| # taz.de -- Zukunft des Radios: Im Wettlauf mit Spotify | |
| > Weil immer mehr Leute Podcasts hören und Musik streamen, fürchten | |
| > klassische Radiosender um ihr Publikum – und werden kreativ. | |
| Bild: Früher, als ein Radio noch der heiße Scheiß war | |
| Thomas Jung leitet die erfolgreichste Popwelle der Republik: SWR3 vom | |
| Südwestrundfunk. Etwa 3,6 Millionen Menschen schalten täglich ein. Jung | |
| sagt, er gehöre nicht zu denen, die glaubten, das Radio sei tot. Er sagt: | |
| „Wir glauben, dass das Radio auch auf lange Sicht als Begleitprogramm | |
| erfolgreich bleiben kann.“ Jung will die [1][Zukunft] aber nicht dem Zufall | |
| überlassen. Wie viele Radiomanager investiert auch er dafür in technische | |
| Spielereien. | |
| In der neuen Version seiner App kreuzt SWR3 seinen Sender mit dem, was | |
| NutzerInnen zunehmend von [2][Spotify] & Co. kennen. „Es gibt immer Titel, | |
| die einem auf den Geist gehen“, sagt Jung. „Uns ist es lieber, HörerInnen | |
| schalten innerhalb unseres Programms um als auf eine andere Welle oder in | |
| eine andere App.“ Nun kann das Publikum in der App des SWR auf Knopfdruck | |
| Musiktitel wechseln – im laufenden Programm. | |
| Die Entwicklung, die auch die Jugendwelle DasDing nutzt, wird in der Szene | |
| gefeiert. Dabei ist der SWR gar nicht der erste Sender, der einen Eingriff | |
| ins Liveprogramm ermöglicht. Nach Entwicklungen in Österreich, Skandinavien | |
| und Großbritannien hat die Radiogruppe von RTL, zu der unter anderem | |
| Antenne Niedersachsen und das Berliner Spreeradio gehören, schon 2018 den | |
| „Swop“ eingeführt. Auch hier kann das Publikum nervige Titel wegdrücken. | |
| Christian Schalt ist der „Chief Digital Officer“ der RTL-Radios. Auch er | |
| geht davon aus, dass das Radio seinen Platz neben Plattformen wie Spotify | |
| verteidigen wird: „Radio hat den unschlagbaren Vorteil, dass es NutzerInnen | |
| nichts kostet“, sagt Schalt. „Wenn um das Radio herum aber immer mehr | |
| Audioplattformen starten, dann ist die Antwort, diese Technologien auch zum | |
| Radio zu bringen.“ | |
| ## Eine ganze Diskothek im Handy | |
| Hat SWR3 seine neuen Funktionen in der App einfach von RTL kopiert? | |
| Tatsächlich sind die Entwicklungen nur auf den ersten Blick vergleichbar. | |
| Wenn in den Programmen der RTL-Radios Musiktitel starten, laufen im | |
| Hintergrund eine Handvoll alternativer Titel an, in die NutzerInnen | |
| „swoppen“ können. Die SWR-Apps sind dagegen mit der gesamten „Rotation�… | |
| jeweiligen Welle verknüpft. Das System greift auf bis zu 1.600 Titel zu und | |
| ist lernfähig. | |
| „Wir wollten nicht parallele Musikstreams mit einer Scheinauswahl laufen | |
| lassen, sondern dass das Publikum auf unsere gesamte Musikauswahl | |
| zurückgreifen kann“, sagt SWR3-Programmchef Jung. Da schwingt der | |
| Seitenhieb mit, das Modell der privaten Sender sei nicht so ausgeklügelt. | |
| Das ist auch so, doch die überschaubare Auswahl muss kein Nachteil sein: | |
| Während bei den RTL-Wellen die Alternativtitel mit dem Originaltitel im | |
| Liveprogramm enden und die ModeratorInnen punktgenau wieder zu Wort kommen, | |
| bricht in den SWR-Apps die individuelle Musik ab, wenn die Moderation | |
| wieder startet. | |
| Matthias Pfaff arbeitet an einem dritten Weg. Er verantwortet die | |
| Digitalstrategie der Gruppe Regiocast mit Stationen wie PSR in Sachsen und | |
