# taz.de -- Wenig Personal: Hamburgs Jugendämter hoch belastet | |
> 90 zu bearbeitende Fälle gab es im Jahr 2013 pro Sachbearbeiter. Viele | |
> von ihnen sind Berufsanfänger. Ein Professor fordert die Obergrenze von | |
> 28 Fällen | |
Bild: Wird gedrängt, Fallobergrenzen für die Jugendamtsmitarbeiter zu vereinb… | |
HAMBURG taz | Die Grüne Jugendpolitikerin Christiane Blömeke hat den Fall | |
Yagmur zum Anlass genommen, den Senat zu fragen, wie hoch die Fallbelastung | |
der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in den Jahren 2012 und 2013 war. Das | |
Mädchen Yagmur wurde im Dezember in ihrem Elternhaus zu Tode geprügelt, | |
obwohl nacheinander die Jugendämter Bergedorf, Eimsbüttel und Mitte für | |
ihren Schutz zuständig waren. | |
Heraus kamen erschreckende Zahlen. Im Jahr 2013 war ein ASD-Mitarbeiter im | |
Durchschnitt für knapp 90 Fälle zuständig. Dabei wurden sowohl laufende als | |
auch in diesem Jahr abgeschlossene Fälle gezählt. Ganz vergleichbar mit | |
früheren Zahlen sind diese nicht, da die im Mai 2012 neu eingeführte | |
Software JUS-IT mehr Arbeitsschritte erfasst als die Vorgängerversion. | |
Doch für Blömeke sind diese Daten alarmierend. 90 Fälle seien viel zu viel, | |
sagte sie. „Wie sollen da Hausbesuche und eine sorgfältige Bearbeitung | |
aller Anliegen möglich sein.“ Die Senatsantwort weist für einzelne der 33 | |
Jugendamtsabteilungen sogar 100 oder gar 125 Fälle pro Mitarbeiter aus. | |
Seit Jahren fordern Opposition und Ver.di Fallobergrenzen für die ASDs. | |
Mehr als 28 Fälle pro Mitarbeiter sollten es nicht sein, schreibt jetzt | |
auch der Sozialpädagogik-Professor Manfred Neuffer in einem Papier über | |
„Konsequenzen aus dem Todesfall Yagmur“. Der Koblenzer Pädagogik-Professor | |
Christian Schrapper, der 2012 nach dem Todesfall Chantal eine | |
Organisationsanalyse der Hamburger ASDs verfasste, empfahl Sozialsenator | |
Detlef Scheele (SPD) bereits damals mit den ASDs Fallzahlobergrenzen zu | |
vereinbaren. Anders werde die „dringend notwendige Konsolidierung dieses | |
Arbeitsfeldes nicht gelingen“. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass es in | |
den Teams erfahrene Mitarbeiter gibt. | |
Doch der Anteil von Berufsanfängern in den ASDs liegt bei 42 Prozent. In | |
Bergedorf und Wandsbek waren Mitarbeiter mit mehr als drei Jahren | |
Berufserfahrung sogar in der Minderheit. | |
Der Senat verweist in seiner Antwort auf die Maßnahmen zur Stärkung der | |
ASDs. Unter anderem sei dieser Bereich von Konsolidierungen ausgenommen, | |
auch würden freie Stellen unverzüglich neu besetzt. Dies sei angesichts der | |
Umstände eine „Herkules-Aufgabe“, sagt Sozialbehördensprecher Marcel | |
Schweitzer. | |
Gleichwohl stehe nun mit JUS-IT ein Instrument zur Verfügung, das deutlich | |
mache, dass eine reine Fallzählung „zu kurz greift“. Deshalb sei man nun | |
unter Federführung des Bezirks Wandsbeks dabei, ein | |
„Personalbemessungssystem“ zu erarbeiten. Doch dieses kündigen | |
SozialsenatorInnen unterschiedlicher Regierungen seit fünf Jahren an. | |
„Es ist schwer, anzusehen, wie hier seit Jahren nichts passiert“, sagt die | |
Ver.di-Sekretärin Sieglinde Friess. Die Mitarbeiter hätten immer schon | |
gesagt, dass sie real mit 90 bis 100 Fällen zu tun hätten. Hinzu kämen die | |
hohen Dokumentationspflichten, so dass sie nur noch 30 Prozent ihrer Zeit | |
den Kindern und Familien widmen könnten. | |
In diese Richtung geht auch die Kritik Neuffers. Die Tätigkeit der ASDs sei | |
durch „Richtlinien, Handreichungen und Formularwesen überreguliert“, | |
schreibt er in seinem Papier, dass sich auch an die Behörde richtet. Deren | |
Sprecher sagte dazu: „Das kommentieren wir nicht.“ | |
23 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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