# taz.de -- Soziologe Rafael Behr über Gefahrengebiete: „Aufwallung der Gef�… | |
> Nach den Demo-Krawallen und der Ausweisung eines Gefahrengebiets streitet | |
> Hamburg über Gewalt und die Schuld daran. Polizei-Soziologe Rafael Behr | |
> im taz-Interview. | |
Bild: "Merkwürdiges Spiel auf dem Rücken von Polizisten": Demo-Transparent in… | |
taz: Muss man sich Sorgen um die Hamburger Polizei machen, Herr Behr? | |
Rafael Behr: Nicht mehr als man es vor der Demonstration um die Rote Flora | |
getan hat. Natürlich sind die Beamten, die unmittelbar betroffen sind, | |
anders bewegt als diejenigen, die es aus der Distanz sehen. Ich habe großes | |
Verständnis dafür, dass es da zu einer Aufwallung der Gefühle kommt. Von | |
daher unterlasse ich auch alles, was es relativiert. Wir sind ja erst in | |
einer Phase, wo verstehen wollen schon als Billigen gilt. | |
Tatsächlich könnte man sich Sorgen um eine scheinbar kopflose Polizei | |
machen, der nach einer Woche auffällt, dass Kollegen nicht beim Angriff auf | |
eine Polizeiwache verletzt wurden, sondern in einer Seitenstraße der | |
Reeperbahn. | |
Das sind Scharmützel, die jetzt stattfinden, die einem gewissen Ritual | |
folgen. Die eine Gruppe denkt, dass sich in diesem Widerspruch eine | |
Verschwörung von Politik und Polizei zeigt und die anderen sagen, dass ein | |
semantischer Fehler passiert ist unter dem Eindruck von | |
Informationsreduktion. Allerdings werden Angriffe auf die Polizei in der | |
Regel dramatischer bewertet als andere Straftaten. Das gilt auch für die | |
Verletztenzahl. | |
Inwiefern? | |
Es hat zu der skurrilen Situation geführt, dass der Hamburger Innensenator | |
am Montag im Ausschuss sagte, dass bei der Rote- Flora-Demonstration im | |
Dezember 169 Polizisten verletzt worden seien und zwei Zivilisten. | |
Tatsächlich sollen es 500 verletzte Demonstranten gewesen sein. | |
Der Senator hat exakt gezählt, nämlich die Krankmeldungen bei der Polizei | |
und die Zahl der Verletzten, die die Feuerwehr versorgt hat. Diese Form der | |
Zählung führt zu einer Steigerung des Unverständnisses – ich saß im | |
Ausschuss unter Teilnehmern der Demonstration, die sich dadurch natürlich | |
brüskiert fühlen. | |
Tut die Polizei etwas, um die Fronten aufzuweichen? | |
Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat gerade einen Neun-Punkte-Aktionsplan | |
veröffentlicht, von denen kein einziger auf Deeskalation ausgerichtet ist. | |
Stattdessen fordert sie die Ausrüstung mit Tasern und anderem Gerät und | |
natürlich mehr Stellen und mehr Geld. Hier wird auf dem Rücken von | |
verletzten Polizisten ein merkwürdiges Spiel gespielt. Um auf Ihre Frage | |
zurückzukommen: Ich habe den Einsatzleiter vom 21. Dezember, Peter Born, | |
nicht als kopflos erlebt. Die Rolle der Polizeigewerkschaften halte ich | |
dagegen wirklich für konfus. Aber das ist, wenn man so will, eine | |
instrumentelle Kopflosigkeit. | |
Wozu dient die? | |
Wir wissen noch nicht abschließend, was bei dem Steinwurf auf den | |
Polizeibeamten wirklich passiert ist. Es kann die Tat eines verwirrten | |
Einzeltäters gewesen sein und nicht die einer Gruppe. Aber im Moment | |
scheint es sehr klar, dass die Polizei im Kern angegriffen wird. Die | |
Resonanz darauf hat das bestätigt: Wir leben in einem | |
Betroffenheitsstadium, in dem Differenzierung und Distanz schwerfällt und | |
in dem viele Menschen glauben, ihre Solidarität mit der Polizei ausdrücken | |
zu müssen, um ernst genommen zu werden. | |
Vertrauen Sie darauf, dass dieser Fall solide aufgeklärt wird? | |
Das tue ich. Ich glaube nicht, dass hier von der Polizei bewusst | |
manipuliert wurde. Es wird vorhandenes Informationsmaterial benutzt. Ich | |
erkenne da eher eine Arbeitsteilung, dass die Polizeibehörde und der | |
Innensenator relativ moderat auftreten, es aber nicht verhindern, dass die | |
Polizeigewerkschaften bewusst an der Dramatisierungsschraube drehen. | |
Wird so was verabredet? | |
Ich glaube nicht, dass das bewusst geschieht. Das sind Teile eines sehr | |
komplexen Systems, in dem viele ihre eigenen Interessen vertreten. Da | |
braucht es keine Absprachen am Kamin. | |
Was bedeutet es, wenn ein Polizeigewerkschafter sagt, dass es bei der | |
Ausweisung des Gefahrengebiets nicht darum gehe, Täter zu fassen, sondern | |
ein Zeichen zu setzen? | |
Das Zeichen ist die Möglichkeit der Durchdringung des Raumes. Das scheint | |
mir die Grundhaltung der Polizei, nicht nur in Hamburg zu sein: Man will | |
zeigen, dass jede Form von Kontrolle und Intervention möglich sein muss, | |
und zwar zu jeder Zeit. Man kann das als Machtdemonstration interpretieren | |
oder als offensive Polizeistrategie, das kommt auf die eigene Bewertung an. | |
Das war bei der Kontrolle der Lampedusa-Flüchtlinge so, das war bei dem | |
Vorstoß der Polizeieinheiten bei der Rote-Flora-Ansammlung so. Rechtlich | |
war das bestimmt in Ordnung, ob es aber auch klug war, ist eine ganz andere | |
Frage. | |
7 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
Friederike Graeff | |
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