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# taz.de -- Am Stammtisch der Wahren Finnen: Alles bloß Propellerköpfe
> Der Spitzenkandidat isst Köfte-Klöpse und träumt von 100 Sitzen im
> EU-Parlament mit AfD und Co. Zu Besuch beim Stammtisch der finnischen
> Euro-Hasser.
Bild: Im kellerigen Hinterzimmer treffen sich die finnischsten Finnen.
HELSINKI taz | Das William K., die Kneipe, in der sich rechtspopulistische
Finnen über die kalte sozialistische EU-Elite aufregen, ist ein britisch
angehauchter Pub in der Annankatustraße in Helsinki.
Rot-braun gemusterte Teppiche liegen schwer auf den Tischen, an der
holzverkleideten Wand lehnen hohe Regale mit staubigen Büchern und
Brettspielen. Hier im Hinterzimmer, wo nur wenig Licht aus Lampen scheint,
bei Popcorn und Fassbier, mischen sich die Einwanderungskritiker des
Internetblogs „Homma-Forum“ mit Mitgliedern der „Suomen Sisu“ – eines
Vereins der unnachgiebigen, kämpferischen Finnen, die finnische Werte
stärken wollen. In das kellerige Zimmer ohne Fenster unter niedriger Decke
kommen sie mittwochs zum Stammtisch.
Es ist 21 Uhr. Juho Eerola trägt schulterlanges, blondes Haar als Zopf, ein
paar Löckchen ragen heraus, grünblaue Augen unter hellblonden Augenbrauen
im glatt rasierten Gesicht. Ein schmächtiger Typ, der dunkles Weizen trinkt
und Oliven an einem länglichen Fleischklops isst, der aussieht wie Köfte.
Juho Eerola will nicht mit Journalisten reden. Schließlich ist er
EU-Spitzenkandidat der Perussuomalaiset, der Wahren Finnen, für die er
mittags noch im finnischen Parlament saß. Bei Suomen Sisu war er Mitglied,
trat aber aus, um das Image seiner Partei zu schonen. Nach ein paar Popcorn
kann Eerola seine Neugier doch nicht zähmen und fragt auf Englisch: „Ihr
habt doch diese Partei, die Alternative für Deutschland. Wie sind die so?“
## Auf Partnersuche bei der AfD
Die Wahren Finnen sind [1][mit 19 Prozent und 39 Sitzen im finnischen
Parlament.] Bei den Europawahlen 2009 holten sie 9,8 Prozent und damit
einen Sitz, auf dem noch ihre [2][Führungsfigur Timo Soini] hockt. Für
seine neue Brüssler Fraktion sucht Juho Eerola noch Partner. Die AfD, die
wäre wohl geeignet, glaubt er.
Mitglieder der Dänischen Volkspartei hat er schon getroffen. Auch der Front
National sei passend – 25 Prozent der Franzosen könnten nichts Böses
wählen. Jetzt will der Wahre Finne „die AfD-Führung checken.“ Was er in
deren Programm gelesen habe, findet er „sehr gut.“ Eerola träumt von 100
Sitzen in Brüssel.
Der Wahre Finne achtet genau darauf, wie Führungspersönlichkeiten anderer
rechtspopulistischer Parteien auftreten. Parteichef Timo Soini hat das
angeordnet. „Man muss vorsichtig sein mit dem, was man sagt“, das weiß
Eerola.
## Gut verpackter Rassismus
Seine Ansichten der Flüchtlingspolitik formuliert er so: Nach seiner Arbeit
als Krankenpfleger im Flüchtlingsheim habe er gemerkt, dass Flüchtlinge
alle Lügner seien. Er will nicht alle raushaben, aber Russen und Rumänen,
die kämen nur zum Betteln nach Finnland. Zum Glück gebe es „genug Grenzen
zwischen Finnland und Afrika“.
Was ist denn rassistisch, Herr Eerola?
„Wenn jemand sagt: Die sollen alle draußen bleiben.“ Und er beteuert
gleich: „Wer Rassistisches sagt, wird rausgeschmissen.“ Nach zwei Bier
verabschiedet sich Eerola, er will ins Bett.
## Finne im Thor Steinar Pulli
Vier Stühle weiter hat sich Jari Leino breitgemacht. Ein fülliger Finne mit
zur Seite gegeltem Haar, bekleidet mit XL Thor Steinar Pulli. Auf Deutsch
sagt er: „Warum habt ihr unser schönes Lappland gebrannt?“ Ein dunkles
Lachen, er grinst wie Joker, seine Augen blitzen.
Dann erklärt Leino, Deutsche müssten sich nicht schuldig fühlen für den
Holocaust und den Zweiten Weltkrieg inklusive der Besetzung Lapplands. Die
Schuld, die habe jemand „implantiert“. Leino ist hier, um für seine eigene
Partei zu werben, die „Muutos 2011“, Veränderung 2011. Den
Thor-Steinar-Pulli habe er natürlich nur gekauft, um sich darüber lustig zu
machen.
Was wollen Sie denn politisch, Herr Leino?
„Die unabhängige Republik Finnland.“ Flüchtlinge bedeuteten eine Welle der
Zerstörung für das einzigartige finnische Volk. Und die Deutschen ließen
sie in den Parks campen! „Bitte, behaltet die alle. Wir wollen sie nicht.“
So wie er es mit Rassisten seiner Anhänger hält, würde Parteichef Soini
einen wie Leino wohl humorig „Propellerkopf“ nennen – einen, der bloß ein
bisschen zu viel redet.
12 May 2014
## LINKS
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## AUTOREN
Julia Neumann
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