# taz.de -- Gabriel Bornstein über Zwischen-den-Stühlen-Sitzen: „Dann bin i… | |
> In Gabriel Bornsteins Roman "45 Minuten bis Ramallah", der jetzt auch als | |
> Film herauskommt, sind Israelis und Palästinenser gleich nett. | |
Bild: "Jüdischsein bedeutet nicht unbedingt, religiös zu sein": Gabriel Borns… | |
taz: Herr Bornstein, wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie Jude sind? | |
Gabriel Bornstein: Als ich nach Deutschland zog. Da hat man mich gefragt, | |
wo ich herkomme, und als ich sagte, aus Israel, hieß es: Dann bist du Jude. | |
Ich sagte: „Ja, jemand hat ’Jude‘ in meinen Ausweis geschrieben, aber nur, | |
damit man zwischen Juden und Arabern unterschieden kann.“ Für mich sind | |
Religion und Nationalität verschiedene Dinge. Trotzdem dachte ich | |
irgendwann: Wenn mir alle sagen, dass ich Jude bin, dann bin ich wohl | |
einer. Dann muss ich sehen, was das für mich bedeutet. | |
Sind Sie religiös? | |
Nein. Ich bin ja erst mit 35 Jahren nach Deutschland gekommen und war in | |
Israel ein-, zweimal im Leben in der Synagoge. Ich verabscheue jede Art von | |
Religion. Religiöse Menschen stören mich nicht, aber mir missfällt, dass | |
Religionen die Menschen dadurch beherrschen, dass „Gott“ irgendwas gesagt | |
hat, dem man sich verpflichtet fühlt. Trotzdem habe ich in Deutschland | |
angefangen, privat jüdische Feste zu feiern – auch, damit mein Sohn mehr | |
von meiner Vergangenheit erfährt. | |
Ist er jüdisch erzogen? | |
Nein. Ich bin jahrelang mit ihm und seiner Mutter Weihnachten und Ostern | |
zur Kirche gegangen. Irgendwann habe ich überlegt, welche Feste es in | |
Israel gibt. Pessach und Chanukka sind die wichtigsten, die feiern in | |
Israel alle – egal, ob religiös oder nicht. | |
Wie feiern Sie Chanukka? | |
Ich lade Freunde ein – unter anderem einige Israelis, die hier mit im | |
Wohnprojekt wohnen. Wir zünden die Chanukkia an – den neunarmigen | |
Chanukka-Leuchter da in der Ecke – und essen zusammen. Wenn Kinder dabei | |
sind, singen wir auch ein paar Lieder. | |
Aber warum mussten Sie sich als jüdisch definieren? Sie hätten doch | |
ignorieren können, was die Leute sagen. | |
Theoretisch ja. Praktisch konnte ich es nicht. Praktisch ist bei mir hier | |
etwas passiert – auch, weil der Philosemitismus, der in den 1980er-Jahren | |
herrschte, für mich nur eine andere Facette des Antisemitismus war. Das hat | |
mich isoliert. | |
Was taten Sie dagegen? | |
Ich habe angefangen, einen Gesprächskreis in der jüdischen Gemeinde zu | |
besuchen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich mit Menschen | |
nur deshalb traf, weil sie alle denselben Ursprung hatten. | |
Hat es geholfen? | |
Mir ist einiges klarer geworden: dass Jüdischsein nicht unbedingt bedeutet, | |
religiös zu sein. Sondern dass Juden die Zugehörigkeit zu einer bestimmten | |
Geschichte verbindet. Diese Geschichte hat nicht unbedingt damit zu tun, | |
dass sie alle im selben Land leben. Aber sie haben etwas, das sie kulturell | |
verbindet. Das ist eher unterschwellig, denn Juden aus Jemen und Russland | |
haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Aber sie haben einen ähnlichen | |
Mythos. | |
Welcher ist Ihrer? Warum zogen Sie mit 35 nach Hamburg? | |
Das war ein Zufall. | |
Und woher kamen Ihre Eltern? | |
Meine Großeltern väterlicherseits und mein Vater haben Polen 1938 | |
verlassen. Sie waren Ärzte und konnten im damaligen Palästina schnell | |
wieder eine Existenz aufbauen. Sie waren sehr säkulare Menschen, wohingegen | |
die Eltern meiner Mutter religiös waren. Ihre Familie wohnte seit 200 | |
Jahren in Jerusalem. Kennengelernt haben sich meine Eltern in Israel. Der | |
Holocaust war nie ein Thema. | |
Aber der Nahost-Konflikt war eins. Wann erfassten Sie dessen Dimension? | |
Das war ein Prozess. Ich erinnere mich, dass ich als Jugendlicher hörte, | |
wie unsere Premierministerin Golda Meir erklärte, die Palästinenser seien | |
keine Nation, sondern auf verschiedene Staaten verteilte Araber. Mein Vater | |
hat dieses Gedankengut übernommen. | |
Sie auch? | |
Ich war lange gefangen in der Vorstellung, dass es kein | |
Palästinenserproblem gäbe. Als Soldat habe ich nach dem Sechs-Tage-Krieg | |
1967 zum ersten Mal Palästinenser getroffen. Ich lebte in Jerusalem nah an | |
der Grenze, und auf einmal war sie offen und man war in zehn Minuten in der | |
Altstadt. Und überall fand ich glückliche Menschen. Dass das nur eine | |
kurzfristige Erleichterung war, weil sie nicht mehr vom ägyptischen und | |
jordanischen Regime unterdrückt wurden, wusste ich nicht. | |
Wann haben Sie verstanden, dass Israel eine Besatzungsmacht ist? | |
