# taz.de -- SPD und der Fall Edathy: Der Undankbare | |
> Die SPD ist in der Zwickmühle. Während Sigmar Gabriel sich auf eine | |
> moralische Verurteilung Edathys festlegt, verteidigt der sich streng | |
> juristisch. | |
Bild: Hat ein Problem, dass er nicht so bald loswird: SPD-Chef Sigmar Gabriel. | |
BERLIN taz | Manchmal sagt Schweigen auch in Telefonkonferenzen mehr als | |
viele Worte. Montagmorgen, die wichtigsten Sozialdemokraten der Republik | |
besprechen die Themen der Woche. Ein Präsidiumsmitglied nach dem anderen | |
schaltet sich der Konferenz zu, SPD-Chef Sigmar Gabriel übernimmt die | |
Leitung. | |
Punkt für Punkt wird abgehakt. Die Ergebnisse der Kommunalwahl in Bayern. | |
Die schlimme Lage in der Ukraine. Auch der Mindestlohn, der endlich in die | |
Ressortabstimmung geht, ist Thema. Eine Nachricht allerdings spart die | |
interne Runde aus: die Causa Edathy und ihre jüngste, unschöne Wendung. Das | |
Schweigen ist bezeichnend. | |
Am liebsten würde die SPD-Spitze gar nicht mehr darüber reden. Gabriel und | |
Co. wissen nur zu genau, dass Edathys Name der SPD schadet. Dabei ist | |
längst egal, ob der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker | |
legal handelte, als er sich Nacktbilder von Kindern aus dem Internet lud. | |
Jede Erwähnung Edathys bringt die SPD mit Abgründen in Verbindung, weiß | |
Gabriel. Mit Schmutz und mit Kindesmissbrauch. Nur leider macht Edathy | |
nicht mit. Er lässt sich partout nicht tot schweigen. | |
Jetzt hat der Sozialdemokrat, der sich an einem geheimen Ort in Südeuropa | |
aufhält, dem aktuellen Spiegel erzählt, wie er die Dinge sieht. Es ist | |
seine erste, ausführliche Einlassung zu den Vorwürfen. Bisher äußerte sich | |
Edathy nur in wenigen Sätzen in ausgewählten Medien, oder er postete | |
Kurzkommentare auf seiner Facebook-Seite. Und klar ist: Er nutzt seinen | |
Auftritt für eine Breitseite. | |
## Ein Interview, vier Tage | |
Edathy bezeichnet den Umgang der SPD-Spitze mit sich als „skrupellos“. Er | |
bestreitet, pädophil zu sein. Er bezeichnet sich als Gegner von | |
Kinderpornografie. Und er verteidigt, dass er bei der kanadischen | |
Internetseite Azov Films Videos von Jungen bestellte. „In der | |
Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, | |
übrigens eine lange Tradition.“ | |
Die Spiegel-Reporter hatten Edathy für dieses Interview vier Tage lang | |
immer wieder getroffen, sie sprachen stundenlang in einem Cafe einer | |
Kleinstadt. Edathy hat jedes Wort genau abgewägt, jede Silbe ist | |
gegengelesen und autorisiert. Es ist: Seine Verteidigung in eigener Sache, | |
eine harte Attacke auf die SPD-Führung und eine unmissverständliche Ansage. | |
Edathy will kämpfen. Um seinen Ruf, der längst zerstört ist. Wohl auch um | |
seine Mitgliedschaft in der SPD, die ihn am liebsten möglichst schnell | |
loswerden würde. Und genau da fangen die Probleme für Sigmar Gabriel und | |
die SPD erst wirklich an. | |
Als erster muss Thorsten Schäfer-Gümbel auf Edathy antworten. | |
Schäfer-Gümbel ist Parteivize im Bund und Landeschef in Hessen, ein | |
ruhiger, überlegter Typ. Die SPD-Generalsekretärin ist krank, deshalb | |
absolviert er die Fragerunde mit Journalisten im Berliner | |
Willy-Brandt-Haus. Die Telefonschalte ist da nur wenige Stunden her. „Mich | |
hat das Interview irritiert“, sagt Schäfer-Gümbel auf Nachfrage. „Es ist | |
geprägt von Selbstverteidigung. Ich hätte mir einen selbstkritischeren | |
Umgang gewünscht.“ | |
## Vermessene Umdeutung | |
Auch Kinder, sagt Schäfer-Gümbel, hätten ein Recht am eigenen Bild. Und er | |
fügt hinzu: „Die Anwürfe gegen den Parteivorsitzenden halte ich für | |
absurd“. Damit zielt er auf den schärfsten Satz Edathys. Die SPD-Spitze | |
habe sich aufgrund des Friedrich-Rücktritts in der Defensive gesehen, und | |
sie habe jemandem, der ohnehin am Boden liegt, einen Fußtritt zukommen | |
lassen, sagte der Innenpolitiker in dem Interview. „Das ist taktisch | |
unproblematisch, wenn man hinreichend skrupellos ist.“ Skrupellos? Solche | |
Attacken von einem, der kein Wort des Bedauerns äußert, empfinden viele | |
Sozialdemokraten als ungeheure Provokation. Und als nachgerade vermessene | |
Umdeutung der Affäre. | |
„Diese Darstellung ist undankbar und falsch“, sagt SPD-Fraktionsvize Karl | |
Lauterbach. „Die Parteiführung hat Sebastian Edathy vertraut, und sie | |
