# taz.de -- Punkband The Fall in Berlin: Aufhören? Niemals! | |
> Nicht mehr ganz so punkig, nicht mehr ganz so scharf, aber dafür mit Nähe | |
> zum Publikum: The Fall ist älter geworden, aber nicht weniger | |
> sarkastisch. | |
Bild: Marc E. Smith beim Wave-Gothic-Treffen in Leipzig 2002. | |
Oktober 1977: The Fall debütieren im Electric Circus in Manchester, einem | |
Club, in dem die gloriose, hyperaktive, euphorische Punk-Energie jener Zeit | |
explodierte. Ein Ende und ein Anfang: Auf dem Sampler „Short Circuit: Live | |
at the Electric Circus“ erscheinen die ersten beiden Songs „Stepping Out“ | |
und „Last Orders“ von The Fall. Rumpelige, aber hypnotische Popmusik, | |
irgendwie tanzbar, aber worum sich alles dreht, ist diese sarkastische | |
Stimme von Mark E. Smith, die beißenden Wortwitz hinrotzt gegen alles und | |
jeden. Fast ein Poetry Slam, anders, fresh, aber markant. | |
Um Smith’ Stimme scharten sich schon so viele MusikerInnen, dass man ein | |
aufwendiges Diagramm benötigt, um die Personalfluktuation darzustellen. | |
Noch immer finden sich Mitstreiter, die mit Mark E. Songs aufnehmen und auf | |
Tour gehen, obwohl er bekannt dafür ist, seine Kollegen onstage und | |
offstage zu malträtieren. Mit schluderiger Stimme beschreibt er in einem | |
Intro auf dem letzten Album, „Sublingual Tablet“, den aktuellen Fall-Sound: | |
„very tight rock with a lot of experimental stuff from Elena, my wife“. | |
Die Keyboardsounds von Marks zweiter Frau Elena (die Memoiren von | |
Gitarristin Brix, seiner ersten Frau, erscheinen im Juli) sind eine echte | |
Bereicherung, aber experimentell ist wirklich nichts an dieser | |
durchschnittlichen punkigen Rockmusik. Die neue EP, „Wise Old Man“, besteht | |
aus „Tablet“-Songs, Remixen und einigen neuen Stücken. | |
Wen interessieren The Fall, 40 Jahre nach „Stepping Out“? Die Schlange vor | |
dem Berliner White Trash ist lang, obwohl das Konzert sehr kurzfristig | |
anberaumt wurde, und drinnen im brechend vollen, neu eröffneten „Ballroom“ | |
(Live-Musik und Restaurant sind jetzt getrennt) werden es mindestens 700 | |
Fans sein, bestehend aus gereiften Music Lovers und aus hippem Jungvolk – | |
das mit retro nichts im Sinn hat. | |
## Makellose Anzughose | |
The Fall seien eine zeitgemäße, sehr gute Band, deren Stil nie stehen | |
bleibt, und jedes Konzert sei anders, ist zu erfahren. Auf meinen Einwand, | |
dass die Texte nicht mehr scharf und präzise, sondern eher dahingenölt | |
sind, werde ich belehrt, dass auch Smith’ Stil nicht gestrig bleibt, | |
sondern sich mit der Zeit verändert habe. Viele Fans sind eigens aus | |
England angereist, Mark E. Smith und Berlin, da kann man nicht widerstehen. | |
Dann ist da auch ein Berliner Musiker, der schon 1980 in der Spex über The | |
Fall geschrieben hat. Diese Mischung aus alt und jung findet sich auch in | |
der Bandbesetzung wieder. Die Stimmung auf der Bühne ist am Samstagabend | |
entspannt, wummernder Bass und Keyboards (die besser noch lauter gewesen | |
wären) machen Laune, und Mark E. macht eine souveräne Figur in makelloser | |
Anzughose und Hemd, gut gelaunt, seinen Gitarristen scheint er geradewegs | |
zu mögen. | |
Natürlich werden nur neue Songs gespielt. Vorne reihenweise begeisterte | |
Fans, die Texte mitskandieren, eine Art Pogo findet statt. Der Auftritt hat | |
nicht die Energie eines „Totally Wired“ von 1981, und Smith’ Markenzeiche… | |
das pointierte Hinausziehen jeder einzelnen Phrase, verschlingt inzwischen | |
ganze Sätze. Aber sein Charisma regiert den Raum. Er sucht die Nähe zum | |
Publikum, reicht ein Mikro herunter. | |
Als es nach etwa einer Stunde anfängt durchzuhängen, ist das Konzert auch | |
schon zu Ende. Die Zugabe: 20 Minuten der besten Songs des Abends, zuletzt | |
„Mr Pharmacist“, Mitsingmaterial erster Güte, fast schon ein Hit. „I don… | |
sell out“, sang Mark E. Smith 1977 in „Last Orders“. Wie wahr. „Aufhör… | |
Warum sollte er?“, fragt mich ein Fan entsetzt. Wie muss das sein, 40 Jahre | |
lang den Geschmack von Metall im Mund, wenn man fast hineinbeißt in die | |
(inzwischen zwei) Mikrofone, die man sich ins Gesicht hält. | |
Wise Old Man? Vielleicht. Aber Integrität? Tonnenweise. | |
13 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Monika Dietl | |
## TAGS | |
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