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# taz.de -- Berlin-Konzert von Marissa Nadler: Fingerpicking Gotik
> Marissa Nadler gab am Montag im Roten Salon der Volksbühne Berlin ein
> Zeitlupenkonzert. Das Publikum lauschte andächtig.
Bild: Marissa Nadler, die schwarze Rose des Folk
So müsste man Texte schreiben: Texte, die so unendlich langsam sind, dass
sie fast stehen zu bleiben scheinen. Die das weniger mittels Inhalt,
sondern mit Atmosphäre schaffen. Die dicht sind. Und für Ruhe sorgen.
So wie diese Musik, die am frühlingshaften Montagabend im gut gefüllten
Roten Salon am Rande der Volksbühne gespielt wurde. Nach der nicht weniger
beeindruckenden Band Death Vessel spielte Marissa Nadler ein
Zeitlupenkonzert, das die Zuhörenden derart in den Bann zog, dass wirklich
Stille war im Roten Salon. Es hat auch niemand auf sein Handy geschaut. Es
wurden keine Tablets in die Höhe gereckt. Es hat nicht mal jemand
gemurmelt. Es herrschte eine Andacht, besser, weil säkularer als bei einer
Messe.
Obwohl, etwas Gotisches hatte die Musik von Marissa Nadler, inzwischen 32
und in Boston wohnhaft, schon. Gothic Folk, wenn man so will. Nadler, die
sich ansonsten mit Kunstunterricht über Wasser hält und angeblich gar nicht
gern auf Bühnen steht, hatte zwei begleitende Musikerinnen dabei, wie sie
besser nicht ins Gefüge passen könnten: die Cellistin Janel Leppin, eine
künstliche Blonde mit sachtem Auftreten, sowie die Violinistin Nina Violet,
die am Abend zwischen schlechter Laune, Ergriffenheit und ihrem
haltgebenden Rotweinglas schwankte, ohne dass man musikalisch etwas davon
gemerkt hätte.
Und in der Mitte Marissa Nadler selbst, eine kleine, dunkelhaarige Frau,
fast schon überhöflich im Auftreten (wenn sie einen Indianernamen trüge,
dann lautete er „Die mit dem Rücken zum Publikum trinkt“), eine gute
Songwriterin mit, man entschuldige die abgegriffene Formulierung,
begnadeter Stimme. Ihr Gitarrenspiel beschränkt sich auf ein Fingerpicking
mit dem Daumen; das behält sie das gesamte Konzert über durch. Ihre Songs
sind eher einfache Liebeslieder – natürlich Liebeslieder der dunklen Art;
Lieder, die das unerwartete Begehren oder das lange Vermissen besingen, das
gemeinsame Aufwachen, das mal in gleißendem Morgenlicht stattfindet und mal
überhaupt nicht. Folgerichtig, dass Nadler mit einer
Townes-van-Zandt-Nummer abschließt, die dann in „On Fire“ von Bruce
Springsteen mündet.
Ihre eigenen Songs fallen da schon eher zurück, was Nadler mit einer
Überproduktion an Hall und den fast schon kathartisch arbeitenden
Streichern kompensiert. Und eben ihrer Stimme: tief, umfangreich, dabei
ohne Schnörkel, und nicht akademisch überausgebildet. Dabei schaut Nadler
gern einmal auf die Deckenbeleuchtung oder schließt die Augen ganz: Man war
versucht, alles ganz ernst zu nehmen und sich Sorgen zu machen. Sorgen um
die launige Nina Violet, Sorgen um Marissa Nadler, die in jedem Moment in
Tränen auszubrechen drohte. Dabei hatte sie sich doch bestimmt eine Stunde
mit ihrem Make-up beschäftigt!
Ihre neue Platte ist übrigens schon da, obwohl sie „July“ heißt. Es ist
ihre siebte. Es wird Zeit, dass die Welt erfährt, was sie bisher versäumt
hat.
29 Apr 2014
## AUTOREN
Rene Hamann
## TAGS
Gothic
Konzert
Folk
Berliner Szenen
Musik
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