# taz.de -- Großrazzia in chinesischen Bordellen: Wenn die Huren weiterziehen | |
> 2.000 Bordelle, 300.000 Prostituierte: Dongguan war berühmt für sein | |
> Rotlichtgewerbe. Dann kam die Polizei. Nun steht die Stadt vor dem Ruin. | |
Bild: In die Ecke getrieben: Prostitution ist in China offziell verboten. | |
DONGGUAN taz | Er nennt sich Xiaogui – übersetzt kleiner Teufel. | |
Argwöhnisch blickt er auf, als eine Gruppe junger Männer das Grundstück des | |
Hotels betreten will. Xiaogui geht in Alarmstellung. Mit der einen Hand | |
drückt er auf den automatischen Fahrzeugschlüssel. Der schwarze Minibus | |
neben ihm blinkt auf. Mit der anderen Hand gibt der 30-Jährige seinen | |
beiden Kumpanen Zeichen. Sie sollen sich bereit zur Flucht machen. | |
Doch dazu kommt es nicht. Einer der Passanten fragt lediglich nach dem Weg | |
zur nächsten öffentlichen Toilette. „Wir sind alle sehr nervös“, sagt | |
Xiaogui später. Es hätte sich auch um die nächste Razzia handeln können. | |
Xiaogui und seine beiden Kumpanen sind Wachmänner, seine Freundin | |
Verwaltungsangestellte des Hotels „Versailles“. Mit der überfrachteten | |
Barock-Fassade könnte der Prachtbau im Stil eines Castells auch in der | |
Bourgogne stehen. | |
Tatsächlich handelt es sich aber um ein Stundenhotel inmitten eines | |
heruntergekommenen Viertels in der südchinesischen Stadt Dongguan. Das | |
Eingangstor, umrahmt von griechischen Säulen und Steinlöwen, ist mit einem | |
eisernen Bügelschloss verriegelt. Die Gardinen sind zugezogen, das | |
komplette Anwesen ist verlassen. Xiaogui und seine kleine Truppe sind die | |
einzigen, die sich noch auf dem Gelände aufhalten. Sie sollen das Hotel vor | |
Plünderern schützen. | |
## Überall waren Schreie zu hören | |
Es war an einem Sonntagabend Anfang Februar. Das chinesische | |
Staatsfernsehen hatte zur Hauptsendezeit eine Fernsehreportage | |
ausgestrahlt. Der CCTV-Bericht handelte von der Sexindustrie in Dongguan. | |
„Nur wenige Stunden später standen die Polizeieinheiten bereits vor der | |
Tür“, erinnert sich Xiaogui. Es seien zwei Dutzend gewesen. Sie stürmten in | |
die Hotelzimmer. Es gab Geschrei, die völlig verschreckten Prostituierten | |
wurden teils mit Gewalt in den einen Flügel des Hotelzimmers getrieben. Die | |
halb bekleideten Freier in den anderen. Der Eigentümer des Hotels | |
abgeführt. | |
„Wir wussten sehr schnell, dass wir nicht die einzigen Betroffenen waren“, | |
erzählt Xiaogui. Auf der gesamten Straße blinkten die Lichter der | |
Polizeiwagen. Überall seien Schreie zu hören gewesen, erinnert er sich. Die | |
offizielle Bilanz am späten Abend: Mehr als 6.500 Polizisten durchsuchten | |
insgesamt 2.000 Bordells, Stundenhotels, Saunen und Karaoke-Bars. Sie | |
nahmen mehr als tausend Menschen fest, darunter die meisten Betreiber der | |
Einrichtungen, unzählige Freier und Prostituierte. Fernsehbilder am | |
nächsten Morgen zeigten, wie Hunderte von leichtbekleideten Frauen in einer | |
Halle zusammengepfercht wurden. Einige von ihnen hatten Blut im Gesicht. | |
Der Nachrichtensprecher berichtet von der größten Razzia gegen das | |
Rotlichtmilieu seit Gründung der Volksrepublik. Unter den Festgenommen | |
seien auch zwei örtliche Polizeichefs und mehrere Parteisekretäre. Ihnen | |
wird vorgeworfen, gegen das Prostitutionsgewerbe all die Jahre zu | |
nachlässig vorgegangen zu sein. Auch von Bestechung war die Rede. „In der | |
ersten Woche kamen die Polizisten bis zu sechs Mal am Tag, berichtet | |
Xiaogui. Die Anti-Rotlicht-Kampagne hält bis heute an. | |
Dongguan ist eine 8-Millionen-Stadt vor den Toren Hongkongs, inmitten des | |
Perlflussdeltas in Südchina. Die Stadt ist eigentlich Veränderungen | |
gewohnt. Vor fünf Jahren musste sich die Industriemetropole schon einmal | |
komplett neu erfinden. Anfang 2009 schlug die von den USA ausgehende | |
Weltfinanzkrise auch in China voll zu. Die Ausfuhren brachen ein, | |
zehntausende Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter fanden keine Anstellung | |
mehr. | |
Das Perlflussdelta, wegen seiner vielen Fabriken bekannt als „Werkbank der | |
Welt“, war besonders betroffen. War Dongguan zwischen 2003 und 2006 mit | |
fast 20 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr eine der prosperierendsten | |
Städte Chinas überhaupt, stand nach der Krise der gesamten Region der | |
wirtschaftliche Absturz bevor. | |
