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# taz.de -- Neue Platte von Of Montreal: Echte Songs mit Anfang und Ende
> Sie haben drei Schritte zurück gemacht, um einen nach vorn zu gehen. Die
> neue Platte von Of Montreal ist songorientiert und wirklich gut.
Bild: Schickes Motorrad, Alter.
Jetzt also die retrospektive Ernsthaftigkeit. Kevin Barnes, der Mann, der
hinter dem Bandnamen Of Montreal steht, hat schon so einiges durch: Er saß
nackt auf einem Pferd. Schmückte sich mit Federboas. Schminkte sich wie
Marc Bolan. Mischte Prince mit Beatles mit KC & the Sunshine Band und
bewahrte stets den rumpelnden Charme seiner frühen Indie-Schrammel-Alben.
Zog sich dann immer wieder gern auf eine Idee von depressiver
Künstlerexistenz im norwegischen Exil (seine Frau stammt aus Oslo) zurück
und schusterte Wohnzimmerbeats zusammen oder formulierte späte Antworten
auf Beatles- oder Beach-Boys-Flirts mit Stockhausen. Um sich kurz darauf
wieder einmal komplett neu zu erfinden – wobei er sich reichlich beim
reichen allgemeinen Popfundus bediente, wie er bis circa 2001 ins
Unermessliche angewachsen war.
So also auch diesmal. Kurz ließ Kevin Barnes, der gern alles selbst in die
Hand nimmt, was Saiten oder Tasten hat, die Welt im Glauben, mit „Paralytic
Stalks“, dem elften Album, sein finales Gesamtkunstwerk hingelegt zu haben,
und jetzt sei Schluss. „Paralytic Stalks“ war eine dieser Antworten auf die
Herausforderung von E-Musik durch Pop und vice versa; ein verschachteltes
Werk ohne klare Songstrukturen, dafür mit einem klaren Sound, der seine
Spitzen im koordinierten Lärm fand: konkrete Popmusik, wenn man will. Das
Ende von allem.
Das Ende, schien es, auch von dem, was Kevin Barnes kompositorisch
erreichen konnte. Barnes ist nämlich nicht nur ein kleines Genie, das sich
zeitliche Fernduelle mit Prince oder Mark E. Smith (The Fall) auch in
Sachen Output liefert. Mit dem Unterschied, dass Of Montreal nie den
Chartserfolg suchten und somit von jeher freier waren, und dem, dass Kevin
Barnes keine Kulterzeugungshelfer brauchte – sondern sich ganz auf sich
selbst und sein nahes Umfeld verließ. (Vielleicht half auch Norwegen und
sein großzügiges Staatsmäzenatentum.)
Aber Ende der langen Rede: Es gibt ein neues Album, und Kevin Barnes hat
mindestens drei Schritte zurück gemacht, um einen nach vorn machen zu
können. Auf „Lousy with Sylvianbriar“ befinden sich echte Songs. Mit Anfang
und Ende. Mit klassischem Aufbau (im Wesentlichen jedenfalls). Es gibt: ein
klassisch anmutendes Gitarrenspiel. Es gibt eine Art Bandformat. Mit echtem
Schlagzeug. Und ohne sonstige digitale Effekte.
Es gibt sogar eine neue Muse – eine junge Schönheit namens Rebecca Cash,
die auch mit sanft-schöner Stimme besticht, wie man im Vorab-Probevideo von
„Sirens of Your Toxic Spirit“ sehen und hören kann. An Kevin Barnes’ Ehe
mit Nina, die immer noch für das Artwork verantwortlich zeichnet, wird sich
höchstwahrscheinlich trotzdem nichts geändert haben: Das kleine Genie Kevin
Barnes ist nämlich ein Profi der Postmoderne. Der ernsthaft mit Identitäten
spielt.
Was er sich diesmal ausgedacht hat, ist nämlich, eine Antwort auf die
frühen siebziger Jahre zu finden. Das große gefühlsbetonte, ernsthafte
Folk-Pop-Album. Irgendetwas, das zwischen „Pink Moon“ und „Hunky Dory“
fehlt, irgendetwas, das zwischen Tim Hardin und Van Morrisson und
irgendeiner Bob-Dylan-Phase passt. Ist ihm das gelungen? Ja, schon. Aber.
## Den Niedergang überlisten
Der Auftaktsong „Fugitive Air“ klingt nach schmissigem
Middle-of-the-Road-Radio, und das Stück, das Rebecca Cash singen darf,
„Raindrop in My Skull“, ist wirklich hinreißend. In „Triumph of
Disintegration“ hört man tatsächlich noch einmal, dass seine eigenen
Experimente nicht spurlos an Barnes vorbei gegangen sind, hier verschmilzt
der Planet Funk mit der pazifischen Inselgruppe Hawaii. Insgesamt atmet
dieses Album aber große Gefälligkeit: der Manufactum-Katalog als Musik.
Gediegen, intellektuell und etwas überkandidelt. In seiner stillen
Eitelkeit latent unsympathisch, auch mal schön zynisch – und einigermaßen
spröde.
Vielleicht liegt es an den Instrumenten. Der Bass ist einfach nur ein Bass,
und kein sprunghafter Wasserball in Form einer Discokugel. Statt
Billo-Synthies hört man ein wohltemperiertes Fender-Rhodes-Piano. Die
Gitarren gehen auch mal bügeln: Pedal Steel. Und Kevin Barnes singt nicht
mehr mit und gegen sich selbst, sondern lässt sich von devoten Männerchören
begleiten. Oder eben von Rebecca Cash.
Vielleicht lässt sich der Niedergang – Diedrich Diederichsen hat einmal
ähnliche Moves als „Regression ins Musikalische“ beschrieben – eben doch
nicht überlisten. Schlecht ist „Lousy with Sylvianbriar“ also keineswegs.
Geht auch gar nicht. Steht schließlich Of Montreal drauf.
10 Nov 2013
## AUTOREN
Rene Hamann
## TAGS
Musik
Indiepop
Punk
Gothic
Elektro
Migranten
Arcade Fire
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