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# taz.de -- Historischer Knochenfund in Hannover: Macht, Mord und Liebesbriefe
> Bei der Sanierung des hannoverschen Landtagsgebäudes wurden Knochen
> gefunden. Es könnten eventuell die Überreste eines 1694 ermordeten
> Adeligen sein
Bild: Birgt – vielleicht – die Knochen eines ermordeten Grafen: Hannoversch…
HANNOVER taz | Es ist eine Geschichte wie aus einem Roman. Nur ist sie
wirklich passiert: Vor über 300 Jahren verliebt sich der Graf Philipp
Christoph von Königsmarck in Sophie-Dorothea, eine Kurprinzessin aus dem
Hause Hannover. Gemeinsam planen sie ihre Flucht, um den Zwängen des
höfischen Lebens zu entkommen. Dann verschwindet er spurlos.
Jetzt könnten seine Überreste gefunden worden sein: Anfang August stieß ein
Bauarbeiter bei Renovierungsarbeiten am niedersächsischen Landtag von
Hannover auf menschliche Knochen. Archäologen des Niedersächsischen
Landesamtes für Denkmalpflege prüfen derzeit, ob sie zu dem verschollenen
Grafen gehören. Denn dann könnten die Gebeine helfen, einen 300 Jahre
zurückliegenden Mord aufzuklären.
## Ein trauriges Ende
Der 1665 geborene Graf steht als Offizier in den Diensten von
Sophie-Dorotheas Ehemann, Kurprinz Georg Ludwig, Spross der mächtigen
Welfen und Begründer der Königsdynastie des Hauses Hannover. Gemeinsam mit
seiner Ehefrau und den zwei Kindern lebt er im hannoverschen Leineschloss,
dem heutigen Landtag. Dies ist auch der Ort, an dem sich Sophie-Dorothea
und Philipp näher kommen: Sie schreiben sich Liebesbriefe, ungefähr 600
Stück in zwei Jahren. Die Briefe dokumentieren eine Liebesbeziehung, die
sich von anfänglichen Liebeleien in tiefe Zuneigung verwandelt: Heimlich
treffen sie sich nachts abseits des Schlosses, erzählt die Leiterin des
Residenzmuseums im Celler Schloss, Juliane Schmieglitz-Otten.
Sophie-Dorotheas Hofdame und einzige Vertraute hilft den beiden, die
Treffen zu organisieren, stellt selbst einige der Briefe zu.
Ein Schatten liegt über der Liaison: Alle drei wissen, dass diese Liebe
keine Zukunft hat. Sophie-Dorothea gehört zum Hause Hannover. Die Familie
strebt nach Macht, will einen höheren Rang im Adel. Sophie-Dorothea ist nur
eine Figur in einem politischen Spiel. Und ihre Affäre ist ein Hindernis,
eine Gefahr für den Ruf des Hauses. Vergebens bittet sie ihre Eltern um
eine Scheidung. Mehrfach wird sie gewarnt: Sie solle ihre Affäre aufgeben.
Diese ist bereits am gesamten Hof bekannt. In einem ihrer Briefe schreibt
die Kurprinzessin an Königsmarck „Ich zittere, dass unser Geheimnis
verraten sein könnte.“ Beide leben nun in ständiger Angst. Ihre Briefe
verfassen sie oft in Geheimschrift, schreiben gar mit Geheimtinte.
Nach zwei Jahren beschließen sie zu fliehen. Für Sophie-Dorothea ist es
zugleich die Flucht aus einer unglücklichen Ehe. Am 1. Juli 1694 schreibt
sie ihrem Geliebten, er solle um zehn Uhr abends zu ihr kommen. Zwischen
zehn und elf Uhr macht er sich auf den Weg. In Sophie-Dorotheas Gemächern
planen sie ihre Flucht. Bis heute weiß niemand, wohin sie gehen sollte.
Nachdem er sich verabschiedet hat und auf dem Rückweg ist, lauern ihm vier
adelige Freunde auf, unter ihnen ein Geistlicher: Sophie-Dorotheas
Schwiegervater soll sie beauftragt haben, den Grafen zu töten, weiß Frau
Schmieglitz-Otten. Im Gegenzug erhalten sie Geld. Seine Leiche lassen die
Täter spurlos verschwinden. Vermutlich werfen sie sie in die Leine.
