| # taz.de -- Neuer Dubstep von Skrillex und Ecoplekz: Auf der Suche nach dem Rum… | |
| > Beim US-Produzenten Skrillex folgt alles einem Muster, beim Briten | |
| > Ekoplekz fransen die Sounds aus. Mainstream -und Undergroundalben im | |
| > Vergleich. | |
| Bild: Der Mainstream-Hupfauf Skrillex. | |
| Brillen tragen sie beide: Der Amerikaner Sonny Moore und der Brite Nick | |
| Edwards. Dubstep produzieren auch beide – zumindest wenn man darunter auch | |
| J-Pop versteht, in der eine Art Reggae-Rhythmus auf ein Konvolut an | |
| Synthesizern trifft. Aber nur einer der beiden kann Tausende Teenager in | |
| einer Halle dazu bringen, mit ihren Händen kleine Herzchen zu formen, | |
| während sie von einer Synthesizerfläche der Liebe getragen werden. | |
| Nur um ein paar Sekunden später, wenn ein fies verzerrter Bass einsetzt, | |
| die Halle in einen Moshpit zu verwandeln, der jeder | |
| New-York-Hardcorepunk-Show der mittleren Neunziger gut zu Gesicht stehen | |
| würde. Das ist Sonny Moore alias Skrillex. | |
| Skrillex ist ein Phänomen. Seinetwegen ist Dubstep von der Nerd-Musik in | |
| abgedunkelten Kellerclubs zum Stadionrock der Zehnerjahre geworden. | |
| Skrillex ist das verkörperte Nerdtestosteron. Bei seinen Liveshows lässt er | |
| die langen schwarzen Haare über den Laptops kreisen, doch trotz | |
| Hardcore-Background fällt er niemals in platte Machogesten. | |
| Gerade hat Skrillex sein Debütalbum veröffentlicht. Es heißt „Recess“ – | |
| Schulpause. Ein passender Titel. Denn die Welt ist bei Skrillex klar | |
| unterteilt: in die Phase des angestrengten Tüftelns auf der Suche nach dem | |
| maximalen Rumms. Und in die ebenso streng durchchoreografierte Phase des | |
| kollektiven Ausrastens, den „Recess“. | |
| Der beginnt normalerweise nach dem Pausengong, dem Drop, dieses minimalst | |
| kurzen Moments der Stille, bevor der wuchtige Bass einsetzt und die Hände | |
| in die Luft geworfen werden. Auf „Recess“ wechseln sich diese beiden Phasen | |
| in schönster Regelmäßigkeit ab. Auf ein 16-Bit-Synthesizer-Solo in | |
| Knallfarben folgt der bis zum Anschlag gemixte Wobblebass. Und so weiter | |
| und so fort. | |
| ## Gecastete Credibility | |
| Dabei hat Skrillex ein Problem. Je mehr er Dubstep aus der Nerdhölle | |
| befreit hat, über desto weniger Credibility verfügt er unter | |
| Danceproduzenten. Wobei ihm das eigentlich egal sein könnte, „Recess“ stieg | |
| vom Fleck weg in die US-Top-Ten ein. Aber die Gastauftritte auf „Recess“ | |
| bezeugen etwas anderes. Moore hat sein Ensemble präzise auf Credibility hin | |
| gecastet. Chance the Rapper findet sich in der Rolle des aufstrebenden | |
| HipHop-Nachwuchsstars wieder, Diplo als Post-Production-Effekt mit | |
| Krassheitsfilter, und die britischen Junglepioniere Ragga Twins dürfen mit | |
| heruntergepitchter Stimme den „badman“ geben. | |
| Der Effekt ist aber ein gegenteiliger. Vergleicht man die Musik von | |
| Skrillex mit der seiner Gaststars, fällt die Formelhaftigkeit von „Recess“ | |
| umso stärker auf. Spätestens nach dem dritten hochgeloopten Vocalsample | |
| sucht man auf YouTube nach alten Tracks der Ragga Twins aus der Blütezeit | |
| des britischen Breakbeat. | |
| Zugegeben, ganz frei von Spuren der Referenzhascherei ist auch | |
| „Unfidelity“, das neue Album von Nick Edwards alias Ekoplekz, nicht. „Sle… | |
| Zen“ spielt auf den ersten digitalen Dancehall-Riddim an, zerlegt aber sein | |
| Drumensemble in schlierenziehende Einzelspuren. „Robert Rental“, benannt | |
| nach einem Post-Punk-Elektronikpionier, lässt eine Bassline langsam über | |
| die Ufer treten, bevor sich aus dem Hintergrund verschmurgelte Horrorsounds | |
| langsam an ihre Opfer heranpirschen. | |
| Wo die Tracks von Skrillex trennscharf die Komplementarität von „Work hard“ | |
| und „Play hard“ zementieren, kehrt bei Nick Edwards aka Ekoplekz die | |
| Unschärfe im Cinemascope-Format zurück: subtile Geräuschmanipulationen, die | |
| ausfransen und sich zum In-yer-face-Krach mit Dancefloorambitionen | |
| versteigern können. Diese Mischung kennt man von Labels wie L.I.E.S., | |
| Trilogy Tapes oder White Material, bei denen in der Regel die gerade | |
| Bassdrum regiert. Über Half-Time-Beats fristete sie aber bislang ein eher | |
| gräuliches Nischendasein. | |
| ## Im Bassveteranenstadl | |
| Der nerdig dreinschauende Brite Nick Edwards mit dem etwas zu hohen | |
| Haaransatz stöpselt schon seit einigen Jahren Sequencer, Effekte und einen | |
| elektrischen Bass ineinander und hat nach einigen Veröffentlichungen auf | |
| dem obskuren Perc-Trax-Label ein neues Heim im Bassveteranenstadl von Mike | |
| Paradinas’ Label Planet Mu gefunden. Auf elf Tracks praktiziert Edwards | |
| seine eigene, höchst idiosynkratische Variation des alten Mantras von Dub | |
| als Methode – und seine Methode heißt Wahnsinn. | |
| In der Echokammer von Ekoplekz steigern sich die durch Berge von Effekten | |
| geschleiften Bassläufe zu einer klaustrophobischen Mischung aus | |
| Erschöpfung, Paranoia und Tiefenentspannung. Damit ist „Unfidelity“ ein | |
| Musik gewordener Gegenentwurf – nicht nur zu den Dancefloorfillern der | |
| EDM-Szene, sondern auch den perfektionistischen Fusion-Fantasien, die | |
| Electronica-Bassisten wie Thundercat in der letzten Zeit veröffentlicht | |
| haben. | |
| Bei Ekoplekz ist der Bass so allgegenwärtig wie überflüssig, er dient | |
| letztlich nur als Impulsgeber im spärlich instrumentierten Trackgerüst, | |
| während die Effekte ein Eigenleben entwickeln dürfen und sollen. Nirgends | |
| hört man das so wunderschön wie auf „Pressure Level“, in dem ein minimal | |
| variierter, analoger Drumbeat so von Hall und Delay umgarnt wird, dass er | |
| langsam das Rhythmusraster verlässt und sich in einer Glückseligkeit | |
| wiederfindet, die statt der sequenzierten DNA aus Aussetzer und erneutem | |
| Aussetzer im wunderschönsten Chaos endet: „Unfidelity“ halt. | |
| 3 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Werthschulte | |
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