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# taz.de -- Royale Begeisterung: Feudale Zeiten
> Hannover feiert die britischen Welfen-Könige, in Kiel wird ein
> Zaren-Denkmal aufgestellt, und überall werden Schlösser wieder aufgebaut.
> Was ist so faszinierend am royalen Glanz?
Bild: Sprung über den Kanal: Medaille zum Regierungsantritt von Georg I. 1714.
BREMEN taz | Am raschesten verläuft der Vormarsch des Neo-Feudalismus in
den Krabbelgruppen. Und dort ist er auch am leichtesten zu beobachten:
Immer mehr Sophie-Charlottes bevölkern die Räume der Jüngsten, immer öfter
wird nach „Eduard“ und „Karl-Friedrich“ gerufen. Dass alte Namen irgend…
wieder „in“ sind ist zwar nichts Neues, aber während sich das früher auf
einen einzigen Generationssprung beschränkte, bedient sich der
Namens-Rückgriff in die Vergangenheit mittlerweile der Generation der
Urgroßeltern. Nun könnte man sagen: Das ist eben neocon. Aber im Grunde ist
es neofeu.
Denn die gegenwärtige Wilhelmisierung der Namen ist Teil einer bürgerlichen
Sehnsucht, einer Retrospektivität, deren Werte in einem vor-demokratischen
System wurzeln. Landauf, landab schießen Schloss-Fassaden wie Potemkin’sche
Pilze aus dem Boden, wird für Denkmäler von feudalen Figuren gesammelt. In
Kiel soll es ein Zar sein. Auf den Oldenburger Schlosshof wäre fast, mit
kräftigem Rückenwind der Nordwest-Zeitung, ein bronzener Graf Anton-Günther
eingeritten. Und selbst im zutiefst republikanischen Bremen sitzen die
kaiserlichen „Herold“-Figuren fester denn je im Sattel. Ihre dauerhafte
Aufstellung vor dem Rathaus, die gegen den Rat des Landesdenkmalpflegers
erfolgte, wurde von einer sehr aktiven Bürgerinitiative finanziert.
Auf den Karnevalpartys der 70er war das Lied „Wir wollen unsern alten
Kaiser Wilhelm wiederhaben“ ein Hit. Was unterscheidet das heutige
Hurra-Geschrei über den Wiederaufbau der Hohenzollern-Residenz, des
Berliner Stadtschlosses, von diesem Hit? Das Fehlen jedweder Ironie. Die
war, in Gegensatz zum aktuellen Royalismus-Revival, noch in der biedersten
Bierseligkeit einer 70er-Jahre-Party enthalten, wenn „Wilhelm“ den Kehrvers
bekam: „Aber nur mit Bart, aber nur mit Bart“.
Heute ist das anders. Gänzlich spaßfreie Magazine wie „Adel exklusiv“ aus
dem Bauer-Verlag haben steigende Absätze. Die Klambt-Gruppe ist mit „Adel
aktuell“ so erfolgreich, dass sie kürzlich noch „Adel heute“ mit 140.000
Exemplaren Start-Auflage auf den Markt brachte. Auch die immer
unüberschaubarer werdende Zahl von „Landlust“-Plagiaten weist letztlich
nicht nur in Richtung Natur, sondern nährt den Wunschtraum nach einem am
liebsten landadeligen Lebensstil. Und der Manufactum-Rausch? In ihm
erwerben sich die besser verdienenden Kreise alle Accessoires, die man zu
einer Gentrifizierung des Landlebens braucht. Auch wenn man in der Stadt
lebt.
Natürlich gibt es Schmiedeeisernes, Tweed-Jackets, Loden- und
Ledergefertigtes auch jenseits neo-feudaler Sehnsuchtswelten. Der
phänomenale Erfolg der sehenswerten englischen Adels-Serie „Downton Abbey“
ist ebenfalls nichts per se Schlechtes. Und warum soll ein Chor keine Lust
haben, bei einer nachgestellten Krönungsmesse in Hannover als Hüte werfende
Reenactment-Masse mitzuwirken?
