# taz.de -- Wo Berufseuropäer abhängen: In der Blümchen-Bar | |
> Wo treiben sich die Europa-Abgeordneten außerhalb ihrer Sitzungen herum? | |
> Ein Erfahrungsbericht aus Brüssel und Straßburg. | |
Bild: Länger schunkeln als in München: Brüsseler Oktoberfest. | |
BRÜSSEL taz | Die Europäische Union, so denken viele, sind graue | |
Bürogebäude. Anzugträger ohne Lächeln. Langweilige Paragrafen und | |
Verordnungen. Staubtrockene Bürokratie eben. | |
Das stimmt alles. Doch die Eurokraten können auch Poesie. Man muss sich nur | |
die Namen ihrer Cafés und Bars anschauen: Neben den | |
Nullachtfünfzehn-Funktionsnamen wie „Presse“- oder „Abgeordnetenbar“ g… | |
es zum Beispiel in Straßburg, dem einen Sitz des Europäischen Parlaments, | |
die „Blümchen-Bar“ und in Brüssel, dem anderen Sitz, die | |
„Mickey-Mouse-Bar“. | |
Die Mickey-Mouse-Bar liegt in der dritten Etage des | |
Paul-Henri-Sparks-Gebäudes direkt neben dem Plenarsaal des Europäischen | |
Parlaments. Monatelang war der gesperrt, weil die Decke einzustürzen | |
drohte. Aber seit ein paar Wochen ist alles repariert, und auch zur | |
Mickey-Mouse-Bar gibt es wieder ungehinderten Zugang. Der hellgraue Teppich | |
ist schwer und schluckt die Schritte der eilenden Beamten und Politiker. | |
Ihr Eingang liegt hinter einer Kurve im Gang versteckt. Weiß man nicht, | |
dass es sie gibt, man würde sie kaum finden. | |
Ihren Namen verdankt die Bar, deren runde Form und Größe an den | |
angrenzenden Sitzungssaal erinnert, den Stühlen, die um runde Tische im | |
Raum verteilt stehen. Sitzfläche und Rückenlehne sind gepolstert mit | |
knallgelben, roten, blauen und grünen dicken Stoffballen. Mit viel Fantasie | |
kann man darin tatsächlich die Ohren der umtriebigen Disney-Maus erkennen. | |
Vor Kurzem waren die Stühle einfach aus der Bar verschwunden und durch | |
moderne, rote Ledersessel ersetzt worden. Aber die Nostalgie hat gesiegt: | |
Nach einem kurzen Intermezzo sind die Stühle wieder zurück. Die roten, | |
glatten Sessel stehen jetzt überall auf den Parlamentsfluren verteilt. | |
## Kurze Röcke, hohe Schuhe | |
Hier treffen sich alle gern zum schnellen Kaffee oder zu einem Glas frisch | |
gepressten Orangensaft: Abgeordnete, Assistenten, Fraktionsmitarbeiter, | |
Journalisten, Lobbyisten. In die Bar dürfen alle, die Zugang haben zum | |
Europäischen Parlament. Die Kleiderordnung dominieren, im Gegensatz zu den | |
Stühlen, gedeckte Farben: Anzüge, Kostüme, aber auch einige gewagtere | |
Kombinationen: Gern kurze Röcke, hohe Schuhe, passende Ketten, Halstücher, | |
Lippenstiftfarbe. Die Frauen, die im Europäischen Parlament arbeiten, | |
würden bei einem EU-weiten Arbeitskleidungs-Contest sicherlich auf den | |
vorderen Plätzen landen. | |
Die Straßburger Schwester der Bar ist im Souterrain des dortigen | |
Parlamentsgebäudes versteckt. Schuld am Namen ist hier der Teppich: Grün | |
mit gelben und roten nicht näher definierbaren Blumen. Die Schlangen am | |
Tresen sind zu jeder Tageszeit viel zu lang. Die durchschnittliche | |
Wartezeit beträgt bestimmt zehn bis fünfzehn Minuten – und das für eine | |
Tasse Kaffee oder ein kaugummiartiges Sandwich. | |
Kulinarische Höhepunkte sind hier nicht zu finden. Nur notwendige | |
Nervennahrung, um die tatsächlich sehr langen Tage der Straßburger | |
Plenarwochen zu überstehen. Die beginnen meist um neun Uhr in der früh und | |
enden frühestens zwölf Stunden später. | |
Theoretisch müssen Abgeordnete und Mitarbeiter des Europäischen Parlaments | |
das Haus überhaupt nicht verlassen. Egal ob Essen, Frisör oder Bank – alles | |
drin. In Brüssel gibt es mittlerweile vier Kantinen. Eine davon liegt im | |
