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# taz.de -- Gedenken an Berkin Elvan in Berlin: Wer kommt nach Erdogan?
> Auch in Berlin gedenken die Menschen des verstorbenen 15-jährigen Berkin
> Elvan. Die Menschen sind wütend auf Erdogan und die AKP.
Bild: Istanbul, Ankara, Hamburg, Berlin: Überall gedenken die Menschen des 15-…
BERLIN taz | „Mörder! Katil! Erdogan!“ Diese Rufe hört man am Mittwochabe…
nicht nur in der Türkei, sondern auch in Berlin. 450 Menschen ziehen laut
Polizeiangaben von der alevitischen Gemeinde in der Waldemarstraße im
Stadtteil Kreuzberg zum Kottbusser Tor, um des Todes des 15-jährigen Berkin
Elvan zu gedenken. Dort treffen sie mit anderen Demonstrierenden zusammen,
auf einem zweiten Rundgang wächst die Menge so auf 750 Personen an. Weitere
130 Personen gedenken Berkins am Winterfeldtplatz im Stadtteil Schöneberg.
Berkin wurde während der Proteste um den Istanbuler Gezi-Park im Sommer
2013 von einem Tränengasgeschoss der Polizei am Kopf getroffen. Er hatte
nichts mit den Protesten zu tun, war nur auf dem Weg, Brot zu kaufen. 269
Tage lag Berkin im Koma, am Dienstag erlag er seinen Verletzungen. Am
Mittwoch wurde er beigesetzt. Sein Tod hatte [1][überall in der Türkei zu
neuen Demonstrationen] geführt, die von der türkischen Regierung abermals
mit Wasserwerfern, Tränengas und Gewalt beantwortet wurden.
Anders die Demonstration in Berlin. Die Menschen ziehen friedlich durch die
Straßen und fordern in lautstarken Sprechchören die regierende AKP und
Ministerpräsident Erdogan zum Rücktritt auf. „Der Junge war 14, als er
getroffen wurde“, sagt Numan Emre, Generalsekretär der [2][alevitischen
Gemeinde zu Berlin], der taz. „Wir sind hier, um unsere Solidarität zu
bekunden und zu zeigen, dass wir Berkin und die anderen Opfer aus Gezi
nicht vergessen.“ Er betont, es könne nicht sein, dass die verantwortlichen
Polizisten nicht zur Rechenschaft gezogen würden. Stattdessen würden in der
Türkei weiter Jugendliche gefoltert und verhaftet. „Das sind die Mörder von
Berkin.“
Berkin selbst stammte ebenfalls aus einer alevitischen Familie. Auch die
anderen sechs Todesopfer der Proteste im Sommer 2013 waren Aleviten.
Insgesamt war die Mehrheit der Demonstrierenden alevitisch, sagt Selim Ay,
einer der Demonstrierenden. Das geht auch aus einer Untersuchung des
türkischen Innenministeriums hervor. Ay erklärt diesen Umstand unter
anderem mit der Unterdrückung der Aleviten in der Türkei. Dadurch seien
diese der Regierung gegenüber besonders kritisch, ihre Beteiligung an den
Protesten besonders hoch.
## Unterdrückte alevitische Minderheit
Die Aleviten sind in der Türkei nicht als religiöse Minderheit anerkannt.
Sie haben vielerorts mit Unterdrückung und Diskriminierung zu kämpfen. In
der Geschichte der Türkei kam es immer wieder zu blutigen Übergriffen auf
Aleviten, so beispielsweise 1978, als in der Stadt Kahranmaras im Südosten
der Türkei eine Bombe in einem alevitischen Café explodierte. Über 100
Menschen kamen ums Leben. Im Jahr 1993 griff eine religiös motivierte Menge
im zentral-anatolischen Ort Sivas die Teilnehmenden eines alevitischen
Festivals an. 37 Menschen starben.
Ay bezeichnet sich als Atheisten und als Linken. Er [3][engagiert sich bei
Allmende], einem Verein für alternative Migrationspolitik und Kultur. Die
Mitglieder der Gemeinde kennt er aus seiner politischen Arbeit. Auch ihn
erschütterte das Schicksal des 15-jährigen Jungen. Deswegen hat er sich der
Demonstration angeschlossen.
Doch die Rufe nach einem Rücktritt Erdogans und der AKP sieht er kritisch.
„Wir brauchen eine bürgerliche Demokratie in der Türkei“, sagt er. Es gebe
aber keine wirkliche Alternative unter den Parteien. „Wenn die AKP abtritt,
wer kommt dann? Die MHP? Die CHP? Die sind nationalistisch und
rassistisch.“
Die CHP ist eine der wichtigsten parlamentarischen Oppositionsfraktionen in
der Türkei. Obwohl dem Namen nach sozialdemokratisch, vertrat sie in der
Vergangenheit einen sehr nationalen Kurs und näherte sich dem rechten Lager
an. Bei der MHP handelt es sich um eine ultranationalistische Partei, in
Deutschland kennt man sie als „Graue Wölfe“.
## Zersplitterte Opposition
Stellten diese Parteien eine neue Regierung in der Türkei, für Ay wäre das
keineswegs ein Fortschritt. „Das ist doch alles das Gleiche“, sagt er. „D…
AKP will eine religiöse Diktatur aufbauen, die CHP und die MHP eine
nationalistische.“
Um eine wirkliche oppositionelle Bewegung ins Leben zu rufen, seien die
Gruppierungen in der Türkei viel zu zersplittert. „Hier ist eine Demo, am
Kottbusser Tor ist eine Demo, am Winterfeldplatz ist eine Demo“, erklärt
Ay. „Warum können wir nicht gemeinsam demonstrieren?“ Eine Frage, auf die
Emre von der alevitischen Gemeinde eine deutliche Antwort hat. Bei der
Demonstration seien auch Mitglieder der Jugendorganisation der CHP
anwesend. „Solange die die Aleviten nicht als gleichberechtigt anerkennen,
setzen wir uns nicht mit ihnen an einen Tisch.“
In einem anderen Punkt jedoch stimmen Ay und Emre überein. „Die Türkei
braucht eine neue, unbelastete Regierung, die die Gewalt gegen
Demonstranten aufarbeitet“, sagt Emre. Doch auch er kann sich momentan
keine Regierung vorstellen, die das bewältigen könnte. Der demonstrierenden
Menge ist das egal. Sie zieht unter Rücktrittsforderungen an Erdogan und
„Schulter an Schulter gegen Faschismus“ oder „Berkin ist unsterblich“
rufend weiter Richtung Kottbusser Tor. Dort endet der Umzug mit einer
Schweigeminute für Berkin Elvan, den Jungen, dessen Schicksal die Menschen
wieder auf die Straße brachte.
13 Mar 2014
## LINKS
[1] /Neue-Gewalt-in-der-Tuerkei/!134762/
[2] http://www.alevi.org/cms25/de/
[3] http://www.allmendeberlin.de/index2d.htm
## AUTOREN
Dinah Riese
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