# taz.de -- Reaktion auf Lewitscharoffs Rede: Ins Gesicht gespuckt | |
> Kinder haben das Recht zu erfahren, woher sie stammen. Das bedeutet | |
> nicht, dass dem Kinderwunsch nicht künstlich nachgeholfen werden darf. | |
Bild: Künstliche Befruchtung einer Eizelle mit einer Injektionspipette. | |
Sibylle Lewitscharoffs in Dresden gehaltene [1][Rede „Von der Machbarkeit. | |
Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“], die [2][soviel | |
Aufregung erzeugt hat], hat einige wichtige Themen angesprochen. Die | |
Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin und der Pränataldiagnostik können | |
missbraucht werden. Sie können dazu führen, dass das perfekte Kind | |
hergestellt werden soll. Sie können dazu führen, dass bestimmte | |
Behinderungen aus unserer Welt weitgehend verschwinden. Und dazu – das | |
geschieht bereits täglich –, dass Eltern, die zum Beispiel ein Kind mit | |
Trisomie 21 haben, gesagt bekommen, so etwas sei doch heute nicht mehr | |
möglich. | |
Es ist auch unschön, wenn Männer als Samenspender missbraucht werden und | |
gegen ihren Wunsch von der Vaterschaft ausgeschlossen werden. Es ist ferner | |
bekannt, dass Kinder ein starkes Bedürfnis haben, ihre biologischen Wurzeln | |
zu kennen, und darunter leiden, wenn ihnen das verwehrt bleibt. Das alles | |
sind wichtige moralische Fragen, mit denen sich zukünftige Eltern | |
auseinandersetzen müssen. Es sind auch Fragen, mit denen man die Eltern | |
nicht allein lassen darf. Sie sind diskutierbar. | |
Frau Lewitscharoff hat also in Dresden eine Rede gehalten, in der sie alle | |
diese Fragen ansprach. Es war ihr sehr, sehr ernst, das hat sie ausführlich | |
betont. | |
Man kann zu diesen Fragen sehr unterschiedlicher Meinung sein. Es ist aber | |
nicht hilfreich, wenn man wie Frau Lewitscharoff alles, was sich hinter | |
ihrem Horizont befindet, in einen Topf wirft, Leihmutterschaft, | |
Reagenzglasbefruchtung, ein Bekannter als biologischer Vater für das Kind | |
zweier Frauen, Onanie zur Samengewinnung und vieles mehr. Für Frau | |
Lewitscharoff ist alles „absolut abscheulich“, „widerwärtig“, „vom T… | |
erdacht“, was in Zeugungsdingen sich von dem Vorgang unterscheidet, bei dem | |
ein Mann seinen Penis in eine Vagina steckt. | |
## Verweigerter Respekt | |
Was ich abscheulich finde: den Eltern, die so etwas tun, den Respekt zu | |
verweigern und den dadurch entstandenen Kindern das Menschsein | |
abzusprechen. Sie sei ob dieses „widerwärtigen Fortpflanzungsgemurkses“ | |
geneigt, „Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als | |
Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern | |
zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Auch | |
wenn die Kinder nichts dafür könnten, sei doch ihre „Abscheu (…) in solch… | |
Fällen stärker als die Vernunft“. Für ihre Sätze über die Kinder hat Frau | |
Lewitscharoff sich inzwischen entschuldigt, nicht aber für ihre Abwertung | |
der künstlichen Befruchtung. | |
Meine Kinder haben homosexuelle Eltern. Womöglich lag es nur an Mangel an | |
Phantasie und Mangel an Mut auf beiden Seiten, dass wir eine nach außen | |
normale und nach innen zumindest freundlich und respektvoll funktionierende | |
Familie gründeten. Wir haben alle sechs Glück gehabt, denn es war | |
erschreckend einfach: Man tat das Übliche, es geschah das Erwünschte. Die | |
Kinder wuchsen und wachsen mit Mutter und Vater auf. Inzwischen in | |
getrennten Haushalten. Es war nicht immer einfach, aber in welcher Familie | |
ist es schon immer einfach? | |
Vor der ersten Schwangerschaft, mit Anfang 20, war ich auch der Meinung, | |
Kinderlosigkeit sei ein Schicksal, mit dem man sich eben abzufinden habe. | |
In meiner jugendlichen Arroganz fand ich, man müsse nicht jeden gruseligen | |