betraute ihn mit wichtigen Ämtern. Das hätte sie nicht getan, wenn sie | |
gewusst hätte, dass er sich Nackfotos von Kindern bestellt hat.“ Lauterbach | |
spielt auf den NSU-Untersuchungsausschuss an, den Edathy bis zum Sommer | |
2013 leitete. | |
Edathy galt früher vielen in der Partei als Nachwuchstalent in der | |
Innenpolitik. In Lauterbachs Lesart hat Edathy Vertrauen, das die Partei | |
ihm schenkte, schwer enttäuscht. Warum strebt jemand in einer Partei nach | |
immer höheren Ämtern, wenn er weiß, dass er in seinem Privatleben an einem | |
Abgrund balanciert? „Ich kann nur raten, dass er nicht versucht, sich als | |
Opfer zu stilisieren“, sagt Lauterbach „Sebastian Edathy hat der SPD | |
geschadet. Das ist nicht zu bestreiten. Und er tut es weiterhin.“ Allein | |
das Interview zeige, so Lauterbach, dass ein Parteiausschluss in seinem | |
Fall richtig wäre. | |
Edathys Verteidigung erbost viele SPDler auch deshalb so sehr, weil sie | |
wissen, dass er Munition gegen die Partei liefert. Besonders sein Verweis | |
auf die Kunstgeschichte erntete Empörung in sozialen Netzwerken – und in | |
der Politik. „Edathy kauft Nacktfotos von Kindern nach eigenen Angaben | |
nicht weil er pädophil ist, sondern nur kunstinteressiert. Nicht zu fassen | |
...“, twittert Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. So | |
denken viele. Sozialdemokrat Lauterbach sieht das auch so. Er kommentiert | |
knapp: „Ein Liebhaber der Kunstgeschichte kann ins Museum gehen. Er braucht | |
sich keine Bilder von einem windigen Kinderporno-Dealer aus Kanada zu | |
bestellen.“ | |
## Edathy bleibt Belege schuldig | |
Wenn man mit Sozialdemokraten redet, hört man oft eine Interpretation. | |
Edathy weiche in dem Gespräch aus und flüchte sich in Schutzbehauptungen, | |
mutmaßen sie. Musste er nicht wissen, dass das kanadische Internetportal | |
Bilder missbrauchter Kinder lieferte? Und dass sie den Kunden üblicherweise | |
dazu dienen, sich sexuell zu befriedigen? Solche Überlegungen meidet Edathy | |
in dem Spiegel-Interview. Er gibt lediglich an, dass er bei dem Material, | |
um das es gehe, ausschließen könne, „dass dargestellte Personen für andere, | |
nicht legale Aufnahmen missbraucht wurden.“ Den Beleg für diese Behauptung | |
bleibt er schuldig, auch, weil die Interviewer hier ausnahmsweise nicht | |
nachhaken. | |
In der SPD sorgt das Interview jedoch noch wegen eines anderen Grundes für | |
Aufruhr. Edathy argumentiert streng juristisch, er will vor Recht und | |
Gesetz nichts Falsches getan haben. Und er betont, nicht bewusst | |
parteischädigend gehandelt zu haben. Genau diese Frage wird aber Gegenstand | |
des Parteiordnungsverfahrens gegen ihn sein. Und sie könnte Parteichef | |
Sigmar Gabriel persönlich in die Bredouille bringen. | |
Ihren Kurs hat die Bundesspitze vor Wochen unmissverständlich klar gemacht: | |
Sie unterstützt ein solches Verfahren, an dessen Ende ein Ausschluss | |
Edathys, mindestens aber eine Rüge stehen könnte. Einhellig hat der | |
Vorstand sich dahinter gestellt. Das Bestellen solcher Bilder missachte die | |
Würde und die Persönlichkeitsrechte von Kindern, was gegen die Grundsätze | |
der SPD verstoße, so die allgemeine Lesart. Und: Der Vorstand ist der | |
Ansicht, dass Edathy mit seinem Verhalten die Partei schwer beschädigt hat. | |
Diese Frage kann man jedoch so oder so beantworten. | |
Zuständig für das Verfahren ist die Schiedskommission des SPD-Bezirks | |
Hannover. Und die sendete jüngst ein anderes Signal. Die Genossen ordneten | |
das Ruhen des Verfahrens an, da die Staatsanwaltschaft noch gegen Edathy | |
ermittle. Es gelte, begründete die Schiedskommission, „auch in | |
Parteiordnungsverfahren die im Rechtsstaatsprinzip verankerte | |
Unschuldsvermutung.“ Es deutet sich also bereits ein SPD-interner Konflikt | |
im Fall Edathy an: Hier der moralisch argumentierende Bundesvorstand, dort | |
die juristisch argumentierende Bezirksschiedskommission. Wenn Edathy | |
entschlossen ist, um die Mitgliedschaft in der SPD zu kämpfen, ist das für | |
ihn keine schlechte Ausgangsposition. Und SPD-Chef Gabriel droht ein | |
jahrelanges Gezerre, bei dem die SPD immer wieder mit Kinderpornografie in | |
einem Atemzug genannt wird. | |
17 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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