| R.SH in Schleswig-Holstein. „Warum läuft Radio auch in einer Welt des | |
| Überangebots von Audio so gut?“, fragt Pfaff. „Menschen schätzen es, wenn | |
| sie auf einen Knopf drücken und ihnen Entscheidungen abgenommen werden.“ | |
| Individualisierung werde vor allem dann funktionieren, wenn HörerInnen | |
| nichts wegdrücken müssten. Apps könnten lernen, was NutzerInnen neben dem | |
| Hauptprogramm hören: Podcasts oder spezielle Streams einzelner Genres – | |
| immer nur Rockmusik zum Beispiel. Die App könnten dann dafür sorgen, dass | |
| die Musik im Liveprogramm automatisch an den Hörer angepasst wird. | |
| Der Regiocast-Manager Pfaff vergleicht das mit einem Burger-Laden. „Die | |
| meisten Leute nervt es, wenn sie 15 Zutaten aufzählen und Fragen zum Brot | |
| oder zur Sauce beantworten müssen.“ Wer einen Burger wolle, wähle lieber | |
| ein Menü. „Wenn der Mann hinter der Theke seinen Gast besser kennt, | |
| empfiehlt der ihm eins und sagt, er lässt die Gürkchen weg und macht dafür | |
| Zwiebeln drauf.“ So müssten auch Radio-Apps funktionieren. | |
| ## Spotify macht's vor | |
| Genauso läuft es bei Spotify. Mit „Daily Drive“ bietet die Plattform | |
| Pendlern ein individuelles Programm an, einen Mix aus der eigenen | |
| Lieblingsmusik, dazu Nachrichten und Beiträge, die klassische Radiosender | |
| als Podcasts ins Netz stellen. Ein personalisierter Radiosender. Die | |
| Manager der klassischen Sender sehen in „Daily Drive“ eine Gefahr. Sie | |
| wollen Ähnliches bieten, kombiniert mit [3][Livemoderationen], zu der auch | |
| regionale Informationen gehören. Beides kann Spotify nicht. | |
| SWR3 hat seiner App noch weitere Funktionen verpasst. NutzerInnen können | |
| Musikstücke herzen und jederzeit nachhören. Und sie können im Live-Programm | |
| zurückspulen – für den Fall, dass sie nicht mitbekommen haben, welches Buch | |
| oder welcher Film da gerade empfohlen wurde. | |
| Für all das hat der Sender mit der Verwertungsgesellschaft Gema und den | |
| Musiklabels mühsam einen neuen Tarif ausgehandelt. Damit der SWR die neuen | |
| Funktionen anbieten kann, zahlt der SWR extra an die Musikindustrie, | |
| allerdings nur für Zugriffe aus Deutschland. Im Urlaub Titel wegdrücken | |
| oder Lieblingstitel nachhören funktioniert nicht. | |
| Andere Sender prüfen, ob und wie sie ihre Livestreams erweitern. Der SWR | |
| bietet seine Entwicklung der ARD an. Interesse hätten etwa der Rundfunk | |
| Berlin Brandenburg und Radio Bremen angemeldet. Der Bayerische Rundfunk | |
| will im Herbst das Zurückspulen anbieten. Außerdem arbeitet er wie viele | |
| Sender daran, seine Radio-Apps auch auf die Systeme von Apple und Google in | |
| Autos zu bringen – wo sich Spotify & Co. schon breitgemacht haben, aber nur | |
| wenige Radiosender wie der Deutschlandfunk. | |
| „Ich bin überzeugt, dass klassisches Radio dann weiter erfolgreich sein | |
| wird, wenn wir unsere HörerInnen stärker am Programm beteiligen, damit es | |
| auch wirklich ihr Programm ist“, sagt SWR3-Wellenchef Thomas Jung noch zur | |
| Zukunft. | |
| Bislang entscheide seine Redaktion, welches „Topthema“ am späten Nachmittag | |
| gesendet werde. Sie könne aber auch ihr Publikum befragten: ganz direkt und | |
| einfach über die App, natürlich. | |
| 13 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Bouhs | |
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