Laborscheiß machen. Zum Glück hat mich damals niemand gefragt. Inzwischen | |
weiß ich: Es gab Zeiten, da hätte ich mich nicht abgefunden. Egal, ob ich | |
keinen Vater bei der Hand gehabt hätte oder aus anderen Gründen nicht ohne | |
Weiteres hätte schwanger werden können: Ich hätte sehr, sehr viel dafür | |
getan, Kinder zu haben. Nicht alles, aber doch manches von dem, was Frau | |
Lewitscharoff für Teufelswerk hält. | |
Es hätte mir durchaus Unbehagen bereitet, denn ich halte das pädagogisch | |
für anspruchsvoll: Kinder wollen wissen, woher sie stammen, auch | |
biologisch, sie wollen wissen, wem sie ähnlich sehen oder auch nicht. Sie | |
haben das Recht auf Antworten, und diese Antworten ist ihre Mutter, sind | |
ihre Eltern ihnen schuldig. | |
## Es braucht nicht Mutter und Vater | |
Eltern sind ihren Kindern auch schuldig, ihnen männliche und weibliche | |
Bezugspersonen zur Verfügung zu stellen. Das ist in vielen Fällen nicht der | |
biologische Vater. Zum Beispiel, weil der abgehauen, verlassen worden oder | |
gestorben ist – oder aus anderen Gründen nicht anwesend. Frau Lewitscharoff | |
hat Recht, wenn sie auf dieses Problem hinweist. Sie hat aber Unrecht, wenn | |
sie implizit behauptet, das sei den entsprechenden Eltern egal, und wenn | |
sie davon ausgeht, man könne diese Antworten nicht geben, nur weil sie vom | |
Normalfall abweichen. | |
Ich habe meine Kinder im Vorbeigehen empfangen, auf meine schludrige Art | |
ließen wir eins aufs andere folgen, wie sie halt kamen, immer freudig | |
begrüßt, nicht unbedingt geplant. Ich bin keine tolle Mutter, ich war jung | |
genug, diese ganze Kindersache eher sorglos anzugehen. Ich habe viele | |
Freunde, die lange keine Kinder hatten, und bei denen ich trotzdem wusste, | |
dass sie tolle Eltern sein würden. Sie konnten zum Beispiel wegen | |
Krebserkrankungen auf dem Rein-raus-Weg keine Kinder zeugen. Ich fand es | |
selber manchmal ungerecht, dass es für mich so einfach war, und diese | |
tollen Eltern keine Eltern werden konnten, bis sie zu Mitteln griffen, die | |
Frau Lewitscharoff abstoßend findet. | |
Das war in keinem Fall ein leichter Weg. Jetzt, zehn bis zwanzig Jahre | |
später, haben diese Eltern Kinder. Es sind halt Kinder. Genau so süß und | |
nervig wie andere. Es ist zu 99,9 Prozent scheißegal, wie sie entstanden | |
sind. Die Eltern haben diese Kinder nicht aus Versehen bekommen, sondern | |
haben sie lange ersehnt. Sie haben dafür Opfer gebracht. Sie alle hätten es | |
auch lieber einfacher gehabt. | |
Sie stellen sich auch der Aufgabe, ihren Kindern zu erklären, woher sie | |
kommen. Das ist nur eine von vielen Anforderungen, die Eltern mehr oder | |
weniger schlecht erfüllen. Eltern machen sowieso Fehler, das weiß jeder, | |
der Eltern hat, und jeder, der Kinder hat. Auf eine Fehlerquelle mehr oder | |
weniger kommt es da vielleicht gar nicht so an. | |
Es ist ein Unterschied, ob man diesen Eltern und Kindern ins Gesicht spuckt | |
oder ob man berechtigte Fragen zu den Grenzen des Machbaren stellt. Wer in | |
der Lage ist, über das Allgemeine zu reden und dem Besonderen mit Respekt | |
zu begegnen, mit dem kann man diese Fragen diskutieren. Ich will nicht, | |
dass Kinder nach Maß entstehen. Ich will auch nicht, dass nur die Klugen | |
und Guten Kinder haben dürfen. Jeder zeugungsfähige Depp soll aus Versehen | |
Kinder kriegen dürfen, das gehört dazu. Dann sollen aber auch ein paar | |
Leute, die dafür Opfer bringen, ihre Wunschkinder auf anderem Weg bekommen | |
können. | |
7 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.staatsschauspiel-dresden.de/download/18984/sibylle_lewitscharoff… | |
[2] /Rede-von-Sibylle-Lewitscharoff/!134309/ | |
## AUTOREN | |
Angela Leinen | |
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