# taz.de -- Jüdische Gemeinden in Ungarn: Rechtsregierung macht Druck | |
> Ungarns Juden streiten mit Orbans Regierung über die Geschichtsdeutung. | |
> Die Spannungen bekam auch eine deutsche Rabbiner-Delegation in Budapest | |
> zu spüren. | |
Bild: Verliert unter Ungarns Juden an Rückhalt: Premierminister Viktor Orban. | |
BUDAPEST dpa | „Das habe ich zuletzt in der DDR erlebt.“ So beschreibt der | |
deutsche Rabbiner Walter Homolka im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa | |
seinen jüngsten Dialog mit [1][Ungarns Verband Jüdischer Gemeinden | |
MAZSIHISZ.] Aus Angst, dass ein Besuch [2][der Allgemeinen | |
Rabbinerkonferenz Deutschlands] (ARK) in seinem Land politisch | |
interpretiert würde, riet MAZSIHISZ von der geplanten Visite ab. | |
Dies übermittelte Alfred Yoel Schöner, Rektor des Budapester | |
Rabbinerseminars in einem Brief an Homolka, in dem er vor möglichen | |
„schlimmen Konsequenzen“ warnte. Hingegen seien die deutschen Kollegen nach | |
der ungarischen Parlamentswahl vom 6. April willkommen – „in einer | |
politisch entspannten Atmosphäre“. | |
Ungarns jüdische Gemeinden wirken in ihren Beziehungen zur rechtsnationalen | |
Regierung von Viktor Orban völlig verunsichert. Anlass für die jüngsten | |
Spannungen sind tiefe Differenzen um die Bedeutung des 19. März 1944. | |
Damals hatte Nazi-Deutschland Ungarn besetzt, weil Hitler befürchtete, dass | |
das seit langem verbündete Land angesichts der sich abzeichnenden | |
Kriegsniederlage abtrünnig werden könnte. | |
Daher will Orbans Regierung heute Ungarn als unschuldiges Opfer | |
Nazi-Deutschlands dargestellt wissen – und dies suggeriert auch ein von der | |
Regierung geplantes Mahnmal: Es soll einen deutschen Reichsadler | |
darstellen, der einen Erzengel Gabriel angreift, welcher Ungarn verkörpert. | |
Damit sind Ungarns Juden, aber auch zahlreiche namhafte Historiker nicht | |
einverstanden. Denn es ist erwiesen, dass die nach dem deutschen Einmarsch | |
binnen 56 Tagen erfolgte Deportation von 437.000 Juden in | |
Konzentrationslager mit aktiver Unterstützung der damaligen ungarischen | |
Behörden geschehen ist. | |
## Nervöse Signale aus Budapest | |
Der Denkmal-Plan war „der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen | |
brachte“, sagt der MASZIHISZ-Vorsitzende Andras Heisler. Sein Verband | |
beschloss deswegen den Boykott aller anderen Projekte der Regierung zum | |
Holocaust-Gedenkjahr 2014. Man habe damit „zum ersten Mal seit 70 Jahren“ | |
mit einer bewusst stets regierungsfreundlichen Haltung gebrochen. | |
Zugleich schwingt Angst vor der eigenen Courage mit. Er sei geradezu froh, | |
„dass keine der links-liberalen Oppositionsparteien Ungarns uns öffentlich | |
unterstützt, weil man uns sonst politische Einseitigkeit vorwerfen würde“, | |
sagte Heisler der dpa. Sein Verband vereinigt die in Ungarn mehrheitlich | |
konservativen, nicht-orthodoxen Gemeinden, die sich „neolog“ nennen. | |
Trotz der nervösen Signale aus Ungarns Hauptstadt reiste Homolka, Rektor | |
des Berliner Rabbinerseminars Abraham Geiger Kolleg, mit einer Delegation | |
der Rabbinerkonferenz ARK nach Budapest. Ihr Anliegen war es auch, für eine | |
Anerkennung liberaler jüdischer Gemeinden einzutreten, die aufgrund eines | |
neuen Kirchengesetzes in Ungarn keine staatliche Unterstützung bekommen. | |
Auf den letzten Drücker kam es auch zu einem Treffen mit Heisler. | |
Für die bisherige Vorsichtspolitik der MAZSIHISZ hat der ARK-Vorsitzende, | |
Rabbiner Henry G. Brandt, kein Verständnis. „Immer kuschen, immer buckeln, | |
das geht nicht. Wir können und müssen unsere Positionen vertreten, auch | |
wenn sie manchmal gegen die Regierung und gegen die Politik laufen“, sagt | |
er. Gegen den Antisemitismus „muss die Stimme erhoben werden. Die Zeit des | |
Schweigens ist vorbei, ein für allemal.“ Es ist als Ermutigung gemeint, die | |
Ungarns Juden 70 Jahre nach dem Holocaust wohl dringend brauchen. | |
20 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.mazsihisz.hu/index.php?set_lang_code=en | |
[2] http://www.allgemeine-rabbinerkonferenz.de/ | |
## AUTOREN | |
Kathrin Lauer | |
## TAGS | |
Ungarn | |
Viktor Orbán | |
Antisemitismus | |
Ungarn | |
Budapest | |
Viktor Orbán | |
Viktor Orbán | |
Ungarn | |
Ungarn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Wahlen in Ungarn: Warten auf den Frühlingswind | |
Am Sonntag wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Ministerpräsident | |
Viktor Orbán sollte aus dem Amt gejagt werden. Was ist die Alternative? | |
Geplantes Holocaust-Mahnmal in Ungarn: Ein skandalöses Kitsch-Monument | |
Der Regierung Orbán wird Geschichtsklitterung vorgeworfen. Ein | |
Holocaust-Mahnmal in Budapest sorgt für Streit, denn Juden werden nicht | |
erwähnt. | |
Sachbuch über Ungarns Rechtsextreme: Herrscher ohne Grenzen | |
„Schöne Grüße aus dem Orbán-Land“: Ernst Gelegs zeichnet akribisch nach, | |
mit welch fragwürdigen Mitteln Ungarns Premierminister regiert. | |
Geschichtsrevisionismus in Ungarn: „Engel Gabriel“ muss warten | |
Nach dem Streit über ein Denkmal zur deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg | |
plant die Regierung einen Aufschub. Den jüdischen Gemeinden reicht das | |
nicht. | |
Aufarbeitung in Ungarn: Holocaust-Gedenken ohne Juden | |
Der Verband Jüdischer Gemeinden Ungarns nimmt nicht an den | |
Erinnerungsfeiern zur Shoa teil. Ihr Vorwurf: Ungarn entziehe sich seiner | |
Mitverantwortung. | |
Orbáns Macht ungebrochen: Keine Wahl bei den Wahlen | |
Durch Änderungen des Wahlrechts hat sich Premier Orbán schon vor der | |
Abstimmung im April die Mehrheit gesichert. Die Opposition hat kaum | |
Strahlkraft. |