| # taz.de -- Film in den Dünen: Kammerspiel auf Norderney | |
| > Der Film „Nordstrand“ erzählt von der Begegnung zweier erwachsener | |
| > Brüder, die durch die Gewalt in ihrem Elternhaus geprägt wurden. | |
| Bild: Ein Spielort wie ein verwunschenes Schloss: In diesem Haus treffen sich z… | |
| BREMEN taz | Das einzige fantastische Element in diesem Film ist das Haus: | |
| ein kleines Einfamilienhaus zwischen Dünen direkt an der Nordsee – also | |
| eine Top-Immobilie. Dass diese viele Jahre lang unbewohnt vor sich hin | |
| rotten konnte, so dass sich eine mumifizierte Ratte unter dem Küchenschrank | |
| findet, ist kaum vorstellbar. Es wurde dort auch nie eingebrochen. Im | |
| Kinderzimmer steht noch der kleine Fernseher und im Wohnzimmerschrank | |
| stehen die Flaschen mit Hochprozentigem. | |
| Der Spielort des Filmes „Nordstrand“ ist äußerst unplausibel, er wirkt fa… | |
| wie ein verwunschenes Schloss. Aber er ist dramaturgisch sehr geschickt | |
| gewählt, denn so wie die inzwischen erwachsenen Protagonisten das Haus | |
| besuchen, in dem noch alles so aussieht wie in ihrer Kindheit, so setzen | |
| sie sich auch damit auseinander, was hier mit ihnen passiert ist und wie | |
| stark sie dadurch geprägt wurden. | |
| Der dreißigjährige Marten hat seinen drei Jahre jüngeren Bruder Volker | |
| gebeten, in dem alten Ferienhaus ein Wochenende zu verbringen. Beide haben | |
| sich lange nicht gesehen, der Vater ist tot, die Mutter im Gefängnis. Was | |
| für ein Familiendrama sich in diesem Haus einst abgespielt hat, wird | |
| langsam im Laufe des Films enthüllt. | |
| Der Whiskey im Glasschrank | |
| Der Regisseur und Drehbuchautor Florian Eichinger ist gut darin, Hinweise | |
| zu pflanzen, Andeutungen zu machen und so Spannung aufzubauen. Doch die | |
| Grundkonstellation wird gleich in der ersten Rückblende deutlich: Als | |
| Kinder trinken die beiden Brüder heimlich ein wenig Whiskey aus einer | |
| Flasche, die dann viele Jahre später immer noch im gleichen Glasschrank | |
| steht. Die Eltern kommen von einem Spaziergang zurück, der Vater merkt, was | |
| passiert ist und zwingt die Jungen dazu, ein großes Glas mit dem | |
| hochprozentigen Alkohol zu trinken. Die Mutter versucht zaghaft, | |
| einzugreifen, doch der Vater schlägt ihr (und buchstäblich auch den | |
| Zuschauern) die Tür vor der Nase zu. | |
| Es wird später noch einige, sehr kurze Rückblenden geben, die immer die | |
| Erinnerungen von Marten illustrieren. Denn er war der ältere Bruder, der | |
| zuließ, dass der jüngere Volker vom Vater gequält wurde. Dies scheint ihn | |
| tiefer verletzt zu haben als die Schläge und Demütigungen seinen Bruder. | |
| Zumindest arbeitet er sich an diesem Wochenende quälend an seinen | |
| Schuldgefühlen ab, während Volker nur ironisch und kalt über diese Zeiten | |
| spricht. Aber vielleicht ist das Trauma bei ihm ja immer noch so | |
| schmerzhaft, dass er nur mit Verdrängung darauf reagieren kann. | |
| Das ist der Kernkonflikt dieses Psychodramas, das sich sehr konzentriert | |
| auf kleinem Raum und mit einer Handvoll Filmfiguren entfaltet – es ist also | |
| ein fast klassisches Kammerspiel. Rainer Wöss und Anna Thalbach sind als | |
