# taz.de -- Rede von Sibylle Lewitscharoff: Eine schreckliche Tirade | |
> Künstliche Befruchtung sei „widerwärtig“, Onanie müsse verboten werden, | |
> sagt die Büchnerpreisträgerin Lewitscharoff. Wie kommt sie bloß dazu? | |
Bild: Ein „Onanieverbot“ erscheint ihr „weise“: Sibylle Lewitscharoff. | |
Was für eine schreckliche, menschenverachtende Tirade! Es müssen der | |
Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff alle | |
Sicherungen durchgebrannt sein, als sie am Sonntag in ihrer [1][Dresdner | |
Rede] im dortigen Schauspielhaus über „Geburt und Tod“ vom Leder zog. Und | |
mit großer Dankbarkeit nimmt man zur Kenntnis, dass sich das Dresdner | |
Staatsschauspiel als Mitveranstalter schnell und entschieden in einem | |
[2][Offenen Brief] von dieser Rede distanziert hat. | |
Was Sibylle Lewitscharoff in der ihr eigenen deutlich artikulierenden und | |
manche Sätze geradezu ausschmeckenden Art da vorträgt, ist hanebüchen. An | |
ihrem Tonfall kann man erkennen: Es ist ihr nicht einfach unterlaufen, es | |
ist auch kein schwiemeliger Tabubruch. Es ist eine klare Ansage: Genau das | |
wollte Sibylle Lewitscharoff einmal grundsätzlich loswerden. | |
Ein „Onanieverbot“ erscheint ihr „weise“. Wenn Sperma zur künstlichen | |
Befruchtung eingesetzt wird, ist ihr das „nicht nur suspekt“, ihr erscheint | |
es „absolut widerwärtig“. Aus dem Vorgang, „auf künstlichen Wegen eine | |
Schwangerschaft zustande zu bringen“, resultiert für sie „der eigentliche | |
Horror“: „Es geht dabei sehr rein und fein und vernünftig zu. Der Vorgang | |
selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“ Die Fälle, „in denen sich | |
lesbische Paare ein Kind besorgen, indem entweder […] ein anonymer Spender | |
oder ein naher Verwandter der Freundin der künftigen Mutter herangezogen | |
wird, um sein Sperma abzuliefern“, erscheint ihr „grotesk“. | |
Und dann kommt es erst. Für Kinder, die durch künstliche Befruchtung | |
entstanden sind, hat Sibylle Lewitscharoff nur Abscheu übrig. Sie sagt, | |
dass ihr „das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig | |
erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen | |
Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in | |
meinem Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches | |
Weißnichtwas.“ Hier baut die Schriftstellerin eine kleine Abschwächung ein, | |
die in Wahrheit aber wie eine rhetorische Verstärkung funktioniert: „Das | |
ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein | |
gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die | |
Vernunft.“ | |
## Was soll das? | |
Wie kommt sie dazu? Was für ein Sprechakt ist das? Will Sibylle | |
Lewitscharoff Zeugnis ablegen? Will sie für einen rigiden christlichen | |
Fundamentalismus werben? Mit Ausführungen über das Gottvertrauen hatte sie | |
die Rede begonnen. Man weiß es nicht. Und, ehrlich gesagt, man möchte es | |
auch gar nicht wissen. „Halbwesen“. „Zweifelhafte Geschöpfe“. „Absch… | |
Das ist alles einfach zu heftig. | |
Und die Rede geht noch weiter. Lewitscharoff: „Mit Verlaub, angesichts | |
dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die | |
Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem | |
Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose | |
Übungsspiele vor.“ Nach diesem ungeheuerlichen Satz fügt sie ein „Ich | |
übertreibe, das ist klar, ich übertreibe“ an – aber das kann natürlich a… | |
nichts mehr retten. In mehr als klaren, in deftigen Worten wertet Sibylle | |
Lewitscharoff hier nicht nur alle Versuche ab, sich durch künstliche | |
Befruchtung einen Kinderwunsch zu erfüllen. Sie wertet auch die Kinder, die | |
auf diesem Weg gezeugt worden sind, massiv ab. Gottvertrauen und eine | |
mittelalterliche Sexualmoral – alles andere erfüllt sie mit Abscheu. | |
Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, schreibt in seinem | |
[3][Offenen Brief]: „Es gibt einen Punkt, der die Dresdner Rede vom 2. März | |
gefährlich macht. Das ist das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das | |
tropfenweise verabreichte Gift.“ Der Offene Brief schließt mit dem Satz: | |
„Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten | |
wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche | |
Worte.“ | |
Dem kann man sich nur anschließen. Und als Agnostiker möchte man zusätzlich | |
noch fragen: Sind solche Abwertungen von Kinderwünschen, von elterlicher | |
Liebe und von Kindern eigentlich christlich? Wie religiöser | |
Fundamentalismus ins Menschenfeindliche umschlagen kann, das kann man an | |
dieser Rede jedenfalls gut studieren. | |
Aber, viel basaler, ist die Rede noch etwas: ein aggressiver, radikal | |
unhöflicher Akt. Sibylle Lewitscharoff nutzt die Autorität, die sie als | |
bekannte Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin hat, um Menschen | |
zutiefst zu beleidigen, aufgrund ihrer Sexualität und weil sie sich legaler | |
Mittel bedienen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen – aufgrund von | |
Dingen also, die Sibylle Lewitscharoff überhaupt nichts angehen. Das ist | |
nichts anderes als unanständig. | |
Im April kommt ihr neuer Roman im Suhrkamp-Verlag heraus. Es gilt die | |
klassische Unterscheidung zwischen den öffentlichen Äußerungen von Autoren | |
und ihren Werken. Wie man aus der Literaturgeschichte weiß, können auch | |
politisch fragwürdige und menschenverachtende Schriftsteller interessante | |
Bücher schreiben. Aber dass man jetzt große Lust hat, dieses Buch zu lesen, | |
kann man nicht sagen. | |
6 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.staatsschauspiel-dresden.de/download/18984/sibylle_lewitscharoff… | |
[2] http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/und_ausserdem/dresdner_red… | |
[3] http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/und_ausserdem/dresdner_red… | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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