In der Gesamtschau weisen diese Phänomene auf etwas Bedenkliches hin: dass
immer größere Teile der Bevölkerung an aufgeklärtem Geschichtsbewusstsein
verlieren. Genauer: dass sie sich, je stärker die persönliche und
gesellschaftliche Verunsicherung in einer globalisierten Moderne wird, nach
den Teilen der Geschichte sehnen, die Überschaubarkeit und klare
Verhältnisse versprechen. Also zu denen mit einer festen Einteilung in oben
und unten.
Wenn der Sohn eines ehemals enteigneten norddeutschen Gutsbesitzers wieder
Patronatsrechte über die Dorfkirche beansprucht, dann kann man das als
ländlichen Sonderfall abtun – der im Zweifel der Ertüchtigung der alten
Kirchen-Heizung zugute kommt. Was aber bedeutet das Wiedereintreffen der
Familie Preußen in Potsdam? Vor vier Jahren wurde die Generalverwaltung des
„vormals regierenden Fürstenhauses“ von Bremen-Borgfeld nach Berlin
verlegt, eine Analogie zum Abschied der Bundesregierung aus Bonn. Der
Sprung aus der Provinz in die historische Hauptstadt ist in beiden Fällen
ein eindeutiges Signal, und zwar dasselbe: Wir verlassen die
Zurückgezogenheit und Bescheidenheit der Rhein- beziehungsweise
Wümme-Landschaft – und knüpfen an „größere“ Vergangenheiten an. „Die
Familie“, erklärte Prinz Georg Friedrich, Chef des Hauses Preußen, „wird
nun wieder stärker in Erscheinung treten.“
Die Hannoveraner leisten sich den Wiederaufbau des Herrenhauser Schlosses.
Die Braunschweiger lieben ihre neu errichtete Welfen-Residenz, die in ihrem
Inneren beide Bedürfnisse der globalisierten Moderne befriedigt: einerseits
grenzenloses Shoppen, andererseits, als Kompensation, die
behaglich-erbauende Nostalgie der eigens rekonstruierten Wohn- und
Audienzräume der Welfenherzöge.
Was aber spricht gegen einen „entspannten“ Umgang mit Deutschlands
dynastischer Geschichte? Warum sollten die deutschen Fürstenfans und
Monarchisten ein anderer Schlag sein als etwa die britischen
Buckingham-Freaks?
Erstens, weil unser letzter Kaiser nie so „nett“ war wie beispielsweise die
englische Queen. Sondern ein übler Kriegstreiber, der mit seiner
Bremerhavener „Hunnenrede“ Deutschland aus dem Kreis der Staaten
katapultierte, die das Völkerrecht beachteten. „Pardon wird nicht gegeben!
Gefangene werden nicht gemacht!“, schärfte er seinen zu verschiffenden
Truppen ein, die in China dafür sorgen sollten, „dass niemals wieder ein
Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Wilhelms 150.
Geburtstag wurde im Bremer Rathaus trotzdem mit einer Veranstaltung über
„Die politischen Leistungen des Hohenzollern-Sprosses“ gewürdigt.
Es ist grotesk, einen zu Kaiser ehren oder nostalgisch verklären, der einen
realpolitisch denkenden Kanzler Bismarck entließ und sein Land ins
Verderben führte. Schlicht gesagt: Wenn das Staatswohl wesentlich von der
Nettigkeit oder eben Vernunft eines Potentaten abhängt, ist das nie eine
irgendwie zu verklärende Idee. Diese banale Lektion lohnt, nicht vergessen
zu werden. Sie wird aber vergessen. Wenn selbst der Wiederaufbau der
Potsdamer Garnisonskirche, wo der Spät-Feudalismus in Gestalt von
Hindenburg Hitler die Hand reichte, große Begeisterung auslöst, ist das
nicht mehr wegzudiskutieren.
„Braucht die Politik mehr Adel?“, fragte sogar die taz, als das Land noch
fasziniert war vom „federnden Gang“ eines jungen Ministers aus dem
fränkischen Kulmbach. Leider hat dessen unehrenhafter Abgang das Problem
nicht gelöst: das Bedürfnis nach Distinktion, wo Demokratie vonnöten ist.
Neofeu eben.
21 Mar 2014
## AUTOREN
Henning Bleyl
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Hannover
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Landtag Niedersachsen
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Kiel
Hannover
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