| die Eltern nur in den Rückblenden zu sehen, Luise Berndt spielt eine | |
| frühere Freundin von Volker und Martina Krauel hat einen, dramaturgisch | |
| etwas zu mechanisch eingesetzten, Auftritt als die Pastorin des | |
| Nachbarortes, die den beiden Männern ihre Seelsorge fast aufdrängt. | |
| Im Grunde ein Zweipersonenstück | |
| Doch diese Auftritte sind nur Zwischenspiele. Im Grunde ist „Nordstrand“ | |
| ein Zweipersonenstück, in dem die beiden Protagonisten sich immer | |
| fordernder und existentieller miteinander auseinandersetzten. Martin | |
| Schleiß in der Rolle des Marten und Daniel Michel als Volker tragen den | |
| Film, weil sie immer natürlich spielen und nie ihre Emotionen ausstellen. | |
| Regisseur Eichinger spricht selbst von den „autobiografischen | |
| Konstellationen und Erlebnissen“, die ihn inspiriert hätten und sein Film | |
| überzeugt vor allem dadurch, dass die Motivationen der Figuren gut | |
| glaubwürdig sind. Das Haus ist eine Metapher für das „innere Gefängnis“,… | |
| dem sich die Menschen für Eichinger „im schlimmsten Fall das Leben zur | |
| Hölle machen“ können. Deshalb öffnet er zum Ende hin auch den Raum und | |
| dreht eine Reinigung im Meer, die wie eine Katharsis wirken soll, in einer | |
| minutenlangen Totale, bei der die beiden Brüder in der Natur klein und | |
| unbedeutend wirken. | |
| „Nordstrand“ ist der zweite Teil einer Trilogie, von der Florian Eichinger | |
| sagt, er untersuche darin das „Wesen der Gewalt“. Der erste Teil war der | |
| 2008 gedrehte „Bergfest“ und ebenfalls ein Kammerspiel. Gedreht wurde in | |
| einer Berghütte in den bayerischen Alpen. Martin Schleiß ist auch hier der | |
| Protagonist, aus dessen Perspektive ein Großteil der Geschichte erzählt | |
| wird. Als 25-Jähriger wandert er mit seiner Freundin in den Bergen und | |
| trifft in der Hütte der Familie unerwartet auf seinen Vater und dessen | |
| Geliebte. | |
| Gedreht ohne Fördergelder | |
| In diesem Film ging es eher um die Mechanismen psychischer Gewalt zwischen | |
| Eltern und Kindern. Eichinger produzierte den Film ohne Fördergelder und | |
| die Beteiligung eines Fernsehsenders, und er war dann zwar nicht unbedingt | |
| in den Programmkinos, aber mit Einladungen auf über 20 Festivals ein | |
| Erfolg. Der Film gewann Preise beim Falstaff Filmfestival in Großbritannien | |
| und beim Independent Film Festival in Houston. | |
| Auf Norderney hat Eichinger nicht nur gedreht, weil der Kontrast zu den | |
| Alpen so reizvoll ist. Ohne das Filmfest Emden-Norderney wäre der Film | |
| vielleicht nie gemacht worden, denn dort reichte Eichinger 2011 sein Skript | |
| beim Wettbewerb um den Emder Drehbuchpreis ein. Bei diesem Wettbewerb | |
| tragen Schauspieler kurze szenische Lesungen aus den nominierten Werken | |
| vor. „Nordstrand“ wurde dann zwar nur lobend erwähnt, doch danach kam | |
| schnell eine Finanzierung durch die Filmförderungen Hamburg | |
| Schleswig-Holstein und Nordmedia sowie durch Radio Bremen zustande, durch | |
| die das Projekt in zwei Jahren erstaunlich flott fertig wurde. | |
| ## ab 23. Januar im Abaton, Hamburg, und im Delphinpalast, Wolfsburg | |
| 22 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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