| # taz.de -- Cro im „Heimspiel“ auf Arte: Die Dorf-Disco | |
| > Der Rapper gibt ein Privatkonzert in einem Gewächshaus im Schwabenland. | |
| > Ein ganzes Dorf ist in Aufruhr und Arte hat Angst vor Social Media. | |
| Bild: Steht auf Tomatenrap: Cro. | |
| STARZACH-BIERLINGEN taz | Ein kleines Dorf im Schwabenland, nicht mehr als | |
| 1.300 Einwohner. Im Ort ein Bäcker, der Jugendclub, ein Fußballverein und | |
| die Gärtnerei der Stifels. Im elterlichen Gewächshaus steht Sohn Marcel und | |
| pflückt Tomaten. Ruhe. Die Ruhe täuscht. | |
| Als im Sommer die Tomaten noch grün an den Reben hingen, bewarb sich der | |
| 19-Jährige mit einem Video aus dem Gewächshaus bei Arte. „Cro, mach die | |
| Tomaten grün“, forderte er. Für das neue Konzertreportageformat | |
| „Heimspiel!“ reichten Fans des Rappers Cro rund 50 Videos bei dem Sender | |
| ein: Diverse Sportvereine waren darunter, evangelische | |
| Jugendorganisationen, und 140 Azubis der Polizeischule Eutin rappten oder | |
| tanzten möglichst kreativ, um ein „Wohnzimmerkonzert“ mit dem Rapper mit | |
| der Pandamaske zu gewinnen. | |
| Per Onlineabstimmung wurden die besten fünf Videos ausgewählt. Eigentlich | |
| waren Marcel und sein Gewächshaus da schon raus, sie wurden nur auf Platz | |
| sechs gewählt – doch Cro fand den Tomatenrap gut, das Arte-Team machte sich | |
| auf den Weg nach Starzach-Bierlingen. | |
| In der Nachbarschaft spricht es sich schnell herum, dass Marcel gewonnen | |
| hat. Das Internet tut das Seine: Plötzlich bekommt Marcel auf Facebook | |
| Freundschaftsanfragen von Leuten, denen er noch niemals begegnet ist. Und | |
| in dem kleinen Dorf bekommt man es mit der Angst zu tun: ein Fernsehteam, | |
| ein bekannter Rapper. Fanmassen vielleicht, außer Kontrolle womöglich, wie | |
| auf diesen „Facebook-Partys“, man hört ja allerhand. Die 200 Leute, die | |
| Marcel offiziell zum Konzert einladen darf, sind schnell gefunden. | |
| ## Unbedingt geheim | |
| Cro macht radiotauglichen Mainstream-Rap, mit „Easy“ schaffte er es 2012 | |
| auf Platz 2 der deutschen Top Ten, und blieb mit dem Lied 47 Wochen in den | |
| Charts. Fans reisen ihm hinterher. Wenn er vor dem Auftritt zum Soundcheck | |
| anreist, stehen meist schon die ersten Mädchen vor der Konzerthalle und | |
| hoffen, einen Blick auf ihren Star zu erhaschen, erzählt seine Band. | |
| Weder die Familie Stifel noch die Produktionsfirma will Zustände wie bei | |
| den berüchtigten „Facebook-Partys“, wo sich junge Leute über das soziale | |
| Netzwerk organisieren, um eine unvorsichtig ins Netz gestellte Feier mit | |
| Hunderten Leuten zu stürmen. Deshalb, so wird beschlossen, müsse das Datum, | |
| an dem das „Wohnzimmerkonzert“ aufgezeichnet wird, unbedingt geheim | |
| bleiben. | |
| Auch Marcel will nicht, dass seine Gäste das Datum der Veranstaltung, das | |
| sie schließlich im Vorfeld kennen müssen, verraten. Er setzt einen kleinen | |
| Vertrag auf, in dem sich seine Freunde zur Verschwiegenheit verpflichteten, | |
| und lässt jeden einzelnen der 200 Freunde unterschreiben. | |
| Das wiederum erregt – trotz der Besorgnis der Dorfbewohner – Unmut. Man | |
| fühlt sich ausgeschlossen. Die Gemeinderätin Christina Schweizer kritisiert | |
| die Veranstaltung in einem Leserbrief an die Lokalzeitung: Marcel habe | |
| durch die Menschen im Dorf, die für ihn abgestimmt haben, gewonnen. Jetzt | |
| wollten die Menschen im Dorf auch am Ruhm beteiligt werden. | |
| ## Geheimhaltung kaum möglich | |
| Allerdings ist der Aufzeichnungstermin ohnehin nur schwer geheim zu halten: | |
| Die Gärtnerei Stifel liegt am Rande des Dorfes. Daneben erstrecken sich die | |
| Wälder der Schwäbischen Alb. Wohnhaus und Gewerbe liegen direkt an der | |
| Hauptstraße. Gegenüber dem rund zwei Hektar großen Grundstück der Familie | |
| liegt der einzige Supermarkt des Ortes. Jeder, der aus dem Dorf fährt oder | |
| auch nur mal eben einkaufen geht, wird spätestens am Konzerttag den Lkw mit | |
| der Aufnahmetechnik und die Autos der Produktionsfirma erkennen. | |
| Ulrich Eisele, zuständiger Redakteur der Rottenburger Lokalseiten beim | |
| Schwäbischen Tagblatt, ist trotzdem sauer. Auch er fühlt sich außen vor. | |
