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# taz.de -- Debatte Internationale Syrien-Politik: Die Rehabilitation von Assad
> Der Westen will in Syrien vor allem eines, Stabilität. Weil Assad alles
> aussitzt, bietet er scheinbar genau das. Und schon ist der Massenmord
> vergessen.
Bild: Sitzt stabil im Sessel: Bashar al-Assad
Das syrische Regime wird wieder salonfähig. Schon in den vergangenen Wochen
streckten europäische Botschaften ihre Fühler in Richtung Damaskus aus. Nun
bekundete auch der hochrangige US-Diplomat Ryan Crocker, ehemals
Botschafter in Syrien, man müsse mit dem syrischen Präsidenten Baschar
al-Assad ins Gespräch kommen.
Wieder einmal zeigt sich: Es lohnt sich für das syrische Regime, einfach
abzuwarten und gleichzeitig unbeirrt exzessive Gewalt einzusetzen. Nach
zweieinhalb Jahren, in denen die internationale Gemeinschaft dem immer
hemmungsloseren Töten wortgewaltig, doch weitgehend tatenlos zugesehen hat,
lenkt sie nun lieber ein. Niemand redet noch davon, den Druck auf Assad zu
erhöhen.
Vor wenigen Monaten sah das für eine kurze Zeit anders aus. Im August 2013
gerieten die USA unter Druck, militärisch eingreifen zu müssen. Ermutigt
dadurch, dass die internationale Gemeinschaft nach mehreren vorherigen
Einsätzen von Chemiewaffen stets abwiegelte, das lasse sich ja nicht
beweisen, schien das Regime mit seinem Giftgasbombardement im Umland von
Damaskus den Bogen überspannt zu haben: Der Tod von über 1.000 Zivilisten
durch Sarin führte zu internationalem Unmut.
Übrigens selbst unter den Verbündeten Assads. Aus Iran, das dem Regime
sonst unbeirrt den Rücken stärkt, twitterte Präsident Hassan Rohani
verschnupft, der Einsatz von Chemiewaffen sei unbedingt zu verhindern. Auch
wenn es vielleicht nur darum ging, die Nuklearverandlungen nicht zu
gefährden, waren das ungewohnte Töne aus Teheran.
## Abwarten und einlenken bevor es zu spät ist
Doch aller scharfen Verurteilungen aus dem Westen zum Trotz – Assad ließ es
gemächlich angehen. Zunächst tat die syrische Regierung, als sei überhaupt
nichts passiert. Erst als Moskau über seine Kanäle eilige Schuldzuweisungen
an die Rebellen verbreiten ließ, griff Assads Medienteam das Thema auf.
Nach weiteren vier Tagen fortgesetzten konventionellen Bombardements der
vom Gas getroffenen Vororte erklärte die Regierung sich bereit, den ohnehin
in Damaskus befindlichen UN-Inspektoren Zugang zu gewähren.
Als dann tatsächlich eine internationale Intervention drohte, lenkte Assad
schließlich ein und sicherte zu, die Chemiewaffen abzugeben. Statt das
Regime aufgrund seiner unwägbaren Aktionen mit Massenvernichtungswaffen zur
Rechenschaft zu ziehen, scheute sich die internationale Gemeinschaft, die
Urheber des Angriffs auch nur zu benennen geschweige denn, die Drohung
einer Intervention wahrzumachen. Die Übereinkunft über die Chemiewaffen,
verhandelt zwischen Russland und den USA, ohne Syrerinnen und Syrer zu Rate
zu ziehen, wurde weltweit als Erfolg verkauft, auch wenn die Umsetzung in
den Sternen steht.
Zu erwartende Verluste und das Ausbleiben überzeugender Erfolge bei den
Interventionen im Irak und in Afghanistan haben eine allgemeine Aversion
gegen militärisches Engagement in Konflikten in der Region verursacht. Auch
die Katerstimmung über die arabischen Revolutionen trägt zu der massiven
Abwehrhaltung bei. Die syrische Opposition verfügt aufgrund der
jahrzehntelangen Unterdrückung und Verfolgung über keine Integrationsfigur.
Und sie hat es während des nun fast drei Jahre andauernden Aufstands nicht
geschafft, sich auch nur in prinzipiellen Fragen über die künftige
Staatsform zu einigen.
Für diejenigen, die im Lande unter immer schwierigeren Bedingungen
arbeiten, hat die Gründung der Koalition keine spürbare Verbesserung
gebracht: Die Hoffnung, dass ihre internationale Anerkennung als „legitime
Vertretung“ des syrischen Volkes verstärkte politische und humanitäre
Unterstützung in befreiten Gebieten ermöglichen würde, wurde enttäuscht.
Bis heute kooperiert die UN allein mit der syrischen Regierung – auch wenn
dies bedeutet, dass Hilfsgüter weite Teile der Bevölkerung nicht erreichen.
Selbst bei einem für die gesamte Region bedrohlichen Phänomen, der
Ausbreitung von Polio, machte man keine Ausnahme. Impfstoff liefert die WHO
nur an Damaskus und erreicht also gerade diejenigen nicht, die sowohl
besonders gefährdet sind als auch in die Nachbarstaaten oder nach Europa
drängen.
