# taz.de -- Jagd auf Migranten in Russland: Willkür von Schleppern ausgeliefert | |
> Russische Behörden gehen hart gegen Migranten aus dem Kaukasus und | |
> Zentralasien vor. Deren Verwandte in Kirgistan verfolgen es mit Sorge. | |
Bild: Nationalisten demonstrieren im vergangenen November in Moskau für die Ei… | |
BISCHKEK taz | Seit Beginn der ständigen Razzien gegen Kaukasier und | |
Menschen aus Zentralasien in Russland – zuletzt nach den Terroranschlägen | |
in Wolgograd zum Jahreswechsel – hat Merim Akmatowa Angst um ihre | |
Schwester. „Das lässt einen keine Minute los“, sagt die 53-jährige Kirgis… | |
auf dem Basar in Bischkek. Akmatowa, gekleidet mit einem weißen Kopftuch | |
und einer Strickjacke, steht vor Pyramiden roter Äpfel und Granatäpfel in | |
der offenen Markthalle in der kirgisischen Hauptstadt. Akmatowa poliert die | |
Äpfel, kommt ein Kunde, wird gefeilscht, dann legt sie die Früchte auf die | |
Waage. | |
Ihre zehn Jahre jüngere Schwester Dila arbeitet seit drei Jahren in der | |
russischen Hauptstadt. „Seit Kurzem sogar in einem richtigen Geschäft“, | |
sagt die Kirgisin stolz. Die Familie in Bischkek versorgt Dilas zwei | |
Kinder. Regelmäßig schicke die Schwester Geld. „Was ich hier verdiene, | |
reicht nicht“, gibt Akmatowa zu, aber nun solle Dila besser heimkommen. | |
Am Bildschirm wurde Akmatowa Zeugin eines Pogroms. Tausende Russen machten | |
am 13. Oktober im Moskauer Stadtteil Birjuljowo Jagd auf Gastarbeiter aus | |
dem Kaukasus und Zentralasien und plünderten unter rassistischen Parolen | |
ein Einkaufszentrum und Geschäfte, wo vermeintliche „Schwarze“ – so der | |
abfällige Jargon – arbeiteten. Zuvor war ein Russe getötet worden, der Mob | |
machte die Gastarbeiter dafür verantwortlich. | |
Wie die Schwester der Marktfrau arbeiten Millionen Menschen aus den | |
ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken in Russland. In der | |
Hochsaison im Sommer finden sich in kirgisischen oder tadschikischen | |
Dörfern kaum mehr arbeitsfähige Bewohner. | |
## Zusammengepfercht in Waggons | |
Die Migranten aus Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan sind in Russland | |
der Willkür von Arbeitgebern und Schleppern ausgeliefert, leben | |
zusammengepfercht in kleinsten Unterkünften oder gar Waggons, immer auf der | |
Flucht vor Polizei oder Schlägerbanden. „Meine Schwester geht kaum noch auf | |
die Straße“, sagt Akmatowa. | |
Die Stimmung ist schon lange angeheizt. Seit Monaten schwelt in der | |
russischen Öffentlichkeit eine ausländerfeindliche Debatte, auch | |
vermeintliche Demokraten beteiligen sich an dem Migrantenbashing. Immer | |
mehr russische Politiker fordern eine Visumspflicht für Arbeiter aus den | |
zentralasiatischen Staaten. | |
Der kirgisische Politologe Mars Sarijew macht eine fehlende | |
Integrationspolitik in Russland für die Exzesse verantwortlich: Die | |
russische Bauwirtschaft und der Handel fußten auf der Ausbeutung der | |
entrechteten Gastarbeiter. Diese suchten in der organisierten Kriminalität | |
Schutz vor Übergriffen – eine Verbindung, die die russische Bevölkerung | |
empöre. „Die Bilder von Birjuljowo haben mich erschreckt“, sagt der | |
kirgisische Vizeaußenminister Erines Otorbajew der taz. Er sei jedoch | |
sicher, dass es keinen Visumzwang geben werde, da dies russischen | |
Interessen widerspreche. | |
Der Kreml baut seinen Einfluss in der Region zwischen Kaspischem Meer und | |
Chinas Westgrenze aus. Unter Hochdruck arbeitet Russland an einer | |
eurasischen Zollunion. Mit Kirgistan und Tadschikistan hat Moskau zudem | |
eine langfristige Stationierung russischer Truppen vereinbart. „Die | |
Ausschreitungen gefährden nicht die guten Beziehungen“, versichert der | |
Diplomat in Bischkek. Zumal das wirtschaftliche Überleben in Zentralasien | |
an den Überweisungen der Gastarbeiter hängt. 2011 überwiesen nach | |
Erkenntnissen der Weltbank Gastarbeiter aus Russland rund 6 Milliarden | |
US-Dollar in ihre Heimatländer. | |
Und dennoch: „Sollten die Millionen Gastarbeiter zurückkehren, würde das | |
hier die Regierungen hinwegfegen“, ist der Politologe Sarijew überzeugt. | |
Falls die Menschenjagd in Russland nicht aufhöre, könne das auch in | |
Zentralasien zu antirussischen Ausschreitungen führen. | |
9 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
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