# taz.de -- Bericht zum Fall Yagmur: Eine Kette von Fehlern | |
> Im Geflecht der Zuständigen ist das Bewusstsein für die Gefährdung des | |
> getöteten Mädchens abhanden gekommen, stellt die Jugendhilfeinspektion | |
> fest. | |
Bild: Mussten viel erklären: Sozialsenator Scheele (v. l.) und die Bezirksamts… | |
HAMBURG taz | Die kleine Yagmur könnte noch leben, wenn sich das | |
Bewusstsein ihrer Gefährdung nicht zwischen den verschiedenen beteiligten | |
Institutionen verflüchtigt hätte. Diesen Eindruck erweckt der | |
Untersuchungsbericht der Jugendhilfeinspektion im Fall der im Dezember | |
durch Misshandlung getöteten Dreijährigen, den die Sozialbehörde am | |
Donnerstag in einer geschwärzten Fassung veröffentlichte. „Es gibt nicht | |
den einen entscheidenden Fehler, sondern viele Fehler aus unterschiedlichen | |
Institutionen“, sagte Horst Tietjens, einer der Autoren. | |
Yagmur war vor einem Jahr von ihren Eltern in ein Kinderkrankenhaus | |
gebracht worden – das dritte Mal binnen sechs Monaten. Die Ärzte stellten | |
Blutergüsse im Gehirn fest, Abschürfungen und Blutergüsse am Körper und | |
eine durch Schläge entstandene Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Das | |
Mädchen wurde notoperiert. Das Institut für Rechtsmedizin erstattete | |
Anzeige wegen des Verdachts auf Kindesmisshandlung. Yagmur kam in ein | |
Kinderschutzhaus. Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) beantragte beim | |
Familiengericht, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. | |
Da die Blutergüsse im Gehirn einige Wochen bis Monate alt waren, machte | |
sich eine Pflegemutter, die das Kind zu der Zeit betreute, Vorwürfe, sie | |
könnte die Verletzungen verursacht haben. Dieser Verdacht zerschlug sich | |
zwar im Laufe der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, blieb aber in der | |
Wahrnehmung des Hilfesystems dominant und führte im Mai zu dem Beschluss, | |
das Kind seinen Eltern zurückzugeben. Dass die Verletzung der | |
Bauchspeicheldrüse nur ein bis zwei Tage alt war – also entstand, als sich | |
das Kind bei seinen leiblichen Eltern aufhielt –, hätten die Fallbetreuer | |
durch einen Anruf beim Institut für Rechtsmedizin herausfinden können. Es | |
hat aber keiner angerufen. | |
Im Laufe des Sommers wechselte die Zuständigkeit für Yagmur vom Bezirksamt | |
Eimsbüttel auf das Bezirksamt Mitte. Die Übergabe wurde nicht dokumentiert. | |
Daher bleibt offen, ob von den staatsanwaltlichen Ermittlungen und dem | |
immer noch laufenden Sorgerechtsverfahren die Rede war. | |
Weitere Fehler kamen hinzu: Eine Bedingung für die Eltern, wenn sie das | |
Kind wieder betreuen wollten, war, Yagmur in die Kita zu schicken. Der ASD | |
nahm es hin, dass die Eltern nach drei Wochen damit aufhörten. Die Kita | |
meldete blaue Flecken und Blut in Yagmurs Nase nicht dem ASD. | |
Und schließlich ging beim ASD in Mitte die Mitteilung der | |
Staatsanwaltschaft ein, Yagmurs Verletzungen könnten nicht von der | |
Pflegemutter stammen. Das Verfahren gegen sie werde eingestellt – auch das | |
gegen die Eltern, weil eine Täterschaft nicht nachgewiesen werden könne. | |
Hätte der Fallbearbeiter, wie von der Staatsanwaltschaft gewünscht, nicht | |
nur die Zusammenfassung der Akte gelesen, hätte er oder sie gegenüber den | |
Eltern misstrauisch werden müssen. Denn damit war wieder offen, wer Yagmur | |
so zugerichtet hatte. | |
Der Bericht stellt fest, dass die Personalsituation in der Jugendhilfe | |
schwierig ist. Die Behörde wies darauf hin, dass sie Personal einstelle, | |
sich aber schwer tue, welches zu finden. Sie will die Übergabeprozedur | |
verbessern, das Kinder- gegenüber dem Elternrecht stärken und zusehen, dass | |
Kinder aus Problemfamilien in die Kita gehen. | |
30 Jan 2014 | |
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