## Mehr als 300.000 Prostituierte | |
Die Stadtoberen schafften schnell Abhilfe. Prostitution ist in China | |
offiziell zwar verboten. Doch schon seit vielen Jahren nehmen es die | |
Behörden mit den Vorschriften nicht genau. Auch in der Hauptstadt Peking | |
finden sich Bordelle, Sexshops und Massagesalons, die „besonderen | |
Zusatzservice“ bieten. | |
Dongguan war auch schon vor 2009 bekannt für das Rotlichtgewerbe. Um die | |
vielen verloren gegangenen Arbeitsplätze in den Fabriken zu kompensieren, | |
legten die Parteisekretäre von Dongguan die Prostitutionsvorschriften noch | |
mal ganz besonders lax aus. Zwar gibt es keine genauen Zahlen. Doch | |
Experten vermuten, dass die Stadt in den Jahren 2010 und 2011 mehr als | |
300.000 Prostituierte zählte. Einer von zehn Einwanderern in Dongguan | |
arbeitete im Rotlichtmillieu. | |
„Sie sind nun alle weg“, sagt Xiaogui. Wohin? Das wisse er nicht. In der in | |
Hongkong erscheinenden Zeitung South China Morning Post berichtet eine Frau | |
aus dem Gewerbe, dass die Prostituierten in Scharen Dongguan verlassen | |
hätten. Einige hätten sich in den Nachtclubs der Nachbarstädte Foshan und | |
Huizhou um ein neues Auskommen bemüht. Sie berichteten jedoch von sehr viel | |
raueren Umgangsformen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. In Dongguan | |
hatten sich Frauen und Freier eine Infrastruktur aufgebaut, die sie vor | |
Gewalt schützte. Die gebe es in anderen Städten nicht. | |
Politische Beobachter vermuten hinter dem Bericht des chinesischen | |
Staatsfernsehen eine bewusste Kampagne, die sich gegen den liberaleren | |
Geist in Südchina richtet. Guangdong ist mit dem Perlflussdelta die | |
wirtschaftlich wohlhabendste Provinz in China. Die Hauptstadt Peking ist | |
weit, vieles entzieht sich ihrem Einfluss. Nun wolle die Zentralregierung | |
die Kontrolle wieder verstärkt an sich reißen. | |
Viele Menschen reagierten im Internet mit Spott und Ärger auf das rabiate | |
Vorgehen der Behörden. Sie bezichtigten den Staatssender der Heuchelei, | |
weil er verdeckte Reporter losschickte, um über eine Szene zu berichten, | |
die für jeden Besucher der Stadt kein Geheimnis sei. | |
„Weine nicht, Dongguan! CCTV ist skrupellos, aber die Welt ist voller | |
Liebe“, lautet ein weit verbreiteter Eintrag auf dem Kurzbotschaftendienst | |
Sina Weibo. „Anstatt Huren an den Pranger zu stellen, sollte die Regierung | |
stattdessen die Hintergründe durchleuchten“, fordert ein Blogger. Viele | |
Internet-Nutzer haben rote Kerzen in Form von Kondomen ins Netz gestellt, | |
um ihre Solidarität mit den Sexarbeiterinnen zu zeigen. | |
## Herbe Verluste in der Hotel-Branche | |
In Dongguan zeigen sich nun die wirtschaftlichen Folgen. Laut der Yangcheng | |
Evening Post ist der gesamte Dienstleistungssektor in der Stadt | |
zusammengebrochen. Die Razzien sollen Umsatzverluste von rund 50 Milliarden | |
Yuan verursacht haben, rund sechs Milliarden Euro. Auch Geschäfte, | |
Schönheitssalons, Lokale, Taxis und sogar Supermärkte klagen über heftige | |
Einbußen. | |
Besonders betroffen sind Luxushotels. Die insgesamt 23 Fünf-Sterne-Hotels | |
mussten nach dem Wirtschaftseinbruch von 2009 schon einmal herbe Verluste | |
hinnehmen, nachdem zehntausende Geschäftsleute aus aller Welt wegblieben. | |
Ihre Auslastung sank damals auf unter 60 Prozent. Die Umsatzeinbußen | |
konnten sie nur kompensieren, weil wohlhabende Männer aus Japan, Südkorea, | |
Malaysia und dem nahe gelegenen Hongkong nach Dongguan kamen und die Zimmer | |
für Sex nutzten. Dieses Geschäft liegt nun seit Februar brach. | |
Kenner der Region gehen davon aus, dass die Behörden die Rotlicht-Kampagne | |
schon bald beenden würden. Im vergangenen Jahr habe die Region das von der | |
Zentralregierung landesweit vorgegebene Wachstumsziel von 7,5 Prozent | |
unterschritten und lag nur noch bei etwas mehr als 6 Prozent, sagt der in | |
Dongguan beheimatete Unternehmer und landesweit bekannte Blogger Xiao | |
Gongjun. Das sei zu wenig für eine Region, die sich mitten im | |
Strukturwandel befindet. | |
Auch Wachmann Xiaogui ist zuversichtlich: „Das Gewerbe ist nicht tot“, sagt | |
er. In Dongguan werde es vielleicht nicht ganz so florieren wie vor der | |
Großrazzia. Doch er ist sich sicher: „Rotlicht stirbt nicht aus – auch | |
nicht in China.“ | |
20 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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