# taz.de -- Kommunalwahl in der Türkei: Wahlkommission verbietet AKP-Spot | |
> Weil in der Wahlwerbung von Erdogans AKP Nationalfahne und religiöse | |
> Symbole auftauchen, wurde sie untersagt. Bei Twitter geht man von anderen | |
> Gründen aus. | |
Bild: Hand am Po! | |
BERLIN taz | Die Türkische Wahlkommission hat einen Werbespot der | |
regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) für die | |
landesweite Kommunalwahl am 30. März verboten. Der Grund: Laut dem | |
türkischen Wahlgesetz dürfen die Nationalfahne und religiöse Inhalte nicht | |
für Werbezwecke benutzt werden. | |
Dabei flattert in diesem Werbespot nicht einfach irgendwo eine Fahne; | |
vielmehr ist der Spot die Videoversion der [1][paranoiden Rhetorik], der | |
sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seit den Gezi-Protesten vom | |
Frühjahr vergangenen Jahres bedient. Zuletzt sprach er im Zusammenhang mit | |
den Korruptionsvorwürfen und den auf Youtube [2][veröffentlichten | |
Tonbandmitschnitten] von einer „[3][Roboterlobby]“, die in den sozialen | |
Netzwerken dafür sorge, dass Unwahrheiten verbreitet werden. | |
In dem Spot ist zu sehen, wie sich ein maskierter Mann den Zugang zu einem | |
riesigen Turm verschafft, an dessen Spitze eine türkische Fahne weht. Er | |
zerschneidet die Drahtseile, die Seilrolle dreht sich kreischend auf, Fahne | |
fällt herunter, ihr Schatten legt sich über die Stadt und das Land – über | |
den Frisör, der gerade einen Kunden rasiert, über die Studenten in einem | |
Hörsaal, über den Bauer, der mit seinem Traktor das Feld pflügt, den | |
Geschäftsmann, die Hausfrau, den Mann mit dem kurdischen Kopftuch, dem | |
puşi. | |
Doch nach einem ersten Moment des Schreckens laufen die Menschen los, aus | |
dem Hörsaal, von den Feldern, aus den Büros. Nur einer läuft nicht mit: Ein | |
einsamer, älterer Mann in einer Moschee, der die Menschen mit seinen | |
Gebeten unterstützt. | |
In einer Szene ist der Güven-Park in Ankara zu sehen, der bei den Protesten | |
im Sommer mehrfach Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen war und wo der | |
Demonstrant Ethem Sarısülük von [4][einem Polizisten erschossen wurde], in | |
einer besonders gelungenen Szene stürzen sich in Istanbul Menschen ins | |
Meer, um auf die andere Seite zu schwimmen, schließlich sieht man | |
Menschenmassen, die über die Bosporus-Brücke laufen. Während der | |
Gezi-Proteste hatten einige tausend Menschen, weil die Fähr- und | |
Busverbindungen stillgelegt worden waren, die für den Fußgängerverkehr | |
gesperrte Brücke [5][zu Fuß überquert]. | |
## Dramatische Musik, seifiger Pathos | |
In dem AKP-Video strömen die Menschen zum Fahnenturm. Dort angelangt, | |
steigen sie einander auf die Schultern, bis einer in luftiger Höhe sich ein | |
Herz fasst und mit einem Sprung in den Tod das Ende des Drahtseils ergreift | |
und im Fallen die Fahne hochzieht. Am Ende wird Ministerpräsident Erdoğan | |
eingeblendet. „Die Nation beugt sich nicht, die Türkei verliert nicht“, | |
steht neben seinem Konterfei. Die Botschaft: Die Türkei ist Erdoğan. Wer | |
gegen ihn ist, ist gegen die Türkei. | |
Untermalt ist der Spot von einer dramatischen Musik, über die ein Sprecher | |
in dem seifigen Pathos islamistischer Propagandavideos die fünfte bis | |
zehnte Strophe der türkischen Nationalhymne rezitiert, in der ihrem | |
Erdichter Mehmet Akif Ersoy Zeilen wie diese gelungen sind: „Wer opfert | |
sich nicht für dieses paradiesische Vaterland / Märtyrer spritzen hervor, | |
wenn du die Erde zerdrückst, Märtyrer!“ Gesungen werden nur die ersten | |
beiden Strophen; im restlichen Teil des Textes, der in diesem Video | |
wiedergegeben wird, gesellen sich zur Blut-und-Boden-Metaphorik des Anfangs | |
noch religiöse Motive, der Text und das Video enden mit der Zeile: „Die | |
Freiheit ist das Recht meiner gottgläubigen Nation.“ | |
Von der martialischen Botschaft einmal abgesehen, ist die filmische Idee, | |
dass sich Menschen zu einem Berg auftürmen, vielleicht nicht schlecht. Sie | |
ist nur geklaut. Und zwar aus einem alten [6][Werbespot von Sony für die | |
Spielkonsole Playstation 2]. Trotz des Donnerstagfrüh verhängten Verbots | |
berichteten auf Twitter türkische Fernzuschauer, dass der Spot weiterhin im | |
Fernsehen zu sehen gewesen sein. Eine ganze Reihe von Fernsehsendern ist | |
eing mit der [7][AKP-Regierung verflochten]. | |
Türkische Twitter-User haben derweil eine andere Erklärung für das Verbot | |
gefunden: So hat der [8][User Mete Yalçın] ein Screenshot von einer Szene | |
aus dem Spot gemacht, in der zu sehen ist, wie ein Mann von unten einem | |
anderen in den Schritt greift. „Die AKP-Werbung wurde aus diesem Grund | |
verboten“, schreibt er. | |
In der Vergangenheit haben verschiedene Politiker der AKP bekundet, dass | |
sie Homosexualität für eine Krankheit halten. Seit drei Jahren sind in der | |
Türkei 138 Wörter in Domainadressen verboten, darunter die Wörter schwul, | |
lesbisch und homosexuell. | |
20 Mar 2014 | |
## LINKS | |
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[5] /!118199/ | |
[6] http://www.youtube.com/watch?v=2wsegEfKSsY | |
[7] /!119857/ | |
[8] http://twitter.com/mete_yalcn | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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