| # taz.de -- Erinnerung an zu Tode misshandeltes Kind: „Sie hat den Schmerz ve… | |
| > Benjamin Bayer stellt in Hamburg seinen Spielfilm über Yagmur vor, die im | |
| > Alter von drei Jahren von ihrer Mutter getötet wurde. | |
| Bild: 2013 starb in Hamburg die 3-jährige Yagmur durch die Misshandlungen ihre… | |
| taz: Herr Bayer, wie kam es dazu, dass Sie einen Film über das Leben von | |
| Yagmur gedreht haben, die im Alter von drei Jahren von ihrer Mutter getötet | |
| wurde? | |
| Benjamin Bayer: Es gab eine Ausschreibung der [1][Yagmur-Stiftung] für das | |
| Erstellen eines Drehbuchkonzepts, das sich dokumentarisch oder | |
| fiktionalisiert mit dem Leben und dem Tod von Yagmur auseinandersetzt. | |
| taz: War für Sie die Entscheidung für den fiktionalen Zugang direkt klar? | |
| Bayer: Ich arbeite hauptberuflich an lebensgeschichtlichen | |
| Zeitzeugeninterviews und mir wurde klar, dass eine dokumentarische | |
| Aufarbeitung schnell an ihre Grenzen stoßen würde. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Bayer: Rein formal, weil man da die Persönlichkeitsrechte der beteiligten | |
| Menschen wahren muss. Und emotional, weil die Grausamkeit, die in diesem | |
| Kinderschicksal enthalten war, ein solches Ausmaß hatte, dass sich die | |
| meisten Menschen aus Selbstschutz distanzieren. Mir war klar, dass ich den | |
| unbändigen Lebenswillen dieses Mädchens vermitteln wollte. | |
| taz: Können Sie das genauer beschreiben? | |
| Bayer: Der zeigt sich in den sehr schmerzhaften Beschreibungen, wie sie den | |
| [2][Schmerz der wiederkehrenden Verletzungen durch die Mutter] verborgen | |
| hat, um am Leben teilzunehmen. Zum Beispiel wurde sie trotz schwerer | |
| innerer Verletzungen noch fröhlich auf einer Geburtstagsfeier kurz vor | |
| ihrem Tod fotografiert, mit verschmiertem Schokoladenkuchen-Mund. | |
| taz: Sie zeigen das reale Leben Yagmurs und gleichzeitig ein fiktionales, | |
| das sie hätte führen können, wenn sie überlebt hätte. Ist das ein | |
| Entgegenstemmen gegen das Unrecht dieses Todes, wenn auch nur filmisch? | |
| Bayer: Ja, es ist ein Entgegenstemmen sowohl aus unserer Sicht als | |
| Beobachter als auch ein Entgegenstemmen des Kindes, das auf seinem Recht | |
| beharrt, unversehrt an Körper und Seele aufwachsen zu können. Sie durchlebt | |
| in den Sekunden ihres Todes ein ganzes Leben: Sie findet Freunde, sie geht | |
| zur Schule, sie ist bei einer Party. | |
| taz: Warum gibt es so viele Darstellerinnen für Yagmur im Film? | |
| Bayer: Es gibt Auflagen für die Arbeit mit Kindern vor der Kamera, deswegen | |
| musste die Rolle mehrfach besetzt werden. Wir hatten immer mehrere Kinder | |
| am Set, sodass wir zu jedem Zeitpunkt, wenn eines der Kinder gerade eine | |
| Auszeit brauchte, sagen konnten: Pause. Außerdem zeigen wir Yagmur ja vom | |
| Baby bis zur 18-Jährigen – unsere jüngste Darstellerin war acht Monate alt | |
| und die älteste 22 Jahre. | |
| taz: Wie viel wussten die Kinder jeweils über die Geschichte der echten | |
| Yagmur? | |
| Bayer: Wir hatten für die verschiedenen Kinder je nach Alter eine | |
| kindgerechte Erklärung. Gerade für die Darstellerinnen in Szenen, in denen | |
| zur Darstellung von Gewalt kommt, gab es die Lesart: Das ist Spektakel, das | |
| ist ein Spiel. Wir haben, das mag sich skurril anhören, oft gelacht. Das | |
| Filmblut, das im Haar klebt, riecht zum Beispiel nach Himbeere und wir | |
| haben daraus ein Fingerfarbenspiel gemacht. | |
| taz: Bei der Erstaufführung des Films wird auch eine Cousine von Yagmur | |
| dabei sein. Haben Sie sich für den Film mit Yagmurs Umfeld ausgetauscht? | |
| Bayer: Nein. Ich habe mich mit den öffentlich verfügbaren Informationen, | |
| etwa den Gerichtsakten, auseinandergesetzt. Natürlich gibt es genauso | |
| erzählwürdige Schicksale von Menschen in Yagmurs Umfeld und die Frage: | |
| [3][Haben die Behörden ihre Pflicht erfüllt?] Dazu äußern wir uns im Film | |
| nicht. Mich haben das Schicksal dieses Kindes und vor allem seine | |
| Empfindungen interessiert. | |
| taz: Haben Sie ein Fazit? | |
| Bayer: Diese unglaubliche Lebensfreude war etwas Positives in der dunklen | |
| Welt, in der sie lebte. Man kann viel besser für etwas Schützenswertes | |
| kämpfen, wenn man diesen positiven Sinn spüren kann. Ich hoffe, es ist | |
| gelungen, im Film den Hinweis zu geben, dass wir täglich mit sehr dunklen | |
| Welten in Kontakt kommen und es uns dann überlassen ist, Zivilcourage zu | |
| zeigen. Dass wir gerade in dieser Zeit, in der alle panisch um ihre | |
| Ressourcen kreisen, das aufeinander Achtgeben mehr ins Auge fassen. | |
| 15 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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