# taz.de -- Ermordete Umweltschützer: Das riskante Engagement | |
> Russland lässt die Arktis-Aktivisten frei. Aber weltweit wird jede Woche | |
> ein Mensch getötet, der sich für die Umwelt einsetzt. | |
Bild: Aktivisten protestieren gegen die Hinrichtung des Umweltschützers Ken Sa… | |
Erleichterung bei Greenpeace: Nach mehr als drei Monaten erhielten die | |
ersten der in Russland festsitzenden Aktivisten am Donnerstag ihre | |
Ausreisepapiere. Die Justiz stellte nach einer Amnestie die Verfahren wegen | |
Rowdytums gegen alle 30 Umweltschützer ein, die gegen Ölbohrungen in der | |
Arktis protestiert hatten. Dafür hatten die Regenbogenkrieger so massiv wie | |
selten Druck gemacht: 860 Veranstaltungen weltweit, Mahnwachen vor | |
russischen Botschaften, drei Millionen Mails an Putin, die Intervention von | |
Promis wie Angela Merkel, Ban-Ki Moon, David Cameron und Hillary Clinton. | |
Drei Monate in einem russischen Knast sind sehr unangenehm. Wer als | |
Umweltschützer allerdings nicht einen multinationalen Ökokonzern im Rücken | |
hat, riskiert im Zweifel Kopf und Kragen, ohne auf eine weltweite | |
Medienkampagne hoffen zu können. Mitte Dezember rief Amnesty International | |
relativ unbemerkt zu einer Eilaktion für den Ökoaktivisten Carlos Zorilla | |
und seine Unterstützer auf, die für ihr Engagement gegen den Kupferbergbau | |
in Ecuador von Präsident Rafael Correa bedroht werden. | |
Weltweit soll die Zahl der getöteten Umweltschützer nach einer britischen | |
Studie im letzten Jahrzehnt drastisch zugenommen haben. Allein 2011 starben | |
demnach 106 Menschen, weil sie ihre Menschenrechte und ihre Umwelt | |
verteidigten – meist gegen Landraub und die Rodung von Wäldern. | |
Besonders in Lateinamerika und Südostasien zeichnet sich ein gefährlicher | |
Trend ab. Laut dem Report „A Hidden Crisis“ der britischen | |
Menschenrechtsorganisation Global Witness hat sich die Anzahl der | |
registrierten Morde an Aktivisten zwischen 2001 und 2011 mehr als | |
verdoppelt. Demnach starben in diesem Jahrzehnt mindestens 711 Menschen | |
weltweit bei Mordanschlägen oder bei der Unterdrückung von Protesten gegen | |
Minen, Staudämme, Rodungen, Wilderei oder die Umwandlung von Regenwald in | |
Plantagen. Wenige der Opfer wie Chico Mendes in Brasilien oder Ken | |
Saro-Wiwa in Nigeria werden berühmt. Die meisten sterben, ohne dass die | |
Welt davon groß Notiz nimmt. | |
## Kampf für die eigenen Lebensgrundlagen | |
Über die Hälfte der Verbrechen geschahen in Brasilien, gefolgt von Peru, | |
Kolumbien und den Philippinen. Die Aktivisten kämpfen oft nicht nur aus | |
Altruismus oder Überzeugung, sondern schützen als Bauern oder Fischer mit | |
der Umwelt auch ihre Lebensgrundlagen. Doch für die, die nach Land und | |
Tropenholz jagen, geht es um viel Geld. Allein den Markt für illegales | |
Tropenholz schätzt Interpol auf jährlich 30 bis 100 Milliarden Dollar. | |
„Wo die Jagd nach Ressourcen intensiver wird, finden sich besonders arme | |
Menschen und Aktivisten in der Schusslinie“, heißt es in dem Bericht von | |
Global Witness. Es gebe kaum offizielle Daten über die Hintergründe der | |
Morde und eine „Kultur der Straffreiheit“. Um die Morde zu zählen („im | |
Schnitt mehr als einer pro Woche“), befragt die Organisation Behörden, | |
Kirchen, Umweltgruppen, Angehörige und Medien. Trotzdem geht sie von hohen | |
Dunkelziffern aus. | |
Ob es mehr Morde gibt oder nur mehr darüber berichtet wird, ist kaum zu | |
klären. „Die Zunahme der Gewalt ist auch darauf zurückzuführen, dass die | |
Anzahl der Menschenrechtsbewegungen stark zugenommen hat“, sagt Maja | |
Liebing, Amerika-Expertin bei Amnesty International. | |
Viele Staaten gingen zunehmend aggressiv vor und kriminalisierten | |
Umweltschützer, sagt Klaus Schenk von Rettet den Regenwald: „Wer | |
protestiert, wird in der Regel gezielt diskreditiert, bedroht, verprügelt, | |
entführt oder sogar ermordet.“ Die Gewalt eskaliert oft im Zusammenhang mit | |
anderen Straftaten: Bei illegalen Rodungen in Peru oder den Philippinen, | |
durch Guerilla-Kämpfer oder Drogenbanden in Kolumbien oder Mexiko. | |
Der Staat ist oft untätig – oder selbst Täter. In Kambodscha etwa gelten | |
Regierungsstellen als verantwortlich für die meisten Übergriffe auf | |
Umweltschützer. In Brasilien kam es nur in einem Prozent der Fälle zu | |
Urteilen gegen Täter. „Über 90 Prozent der Fälle werden juristisch nicht | |
verfolgt“, sagt Sandra Hertkorn. Sie begleitete in Kolumbien als Mitglied | |
von Peace Brigades International bedrohte Aktivisten, um sie durch | |
internationale Aufmerksamkeit zu schützen. Sie kennt das System von Gewalt | |
und Einschüchterung: „Manchmal werden SMS oder E-Mails mit Morddrohungen | |
gleich an mehrere Personen gleichzeitig versendet“, sagt sie. Und oft | |
bleibe es nicht bei der Drohung. | |
Das Problem ist vielen Organisationen bewusst. Human Rights Watch nennt | |
etwa den Fall des kambodschanischen Umweltschützers Chut Wutty. Und der | |
World Wide Fund for Nature (WWF) betrauert jedes Jahr getötete Ranger. Laut | |
der Thin Green Line Foundation wurden in den letzten zehn Jahren über 1.000 | |
Wildhüter ermordet. | |
26 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Block | |
Bernhard Pötter | |
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