| Und das, obwohl sein Blatt Marcel durch die Vorberichterstattung „große | |
| Aufmerksamkeit“ verschafft habe. Und jetzt, wo man natürlich auch über das | |
| Konzert selbst schreiben wolle, werde man nicht informiert. | |
| Doch weder Marcel und seine Familie noch die Produktionsfirma verraten dem | |
| Journalisten den Tag des Cro-Auftritts. Also recherchiert Eisele im Umkreis | |
| des Dorfs, ein „Spitzel“ gab ihm das erste Datum, sagt er. Als er die | |
| Produktionsfirma damit konfrontiert, diesen Termin zu veröffentlichen, | |
| setzt man bei Arte kurzerhand einen neuen Termin an – und droht mit | |
| Schadenersatzklagen, weil ein etwaiger Fanansturm die ganze Produktion der | |
| Sendung gefährden könne, so Eisele. | |
| „Aber ich werde nicht bezahlt dafür, dass ich mir Sorgen um die öffentliche | |
| Sicherheit mache“, sagt Eisele, „ich bin Journalist.“ Am Ende einigt man | |
| sich, wenigstens ein bisschen: Das genaue Datum erfährt der Lokalreporter, | |
| genauso wie alle anderen lokalen Medien auch, trotzdem erst fünf Stunden | |
| vor Konzertbeginn. | |
| ## „Ganz uffgeregt“ | |
| Am Tag des Konzerts ist das Gelände der Stifels von einem Bauzaun umringt, | |
| gegen den eventuell anstehenden Ansturm von Fans. 15 Männer und Frauen der | |
| Freiwilligen Feuerwehr halten Wache. Auch der Polizeichef und drei Männer | |
| einer privaten Sicherheitsfirma schlendern in Zivil durch die Gärtnerei. | |
| Abends ist vielen Dorfbewohnern durch den Trubel auf dem Stifel-Gelände | |
| klar, dass das Konzert nun stattfindet. Im Supermarkt gegenüber sagt eine | |
| Frau zur Bäckereiverkäuferin, sie sei „ganz uffgeregt“. Sei doch nicht so | |
| nervös, entgegnet die Angestellte, „is doch auch nur ein Mensch, wie alle“. | |
| „Social Media ist unsere Angst“, sagt die zuständige Arte-Redakteurin Lena | |
| Goliasch. Doch so groß der Aufwand und die Sorge auch sein mögen, Arte will | |
| mit „Heimspiel!“ einen Versuch wagen. „Wenn dieser Dreh funktioniert, dann | |
| geht das auch mit anderen Künstlern“, meint Goliasch. Bisher ist das | |
| Cro-Konzert als Pilot, als Test, gedacht. Im nächsten Jahr sollen eventuell | |
| weitere „Heimspiele!“ folgen. | |
| Arte sucht mit dem Format nach neuen Wegen, Musik ins Fernsehen zu bringen. | |
| Das klassische Musikfernsehen ist längst tot, Musikvideos und | |
| Konzertmitschnitte guckt man im Netz. „Wir zeigen kein reines Konzert, | |
| sondern erzählen eine Geschichte“, so Produktionsmanagerin Julia Schmejkal. | |
| Die Sendung läuft allerdings, denkbar ungünstig, am Samstag im späten | |
| Abendprogramm – also dann, wenn die Zielgruppe gemeinhin außer Haus | |
| vermutet werden dürfte. In der Arte-Mediathek „7+“ bleibt die einstündige | |
| Sendung allerdings weitere sieben Tage zu sehen. | |
| Eine halbe Stunde stellt „Heimspiel!“ Marcel und sein Dorf vor und zeigt | |
| das Zusammentreffen von Cro mit seinem Fan Marcel. Konzertmitschnitte | |
| füllen die zweite halbe Stunde der Sendung. In Starzach-Bierlingen spielt | |
| die Band rund eine Stunde für die 200 geladenen Gäste. Marcels Mutter Ilona | |
| hat extra einen Großteil der Pflanztöpfe aus dem Gewächshaus geschafft. | |
| Reingelassen wird nur, wer auf der Namensliste steht. Viele bringen | |
| Geschenke mit: Speckschnecken und Kokosschnaps. Die Getränkebar hat die | |
| Familie vom örtlichen Musikverein ausgeliehen, die Bühne ist mit Pflanzen | |
| aus der Gärtnerei dekoriert. Marcel verkauft T-Shirts mit Tomaten und | |
| Cro-Maske, die er für den Abend bedrucken ließ. Die Einnahmen des Abends | |
| spendet die Familie an die Kinderkrebshilfe in Tübingen. | |
| Dann steht Marcel endlich mit Cro auf der Bühne, wo eben noch die Tomaten | |
| wuchsen, moderiert den Abend, interviewt sein Idol. Vater Uwe hält derweil | |
| mit Feuerwehr und Polizei vor der Gärtnerei Wache. Doch der befürchtete | |
| Fanansturm bleibt aus: Vor den Bauzäunen des Geländes stehen gerade mal 40 | |
| Schaulustige – sie werden kurzerhand noch eingelassen. Dann ist das Konzert | |
| vorbei. Stille senkt sich über Starzach-Bierlingen. | |
| 9 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bednarczyk | |
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