Da war einmal Ibrahim, ein alter Kaufmann in der Jerusalemer Altstadt, den | |
ich oft aufsuchte. Irgendwann hat er mir seine Philosophie erzählt: Die | |
Palästinenser sind wie Leute, die auf einem Berghang wohnen. Von ihm rollen | |
Felsbrocken nach unten. Die Brocken sind mal die türkische, mal die | |
englische und jetzt die israelische Besatzung. Und alles, was die | |
Palästinenser tun sollten, ist hocken bleiben und warten, bis alle Brocken | |
runtergerollt sind. | |
Ein schönes Märchen. | |
Ja, Bewusstsein kommt manchmal durch solche Märchen. Unser Mechaniker in | |
Ost-Jerusalem formulierte es anders. Als wir über Arafat sprachen, sagte | |
er: „Wir sagen euch auch nicht, wer eure Anführer sein sollen. Warum | |
solltet ihr also über unsere entscheiden?“ Auch diese Gedanken waren für | |
mich neu. | |
Später haben Sie mit Palästinensern studiert. | |
Ja, unter meinen Hamburger Kommilitonen waren einige. Wir befreundeten uns | |
und waren einander näher als den deutschen Kommilitonen. Wobei unsere | |
jüdisch-palästinensischen Gespräche kurios waren: Statt einander Vorwürfe | |
zu machen, bestand jeder darauf, dass seine Regierung mehr Fehler macht. | |
In Ihrem Roman „45 Minuten bis Ramallah“ sind Israelis und Palästinenser | |
gleich nett. Warum beziehen Sie nicht Position? | |
Wenn man über Schuld und Unschuld spricht, gibt es keine Chance, eine | |
Lösung zu finden. Denn es ist klar, dass die Israelis dort mehr Macht | |
haben. Sie können die Palästinenser unterdrücken, und sie tun es auch. | |
Andererseits haben die Palästinenser viele Chancen verpasst. | |
Welche? | |
Arafat zum Beispiel: Er konnte wohl keinen Frieden machen – einfach, weil | |
das nicht seine Struktur war. Abgesehen davon ist die aktuelle | |
palästinensische Regierung nicht weniger korrupt als die israelische. Man | |
muss also unterscheiden zwischen einem Regime und den Menschen. Viele von | |
ihnen wollen nur ihre Ruhe haben. Und in meinem Roman erzähle ich eben die | |
Geschichte zweier einfacher, unpolitischer Palästinenser. | |
Hat das Buch eine politische Botschaft? | |
Auch. Gerade in Deutschland fühlen sich die Menschen oft verpflichtet, | |
pro-israelisch zu sein. Ihnen möchte ich sagen: So einfach ist es nicht. | |
Die Israelis sind keine Engel. Zwar auch keine Monster, aber die negativen | |
Seiten verstärken sich mit den Jahren. Das hat seinen Grund in den | |
politischen Strukturen in Israel, die politisch-religiösen Bewegungen viel | |
Raum geben. | |
Das werden viele Deutsche nicht gern hören. | |
Ja, man hat mir gesagt, dass jeder, der Israel kritisiert, die Antisemiten | |
munitioniert. Ich halte das für Unsinn. Antisemiten brauchen keine Munition | |
von mir. Und wenn sie Dinge, die ich sage, benutzen, kann ich es nicht | |
ändern. Aber es wäre falsch, mir selbst nicht treu zu sein. | |
Ihre Geschichte war ursprünglich ein Drehbuch. Warum folgte noch ein Roman? | |
Eigentlich wollte ich einen Autorenfilm machen. Meine Produktionsfirma | |
bestand aber auf einem bekannten Regisseur, was ich nach einigem Zögern | |
akzeptiert habe. Sie wählten Ali Samadi, und ich behielt die Romanrechte. | |
Das war gut, denn Samadi hat eine andere Vision. | |
Welche ist Ihre? | |
Ich zeichne die Figuren ernsthafter. Ich habe nichts gegen klamaukige | |
Filme, aber in dieser Geschichte ist mir wichtig, dass die Figuren echte | |
Hoffnung und echte Angst spüren. Das kommt für meinen Geschmack im Film zu | |
kurz. | |
Aber Humor ist durchaus der Grundton Ihres Romans. | |
Ja, ich finde es schwer, das Leben ernst zu nehmen. Und all diese ernsten | |
Gespräche über den Nahostkonflikt: Ich habe sie satt und will etwas | |
dagegensetzen. Außerdem kann ich so mehr Menschen erreichen, als wenn ich | |
ernsthaft darüber schriebe. | |
Aber der israelische Filmfond wollte Ihr Projekt nicht fördern. War es zu | |
israelkritisch? | |
Ich weiß es nicht. Es ist sehr wenig Geld da, und wenn dann ein unbekannter | |
Israeli aus Deutschland einen Film machen will … Ich kann es | |
nachvollziehen. | |
Wie reagieren Ihre Freunde in Israel auf Ihre Kritik? | |
Die meisten wollen nicht so genau wissen, was ihre Regierung macht. Die | |
Geschichte des palästinensischen Dorfs Budrus zum Beispiel, durch das | |
Israel eine Mauer zieht: Sie ist in israelischen Zeitungen zu lesen, und | |
wer will, kann sich informieren. Das Problem ist: Wenn ich so etwas lese | |
und ignoriere, bin ich auf einmal ein böser Mensch. Wenn ich nichts weiß | |
und nichts tue, bin ich nicht so böse. | |
30 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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