# taz.de -- Nische Filmmusik: Die zweite Geige | |
> In Europa gibt es nur eine Fachzeitschrift für Filmmusik. Die Redaktion | |
> beliefert 700 Abonnenten und hat ihren Sitz in Bremen. | |
Bild: Blickt auf eine wachsende und zugleich treue Leserschaft: Cinema Musica-C… | |
BREMEN taz | Fünfzig Prozent der Wirkung eines Films machen die Musik und | |
das Sounddesign aus. Das meint zumindest Regisseur Steven Spielberg, und | |
der weiß, wovon er redet. Zugleich gibt es das oft verwendete Bonmot, die | |
beste Filmmusik sei jene, die man nicht hört. Zu Spielbergs | |
Fünfzig-Prozent-Theorie steht das nicht in Widerspruch: Sounds und Musik | |
sind dem Zuschauer tatsächlich oft nicht bewusst und deshalb beeinflussen | |
sie ihn um so intensiver. | |
Die Musik spielt im Kino also mehr als nur die zweite Geige und so ist es | |
nicht überraschend, wenn es neben all den Filmzeitschriften, von denen | |
viele auf spezielle Genres spezialisiert sind, auch ein Magazin für | |
Filmmusik gibt. Bemerkenswert ist, dass es die einzige Zeitschrift dieser | |
Art in Europa ist, und dass sie von einer kleinen Gruppe von | |
Filmmusik-Enthusiasten in Bremen herausgegeben wird. | |
Cinema Musica ist ein Hochglanzmagazin mit gut 80 Seiten, kostet 7,50 Euro | |
und erscheint vierteljährlich. Vor knapp neun Jahren wurde sein Vorläufer, | |
das in der Schweiz produzierte Film Music Journal eingestellt. Der in | |
Bremen lebende Mike Beilfuß hatte für diese sehr branchenspezifische | |
Zeitschrift geschrieben und entschied sich, ihre Tradition mit einem | |
anderen Konzept und Namen weiterzuführen. | |
Das Fundament dafür bildete der Abonnentenstamm von etwa 300 Lesern, von | |
denen die meisten im Metier arbeiteten. Die erste Ausgabe war noch in | |
Schwarzweiß und mit Klammerbindung, doch von Anfang an gab es den Anspruch, | |
für ein größeres Zielpublikum zu schreiben. Auch an der Filmmusik | |
interessierte Konsumenten sollte Cinema Musica erreichen und so entwickelte | |
sich eine Mischung aus Artikeln, die sehr spezielle Aspekte der Filmmusik | |
behandeln und nur für Fachleute verständlich sind und leichter zugänglichen | |
Texten, in denen immer mal wieder Grundsätzliches erklärt und beschrieben | |
wird. | |
Dementsprechend gibt es in der neuesten, 33. Ausgabe einen Text mit dem | |
Titel „Wie funktioniert Filmmusik?“, auf den die dritte Folge der Serie | |
„Kompositionstechniken in der Filmmusik“ mit vielen Notenbeispielen folgt. | |
Dieses Konzept ist offensichtlich erfolgreich: der Abonnentenstamm ist auf | |
über 700 gewachsen und nach der Aussage des jetzigen Chefredakteurs David | |
Serong ist die Leserschaft ausgesprochen treu. | |
In jeder Ausgabe wird ein möglichst berühmter Filmmusik-Komponist | |
vorgestellt und deshalb sind die Coverboys der Zeitschrift meist gesetzte | |
ältere Herren, von denen kaum ein Leser bisher wusste, wie sie aussehen. | |
Howard Shore, Hans Zimmer, Danny Elfman und Alberto Iglesias schauen meist | |
möglichst künstlerisch in die Kamera, Randy Newman kennt man immerhin auch | |
als Sänger und Performer und Lalo Schifrin steht als „King of Cool“ | |
betitelt mit dem Taktstock in der Hand vor einer mit Graffiti besprühten | |
Wand. Maurice Jarre starb kurz bevor die Ausgabe mit seinem langen und wohl | |
auch letzten Interview herauskam. | |
Die meisten Meister des Metiers waren schon im Heft, es fehlen noch Ennio | |
Morricone und John Willams, der nicht gerne fliegt und deshalb nicht nach | |
Europa reist. Denn meistens treffen die Schreiber des Magazins die | |
Filmmusiker bei Festivals. So wird in der nächsten Ausgabe der schweizer | |
Filmkomponist Niki Reiser („Jenseits der Stille“, „Maria, ihm schmeckt’s | |
nicht“) vorgestellt, für den im November das Filmfest Braunschweig eine | |
Hommage ausrichtete. | |
Etwa 20 Autoren schreiben für Cinema Musica, darunter einige Musik- und | |
Filmwissenschaftler, aber keine Komponisten, weil diesen der nötige Abstand | |
zu ihren Kollegen fehlt. Das Themenspektrum der Texte ist nicht auf den | |
Kinofilm begrenzt. Behandelt werden auch Musiken für Computerspiele, | |
Hörspiele, das Fernsehen und Jingles. | |
Ein wenig zu kurz kommt jene Art von Filmmusik, die nicht extra für eine | |
Produktion komponiert, sondern oft vom Regisseur selbst „gefunden“ wird. | |
Die Reihe der Filmemacher, die ein genaues Gespür für die Wirkung von Musik | |
in ihren Werken haben, reicht von Stanley Kubrick über Martin Scorsese bis | |
zu Quentin Tarantino. Speziell mit letzterem würde Chefredakteur David | |
Serong gerne ein Interview führen, aber Regisseure sind für ein kleines | |
Fachmagazin viel schwerer zugänglich als Komponisten. | |
Fast ein Drittel des Magazins ist Rezensionen von CDs mit Filmmusiken | |
vorbehalten – es gibt über 30 Rezensionen pro Ausgabe. Auch sonst hat | |
Cinema Musica altbewährte Rubriken von erfolgreichen Vorbildern übernommen. | |
So gibt es einen möglichst launig von einem Prominenten ausgefüllten | |
Fragebogen auf der letzten Seite, einen Festival- und Konzertführer und | |
sogar einen Comic mit dem Titel „Scherzo“, dessen Witz sich allerdings nur | |
den Eingeweihten erschließen dürfte. | |
Merkwürdig ist es auch, wenn der 1965 geborenen Matthias Büdinger als | |
Zeitzeuge unter dem Titel „Ich habe es erlebt“ die „Chronik eines | |
Filmmusikjahrhunderts“ schreibt, in der Sätze stehen wie: „Nachmittags lief | |
übrigens Telly Savalas in der Lobby herum, was aber nun gar nichts mit | |
unserer Konferenz zu tun hatte.“ | |
Interessant ist dagegen die Spalte mit dem treffenden Titel | |
„Zukunftsmusik“, in der die Produktionen aufgeführt werden, an denen über | |
hundert internationale Filmmusiker gerade arbeiten. Und es gibt eine | |
inzwischen schon elfteilige Serie, in der Stephan Eicke anhand von vielen | |
Beispielen eine der Besonderheiten des Metiers analysiert: Abgelehnte | |
Filmmusiken gibt es auch von den erfolgreichsten Komponisten wie Bernhard | |
Hermann, Michael Nyman oder Maurice Jarre. Hier zeigt sich, dass die | |
Filmmusiker dann doch in der Hierarchie der Filmwerke weit unten stehen und | |
dass die Produzenten oft, wenn ein Film nicht funktioniert und es zu spät | |
für Nachdrehs und Schnittänderungen ist, zumindest die Musik austauschen – | |
und dann auf das Beste hoffen. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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