Aus dem Hause Hannover heißt es offiziell, der Graf sei verschwunden.
Philipps Schwester Marie Aurora versucht ihren Bruder zu finden. Aber auch
der frühere Arbeitgeber Königsmarcks, ein einflussreicher Fürst, kann ihr
nicht helfen. Alle Beweise für den Mord verschwinden, das Haus Hannover
verhindert jedes Durchsickern von Informationen. Bis heute weiß niemand,
wer die Fluchtpläne verraten hat. Mehrere Bekannte aus dem Umfeld
Königsmarcks sind verdächtigt worden.
Am Morgen nach dem Mord wird Sophie-Dorotheas Vertraute verhaftet, auch sie
selbst wird in ihren Gemächern festgehalten. Im Auftrag des Schwiegervaters
werden sowohl ihre Gemächer als auch Königsmarcks Haus durchsucht. Die
Gefolgsleute des Herzogs finden einige der Briefe, teils unter Spielkarten
versteckt und in Vorhänge eingenäht. Sophie-Dorotheas Mann dienen diese
Briefe dazu, ihre Untreue zu beweisen. Dass er selbst eine Mätresse hat,
spielt in dem Verfahren keine Rolle. Sophie-Dorothea, 28-jährig, wird des
Ehebruchs für schuldig befunden und nach der Scheidung verbannt. Die
restlichen 32 Jahre ihres Lebens lebt sie abgeschnitten von der Außenwelt
auf Schloss Ahlden an der Aller im heutigen Heidekreis. Von Königsmarcks
Schicksal erfährt sie nichts. Ihre Familie verstößt sie, einzig ihre Mutter
besucht sie gelegentlich. Ihren Sohn und ihre Tochter aber sieht sie nie
wieder.
Das Haus Hannover jedoch kann durch den Mord des Geliebten den gefürchteten
Skandal abwenden. Stück für Stück baut es seine Macht aus: Sophie-Dorotheas
ehemaliger Mann besteigt 1714 als König Georg I. den englischen Thron. Ihm
folgt der gemeinsame Sohn, Georg II. Insgesamt 123 Jahre lang regieren die
beiden – und ihre Nachfolger – auch England. Sophie-Dorotheas gleichnamige
Tochter bringt später Friedrich den Großen zur Welt. Die Familie wird zu
einem der mächtigsten Akteure in der Weltpolitik. Die Geschichte um den
ermordeten Grafen Königsmarck aber gerät in Vergessenheit.
## Der DNA-Test steht aus
Nach dem Knochenfund im Landtag von Hannover wollen Archäologen und
Historiker jetzt Licht ins jahrhundertealte Dunkel bringen. Gehören die
Knochen einem jungen Mann, der nicht älter als 30 Jahre geworden ist? So
alt nämlich war Königsmarck, als er verschwand. Ist das der Fall, soll es
einen DNA-Vergleich geben: Eine Ur-Ur-Urenkelin von Königsmarcks Schwester
Amalie Wilhelmine hat sich bereit erklärt, ihre DNA untersuchen zu lassen.
Die Untersuchungen gestalteten sich jedoch schwierig, bedauert
Niedersachsens Landesarchäologe Henning Haßmann: Durch die Bauarbeiten am
Landtagsgebäude wurde das Skelett beschädigt und die Zähne gingen verloren
– die wichtigste Quelle für DNA-Proben. Es wird noch einige Wochen dauern,
bis die Archäologen Näheres wissen.
Die Nachfahrin, die in der englischen Grafschaft Yorkshire lebt, hofft,
dass es tatsächlich Philipp Christoph von Königsmarcks Knochen sind. Sie
selbst kennt die Geschichte seit ihrer Kindheit: Damals bekam sie einen
Knopf vererbt, der angeblich dem Grafen gehört hat. Sie möchte, dass ihr
hannoverscher Vorfahre endlich seine Ruhe findet – dann wären
Sophie-Dorothea und ihr Geliebter zu ihrem 350. Geburtstag endlich wieder
vereint.
9 Sep 2016
## AUTOREN
Johanna von Criegern
## TAGS
Landtag Niedersachsen
Archäologie
Niedersächsischer Landtag
NS-Raubkunst
Hannover
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