst Spotify. Der hat nämlich Deutschlands wohl berühmtesten | |
Podcast von Böhmermann und Schulz eingekauft, um potentielle Neukund:innen | |
in Bezahlabos zu locken. | |
Und dabei ist es Spotify offenbar wurscht, wer sonst noch so alles über | |
seine Plattform veröffentlicht: So findet man neben Schulz und Böhmermann | |
dort problemlos den Podcast vom neurechten Vordenker Götz Kubitschek, der | |
dort rechte Ideologie und Ideolog:innen pusht. Qualitätskontrolle: | |
Fehlanzeige. Die Maxime ist offenbar: Hauptsache, Klicks und Content – | |
ähnlich wie beim Videoportal YouTube. Das wäre im guten, alten Radio nicht | |
passiert. Gareth Joswig | |
## Radio-Geschichte 4: Oh Heimat! | |
Radionostalgie fängt bei mir jeden Morgen an. Wenn die markante weibliche | |
Ansagestimme von 1Live ertönt, bekomme ich Heimweh. Und denke an 20 Jahre | |
zurück, in denen der Radiosender in meinem Kinderzimmer, der Küche, dem | |
Auto und meinem Leben in Ostwestfalen täglich lief. Heute wohne ich mal in | |
Berlin, mal in Hamburg – aber 1Live bleibt meine Heimatverbundenheit. Der | |
Sender ist mein tägliches Ritual, mein Vertrauter und mein Draht nach | |
Hause. | |
Beim Zähneputzen lausche ich der Wettervorschau, nur um mich dann | |
vollkommen unpassend zu kleiden, weil es in Hamburg gerade stürmt und ich | |
den Sonnenschein im Sektor (1Live-Sprache) verpasse. In Berlin komme ich | |
ins Verkehrschaos, weil ich nur die Stauschau aus NRW kenne. Ungewollt hat | |
mich der Sendeplan konditioniert und über Jahre hinweg an sich gebunden: | |
Freitagabends bringt mich der Clubmix in Wochenendstimmung, Montagabend | |
rezensieren KünstlerInnen beim 1Live-Kassettendeck Musik und ich ergänze | |
meine Playlists und die O-Ton-Charts zwischendurch sind besser als 30 | |
Internet-Memes aus der Familien-Whatsapp-Gruppe. | |
Der Mix aus guten Nachrichten, sehr guter Musik und extrem guter Comedy | |
machen mir jeden anderen Radiosender madig. In den neuen Städten fühlt sich | |
Radio fremd an. Es ist ein bisschen wie mit dem Lieblingsessen, das man als | |
Kind sehnsüchtig verschlungen hat und bei dem schon der bloße Geruch einen | |
wehmütig macht. Meine Ohren wollen sich weiter mit vertrauten Klängen | |
beschallen lassen, damit sich mein Kopf gedanklich in die Heimat | |
katapultieren kann. Laura Binder | |
13 Feb 2020 | |
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[2] https://www.radioeins.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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