# taz.de -- Geplantes Holocaust-Mahnmal in Ungarn: Ein skandalöses Kitsch-Monu… | |
> Der Regierung Orbán wird Geschichtsklitterung vorgeworfen. Ein | |
> Holocaust-Mahnmal in Budapest sorgt für Streit, denn Juden werden nicht | |
> erwähnt. | |
Bild: Die Errichtung des Denkmals wurde aufgeschoben. Viele ungarische Juden bo… | |
BUDAPEST taz | Es sind keine Massen, die sich da vor der großen Synagoge in | |
der Budapester Innenstadt eingefunden haben. Keine große Organisation hat | |
zu der Veranstaltung aufgerufen. Trotzdem sind etwa 1.000 Menschen | |
gekommen. Es gibt kaum Transparente, nur ein paar ungarische Fahnen, und es | |
werden keine Slogans gebrüllt. | |
Auf einer kleinen Bühne treten nacheinander Nachfahren von | |
Holocaust-Überlebenden, Künstler, Intellektuelle, Vertreter der jüdischen | |
Gemeinde auf. Sie erinnern an den Einmarsch der deutschen Armee vor genau | |
70 Jahren: am 19. März 1944. Es ist eine „Protestaktion gegen die | |
Verfälschung der Geschichte“, sagt Géza Komoróczy, emeritierter Professor | |
für Judaistik, der mit seinem langen weißen Bart wie ein Rabbiner aussieht, | |
aber selbst kein Jude ist. | |
Eigentlich hätte an diesem Tag auf dem Freiheitsplatz ein großes Denkmal | |
enthüllt werden sollen, das an den deutschen Einmarsch und den Holocaust | |
erinnert. Die Regierung hat für 2014 ein Holocaust-Gedenkjahr ausgerufen. | |
Doch was sie dann auf diesen prominenten Platz stellen wollte, hat sogar | |
die traditionell handzahme Mazsihisz, den größten jüdischen Verband des | |
Landes, entsetzt. Wenn dieses Denkmal verwirklicht werden sollte, werde man | |
an keinen offiziellen Gedenkveranstaltungen der Regierung teilnehmen. | |
Géza Komoróczy findet den vor einigen Wochen veröffentlichten Entwurf | |
„künstlerisch geschmacklos, kitschig und unzulässig“. Denn das geplante | |
Denkmal unterscheide nicht zwischen Tätern und Opfern. Vor dem Hintergrund | |
mehrerer antiker Säulen stürzt ein Adler auf den wehrlosen Erzengel | |
Gabriel. Der Adler steht für das Nazireich und der Erzengel für das | |
christliche Ungarn. Die Juden kommen überhaupt nicht vor. | |
## Rehabilitierung des „Reichsverwesers“ | |
Ungarns damaliger Staatschef, der „Reichsverweser“ Miklós Horthy, war ein | |
Verbündeter Hitlers, der sich später als Retter der Juden feiern ließ. Im | |
Juli 1944 stoppte er die Deportation von 200.000 Budapester Juden. Vorher | |
hatte er mehr als 435.000 Juden in die Vernichtungslager schicken lassen. | |
„Ich kann die Rehabilitierung von Horthy und seinem Regime nicht | |
hinnehmen“, protestiert der Zeithistoriker László Karsai, der einen von | |
mehr als 100 ungarischen Intellektuellen und Künstlern unterschriebenen | |
Brief verfasst hat, in dem die Gedenkpolitik und Geschichtsverfälschung der | |
Regierung verurteilt wird. | |
Karsai findet es untragbar, dass die ungarische Opfertheorie sogar in der | |
Verfassung festgeschrieben wurde: „Das ungarische Volk ist unschuldig an | |
allen Ereignissen zwischen 1944 und der Wende 1990. Mit der Ausnahme von | |
wenigen Kollaborateuren. Ich bin wirklich enttäuscht, dass die Regierung | |
sich diese Geschichtsdeutung zu eigen gemacht hat.“ | |
„Ihr Deutsche und Österreicher habt euch der Geschichte gestellt“, klagt | |
Magdolen Luting, eine arbeitslose Englischprofessorin, die eine jüdische | |
Freundin zur Kundgebung begleitet. „Aber hier in Ungarn wird alles | |
zugedeckt.“ Die Regierung von Viktor Orbán, die sonst meist bemüht ist, am | |
Antisemitismus nicht zu rühren, hat nicht nur die jüdische Gemeinde gegen | |
sich aufgebracht, sondern einmal mehr die internationale Presse auf den | |
Plan gerufen. | |
## Bau des Denkmals verschoben | |
Und Orbáns Sprachrohr János Lázár, Staatssekretär im Amt des | |
Ministerpräsidenten, machte es nicht besser, als er Mazsihisz vorwarf, der | |
Verband hätte mit seiner Boykotthaltung „die Gesellschaft gespalten“. Um | |
die Wogen zu glätten, verfügte die Regierung, dass die Errichtung des | |
Denkmals aufgeschoben wurde. | |
Die aufgeheizte Debatte soll den Wahlkampf nicht stören. Am 6. April will | |
sich die Fidesz-Regierung im Amt bestätigen lassen. Gordon Bajnai, einer | |
der Anführer des linken Oppositionsbündnisses „Regierungswechsel“, warnte | |
darauf, man solle sich nicht von dem „Spielen auf Zeit“ beeinflussen | |
lassen. Denn „Pläne, die Geschichte zu fälschen, müssen ein für alle Mal | |
verhindert werden“. Denn Ende Mai, wenn der Wahlkampf vorbei ist, soll es | |
dann kommen, das skandalöse Kitsch-Monument. | |
24 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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