# taz.de -- Dramaturg Koall über seine Kritik: „Lewitscharoffs Thesen sind a… | |
> Robert Koall schrieb den Offenen Brief an Sibylle Lewitscharoff. | |
> Besonders ihr Sprachduktus sei gefährlich, ihr Gesellschaftsbild | |
> kleingeistig und religiös-verbrämt. | |
Bild: Das Dresdner Schauspielhaus. „Man traute seinen Ohren nicht.“ | |
taz: Herr Koall, in einem [1][Offenen Brief an die Schriftstellerin Sibylle | |
Lewitscharoff] bezeichnen Sie ihre [2][Rede im Dresdner Schauspielhaus] als | |
„gefährlich“. Was genau ist das Gefährliche an ihren Thesen? | |
Robert Koall: Ich wende mich ja gar nicht gegen ihre [3][Thesen]. Die teile | |
ich nicht, empfinde sie abstrus und zum Teil als nicht von dieser Welt, | |
aber damit habe ich kein großes Problem. Das fällt unter die | |
Meinungsfreiheit und die hält man aus. Ich finde den Sprachduktus | |
gefährlich und wende mich gegen den Sprachraum, in dem sie sich bewegt. Ich | |
unterstelle ihr, dass sie sich darüber sehr genau bewusst ist, als | |
Schriftstellerin muss sie das. | |
Gefährlich ist, dass da ja niemand Verwirrtes vom rechten Rand spricht, | |
sondern Frau Lewitscharoff, die mit dem höchsten Literaturpreis der | |
Republik ausgezeichnet worden ist (2013 erhielt sie den Georg-Büchner-Preis | |
– d.R.) und die durchaus interessante Bücher geschrieben hat. Sie stand | |
zwar schon immer ein bisschen in dem Ruch, konservativ zu denken, gerade in | |
Glaubensfragen, aber war nicht bekannt dafür, derartig steile Thesen zu | |
vertreten. Wenn so jemand aus der bürgerlichen Mitte unwidersprochen solch | |
ungeheuerliche Sachen sagen darf, wie sie das auf unserer Bühne getan hat, | |
dann finde ich das in der Tat gefährlich – und deswegen habe ich mich zum | |
Widerspruch herausgefordert gefühlt. | |
Wenn es kein Versehen war, welche Motivation liegt Ihrer Meinung nach der | |
Rede zugrunde? Ist es die Lust am Tabubruch oder ein bewusster politischer | |
Akzent für ihre politisch-kulturellen Ansichten? | |
Ich weiß nicht, welcher Mission sie folgt. Ich weiß nur, dass sie eine | |
streitbare Person ist, die Widerspruch herausfordert, was ich angenehm | |
finde. Schade nur, dass sie es auf diese Art und Weise tut. Immerhin haben | |
wir jetzt eine Debatte. | |
Sie haben sie in eine Reihe mit Thilo Sarrazin und Matthias Matussek | |
gestellt. Wo sehen sie das verbindende Element zwischen den dreien? | |
Ich will sie nicht in eine Reihe stellen, sie kommen aus ganz | |
unterschiedlichen Ecken. Aber alle drei benutzen eine sorgsam gewählte | |
Sprache, die sich in die gesellschaftliche Debatte als Gift einschleicht, | |
weil sie plötzlich zu einem normalen Ton zu werden droht, wenn ihr nicht | |
widersprochen wird. Diesen Tendenzen muss man möglichst früh | |
entgegenwirken. Was sich im Moment an Widerspruch und Empörung regt, zeigt, | |
dass die Gesellschaft noch in einem guten Zustand ist. | |
Während der Rede im Schauspielhaus blieb es aber ruhig. Niemand hat | |
öffentlich protestiert. | |
Es stimmt, es gab keine Zwischenrufe. Ich glaube aber, dass es auch daran | |
lag, dass man seinen Ohren nicht traute. So ging es mir ja auch: Ich stand | |
am Rand und brauchte immer wieder einige Sekunden, um mich selber in die | |
Realität zurückzubeamen und zu sagen, dass hat sie doch gerade nicht | |
wirklich gesagt. Ich bedauere zutiefst, dass ich nicht die Kaltblütigkeit | |
besessen habe, in den Schlussapplaus hinein auf die Bühne zu gehen und sie | |
zu einem Gespräch über das Gesagte aufzufordern. Es ist schade, dass ich es | |
in diesem Moment nicht hingekriegt habe, die Debatte sofort öffentlich | |
auszutragen. Deshalb war ich danach fast gezwungen, den Brief zu schreiben. | |
Erst mit dem Brief ist die Debatte entstanden. Niemand sonst hat sich | |
öffentlich gegen die Thesen von Sibylle Lewitscharoff gestellt. Auch in | |
einem Artikel in der [4][Sächsischen Zeitung] wurde die Rede als „mutig“ | |
bezeichnet. Wie erklären sie sich das? | |
Die anwesende Presse hat in der Tat sehr gemäßigt reagiert. Aber die | |
Reaktionen, die jetzt vom Publikum kommen, zeigen, dass es durchaus eine | |
große Erregung bei den Leuten gab, aber eben auch eine gewisse | |
Hilflosigkeit darüber, wohin diese zu richten sei. Mir wird gerade sehr | |
viel gedankt, der Kritik Ausdruck verliehen zu haben. Aber warum die Wellen | |
jetzt erst so hoch schlagen, weiß ich nicht. | |
Weil es schwerfällt, den Thesen angemessen entgegenzutreten? | |
Mir geht es um die Geisteshaltung, die dahintersteckt. Wir leben im Jahr | |
2014 in einem Land, das sich auf Solidarität, Gemeinschaft und Toleranz | |
gründen sollte, und nicht in einer kleingeistigen, engen, | |
religiös-verbrämten Gesellschaft von Fundamentalisten, die bestimmtes | |
menschliches Leben als weniger wertvoll als anderes menschliches Leben | |
erachtet. | |
Wie soll mit jemandem, die für eine solche Gesellschaft steht, nun in der | |
öffentlichen Debatte umgegangen werden? Würden Sie sich erneut mit ihr auf | |
ein Podium setzen? | |
Mein Bedarf an der Weltanschauung von Frau Lewitscharoff ist im Moment | |
gedeckt. Aber als Gesellschaft muss man eine Meinung wie die ihre | |
aushalten. Nur in dem Moment, wo sie wieder auf einem Podium sitzt und | |
wieder Menschen die Würde abspricht, hat sie nicht mehr das Recht, ein | |
öffentliches Mikrofon unter die Nase gehalten zu bekommen. | |
6 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/und_ausserdem/dresdner_red… | |
[2] /Rede-von-Sibylle-Lewitscharoff/!134309/ | |
[3] /Rede-von-Sibylle-Lewitscharoff/!134309/ | |
[4] http://www.sz-online.de/nachrichten/der-fortschritt-hat-einen-pferdefuss-27… | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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