# taz.de -- Kindesmisshandlung: Wieder ein totes Kind | |
> Die dreijährige Yagmur starb in der elterlichen Wohnung. Ein Hamburger | |
> Jugendamt gab das Kind trotz des Verdachts der Misshandlung zu den Eltern | |
> zurück. | |
Bild: Nach ihrem Tod zündeten Nachbarn vor der Tür Kerzen an. | |
HAMBURG taz | Am 2. August zog die dreijährige Yagmur erstmals mit ihren | |
leiblichen Eltern in eine gemeinsame Wohnung im Hamburger Stadtteil | |
Mümmelmannsberg. An diesem Mittwoch früh morgens starb sie dort. Die Mutter | |
alarmierte kurz nach 5 Uhr die Feuerwehr. Sie sagte, ihr Kind sei gestürzt. | |
Eine Eilobduktion ergab, dass das Mädchen an einem Riss in der Leber | |
verblutet war. Die Mediziner entdeckten auch Blutergüsse am Körper. Am | |
Donnerstagnachmittag wurden die 26-jährige Mutter und der 25-jährige Vater | |
dem Haftrichter vorgeführt. Sie stehen unter Verdacht, das Kind misshandelt | |
zu haben. | |
Noch am Montag vor Weihnachten wird der Familienausschuss der Hamburger | |
Bürgerschaft zu einer Sondersitzung zusammentreten. Zu klären ist: Haben | |
die Behörden eine fatale Fehlentscheidung gefällt? In der Hamburger | |
Sozialbehörde gab es bereits eine Krisensitzung. Der Sozialsenator Detlef | |
Scheele (SPD) sei sehr bestürzt, hieß es. Eine Stellungnahme gibt es noch | |
nicht. | |
Für das Kind waren drei Jugendämter zuständig. Die widersprechen sich nun. | |
Das kleine Mädchen wurde im Oktober 2010 geboren, damals war das Jugendamt | |
Bergedorf zuständig. Die Eltern gaben das Baby in eine Pflegefamilie, weil | |
sie sich überfordert fühlten und keine eigene Wohnung hatten. Seit April | |
2012 war deshalb der Bezirk Eimsbüttel für das Kleinkind zuständig. Die | |
Eltern behielten aber das Sorgerecht und besuchten Yagmur. Anfang des | |
Jahres 2013 kam das Kind mit einer schweren Kopfverletzung ins | |
Kinderkrankenhaus. Es wurde aus der Pflegefamilie genommen und lebte einige | |
Monate in einem Kinderschutzhaus. | |
„Es gab damals den hochgradigen Verdacht auf Misshandlung des Kindes“, sagt | |
die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nana Frombach. Ermittelt worden sei | |
sowohl gegen die Pflegeeltern als auch gegen die Eltern. Doch nach einem | |
Gutachten hätte sich die Ermittlungen gegen die Ersatzeltern als | |
unbegründet herausgestellt. Das Verfahren sei im November eingestellt | |
worden, weil nicht geklärt werden konnte, wer für die Verletzungen | |
zuständig war. Den Verdacht gegen die Eltern habe es weiter gegeben, sagt | |
Frombach. „Das wurde auch in der Meldung an das Jugendamt so dargestellt.“ | |
Doch zu diesem Zeitpunkt wohnte das Kind längst in der Familie. Die | |
Entscheidung, es den Eltern zurückzugeben, war schon früher gefallen. | |
Andy Grote, der Chef des Bezirksamts Mitte, war schon am Mittwoch vor die | |
Presse getreten. Der Fall gehe ihm nahe, auch weil er unter | |
Jugendamtsbetreuung geschah. Seit dem 1. Juli sei sein Bezirk für Yagmur | |
zuständig. Es habe viele Kontakte und Hausbesuche gegeben und „keine | |
Meldung auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung“. | |
Doch das Bezirksamt Eimsbüttel erklärt, es habe den Fall schon viel früher | |
abgegeben. „Wir waren zwischenzeitlich zuständig bis Beginn 2013. Dann im | |
Januar, Februar sind die Akten nach Mitte rübergegangen“, sagt Sprecher | |
Elmar Schleif. Mitte-Sprecherin Sorina Weiland konnte diesen Widerspruch | |
nicht aufklären. Das seien Fragen, die gerade geprüft würden. Auch die | |
Chefs der beteiligten Bezirksämter trafen sich zu einer Krisensitzung. Sie | |
wollen die neu geschaffene „Jugendhilfe-Inspektion“ einschalten. | |
Es bleibt eine Lücke von etwa vier Monaten von März bis Juni, in der die | |
Rückführung zu den Eltern möglicherweise schon angebahnt wurde, und für die | |
unklar ist, welches Jugendamt „fallzuständig“ war. In dieser Zeit lebte | |
Yagmur im Kinderschutzhaus, das vom der Sozialbehörde angegliederten | |
Landesbetrieb Erziehung und Beratung betrieben wird. Über die Frage, ob | |
Eltern das Sorgerecht behalten, entscheiden die Familiengerichte. | |
Grüne und CDU forderten Aufklärung. Man werde das Handeln von allen | |
staatlichen Stellen „bis in den letzten Winkel durchleuchten“, sagte der | |
CDU-Abgeordnete Christoph de Vries. | |
Sieglinde Friess von der Gewerkschaft Ver.di verwies auf den neuen | |
Kinderschutzbericht, demzufolge die Meldungen über Kindeswohlgefährdung von | |
2011 auf 2012 um knapp 20 Prozent angestiegen sind. „Die Kollegen in den | |
Jugendämtern haben die ganze Zeit das Gefühl, sie schaffen die Arbeit nicht | |
mehr.“ | |
19 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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