## Das Setzen auf Stabilität
Die Unsicherheit darüber, ob die dem Westen genehmen Akteure stark genug
sein werden, an Assads Stelle zu treten, führt vielfach zu einer stark
vereinfachten Darstellung – ebenjener, die das Regime von Anfang an
heraufbeschworen hat: Ohne Assad, so die Lesart, verfällt das Land ins
Chaos und wird zu einer Brutstätte für Salafisten.
Was dabei ignoriert wird, ist, dass dies nicht trotz, sondern gerade wegen
Assads Vorgehen in den vergangenen Jahren geschieht; nicht trotz
internationaler Bemühungen, sondern weil der Westen die Brutalität in der
Auseinandersetzung in Syrien lange nicht in ihrer Tragweite wahrnehmen
wollte und versäumt hat, zivile Akteure rechtzeitig zu unterstützen.
Assad selbst hat in keinem Punkt Zugeständnisse gemacht. Ob Streu- oder
Brandbomben auf Wohnviertel oder das systematische Aushungern ganzer
Landstriche, in alldem fährt das Regime auch in Vorbereitung auf Genf II
fort.
Das macht es etwas schwierig, den Diktator so vollständig zu
rehabilitieren, wie viele es gern täten. Wenn man ihn auch nur ein bisschen
besser aussehen lassen möchte, ist es nötig, die Verbrechen der Islamisten
– vor allem die noch zu erwartenden – umso grauenhafter erscheinen zu
lassen. Doch in den Jahrzehnten ihrer Existenz hat al-Qaida eine nicht
annähernd so hohe Zahl von Opfern zu verantworten wie Baschar al-Assad in
knapp drei Jahren.
Er lässt eben „nur“ im „eigenen“ Land morden. Assad hat die Furcht vor
Islamisten international und zu Hause weidlich genutzt. Schon früh
berichteten die Local Coordination Committees – die in den Orten, aus denen
das Regime sich zurückgezogen hatte, die Stadtverwaltung übernommen haben
–, dass insbesondere die radikalsten Islamisten keine Angriffe des Regimes
zu fürchten haben. Das Regime ließ sie gewähren in der Hoffnung, dass sie
die Bevölkerung wieder in die Arme des Regimes treiben.
Dieses Kalkül ist bislang nicht aufgegangen. Das syrische Regime verdankte
einen Großteil seiner Akzeptanz stets dem Umstand, dass es als Garant für
Stabilität und Sicherheit gesehen wurde und dass die breite Masse nicht gut
lebte, aber doch immerhin über die Runden kam. All dies hat es mit seinem
brutalen Vorgehen gegen die Revolution zunichtegemacht.
Fast die Hälfte aller Syrerinnen und Syrer sind heute im Land oder
außerhalb auf der Flucht. Zweifelsohne haben in den vergangenen Monaten
viele den Norden des Landes aus Angst vor Salafisten verlassen. Doch deren
Zahl ist klein im Vergleich zu all denjenigen, die aus Daraa, Homs, den
Vororten von Damaskus oder den nördlichen Provinzen wegen der permanenten
und flächendeckenden Luftangriffe des Regimes geflohen sind.
## Der westliche Trugschluss
Doch was verspricht sich die internationale Gemeinschaft davon, Assad
wieder salonfähig zu machen. Stabilität in der Region? An allen Grenzen hat
es Zwischenfälle gegeben – bis hin zum Abschuss eines türkischen Kampfjets
über dem Mittelmeer durch das syrische Regime. Während die Armee verbissen
versucht, jede Provinzhauptstadt zu halten, hat sie schon früh die
nördliche Grenze aufgegeben und so das Tor für ausländische Kämpfer
geöffnet.
Trotz massiver Unterstützung durch seine Verbündeten ist es Assad nicht
gelungen, sich gegen eine weitgehend auf sich selbst gestellte Opposition
durchzusetzen. Wie also soll er wieder zum Garanten regionaler Stabilität
werden? Und was hätte man davon?
Kaum ein Herrscher hat sich unempfindlicher gegenüber externem Druck, aber
auch gegenüber Angeboten gezeigt. Kein anderes Land hat nach dem Krieg 2003
so viele Dschihadisten zum Kampf gegen die internationalen Truppen in den
Irak geschickt wie Syrien. Nun sind es ausgerechnet „Terrorismusbekämpfung
und andere gemeinsame Interessen“, über die US-Diplomat Ryan Crocker mit
der syrischen Führung reden will.
Selbst wenn es Assad mithilfe seiner Alliierten und der Willfährigkeit
westlicher Staaten gelingen sollte, sich durchzusetzen – worüber würde er
herrschen? Schon früh hat das Regime begonnen, die eigene Infrastruktur in
Schutt und Asche zu legen. Ob Krankenhäuser – von denen über 50 Prozent als
zerstört gelten –, Schulen, Gerichte oder Verwaltung, nichts blieb
verschont. Das Wüten der Sicherheitskräfte und der Schabiha-Schergen hat
tiefe Gräben in die syrische Gesellschaft gerissen. Das ist ein hoher Preis
für einen Sieg, der keiner ist.
29 Dec 2013
## AUTOREN
Bente Scheller
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