zwölften Stock und bietet einen besonders schönen Blick über die Dächer der | |
Stadt. | |
Abgeordnete verirren sich allerdings nur selten hierher. Vielen fehlt | |
entweder die Zeit zum Essen oder sie gehen in eines der nahe liegenden | |
Restaurants. Außerdem haben sie ihr eigenes Abgeordneten-Restaurant im | |
Parlament, in dem weiße Tischdecken ein wenig Ambiente bieten und es sogar | |
eine echte Speisekarte gibt. | |
## Essen ist ein Stück Heimat | |
In Straßburg gehen die Parlamentsmenschen auch gern mal fremd und zum | |
Mittagessen zum benachbarten Europarat. Dort ist das Essen besser, die | |
Kantine heller und es gibt in den Sommermonaten sogar eine Terrasse. | |
Politik wird hier aber kaum gemacht. | |
Auch in den Bars im Europäischen Parlament geht es wenig geheimnisvoll zu. | |
Dafür hören zu viele Ohren mit. Vertrauliche Gespräche führen die | |
EU-Abgeordneten genauso wie die Beamten aus der EU-Kommission oder die | |
Lobbyisten wenn nicht in den Büros, dann in einem der vielen Restaurants im | |
Brüsseler Europaviertel. Jeder hat da so sein Lieblingsziel. In der | |
Archimed-Straße, die am Hauptgebäude der Europäischen Kommission, dem | |
Berlaymont, entlangführt, liegt zum Beispiel das „Barbanera“, ein | |
Italiener, der für viel Geld frische, hausgemachte Nudeln mit schwarzem | |
Trüffel verkauft. Dort sitzen jeden Mittag an vielen Tischen Eurokraten mit | |
Lobbyisten zusammen und tauschen Informationen aus. | |
Nur ein paar Häuser weiter das Kontrastprogramm: Ein klitzekleiner | |
Italiener mit wenigen Tischen, auf denen rot-weiß-karierte Tischdecken | |
liegen. Unprätentiös. Aber Kenner schwören auf die Spaghetti arrabiata, die | |
schon der ehemalige italienische Kommissionspräsident Romano Prodi gern | |
dort gegessen hat. | |
Essen ist eben doch auch immer ein Stück Heimat. Nicht zu unterschätzen | |
sind deshalb die jeweiligen „nationalen“ Lokale: Weil alle irgendwie | |
irgendwann auch an Heimweh kranken, gibt es rund um die Institutionen eben | |
nicht nur die klassischen italienischen Restaurants oder Irish Pubs, | |
sondern auch griechische, polnische, schwedische und deutsche Gaststätten. | |
Die „Maxburg“ liegt zwischen EU-Kommission und Parlament. Hier gibt es | |
bayrisches Bier, Schweinshaxe und Knödel. Die Einrichtung ist – vorsichtig | |
ausgedrückt – gediegen rustikal. Natürlich wird hier jedes wichtige | |
Fußballspiel übertragen und an den Tischen wird mehr deutsch gesprochen als | |
französisch, flämisch oder englisch. | |
## Sich für ein paar Stunden bayerisch fühlen | |
Die Steigerung dessen ist nur noch das alle zwei Jahre stattfindende | |
Oktoberfest der bayerischen Landesvertretung. Da wird dann so richtig Maß | |
getrunken und geschunkelt bis zum frühen Morgen (und damit viel länger als | |
beim Original in München mit Sperrstunde). Und plötzlich fühlen sich alle | |
(deutschen) Eurokraten zumindest für ein paar Stunden bayerisch. | |
Das eigentliche Herzstück des Europaviertels ist aber der Platz Luxemburg. | |
Der rechteckige Platz liegt genau vor dem Europäischen Parlament. Vor | |
allem, wenn es nicht regnet, kann man hier Europa anfassen – im wahrsten | |
Sinne des Wortes. Am frühen Abend füllen sich die Terrassen der Kneipen | |
rund um den Platz. Jeden Donnerstag, dem offiziellen After-Work-Tag, leitet | |
sogar das Brüsseler Busunternehmen seine Fahrzeuge um, weil der Platz dann | |
einfach zu voll wird. Die Kneipen heißen „London calling“, „Coco“ oder | |
„Fatboy“. Englisch dominiert auch die Gespräche, aber auch Polnisch, | |
Deutsch, Finnisch oder Französisch ist zu hören. | |
Hier trinkt eben auch der Abgeordnete sein Feierabendbier und ringt seinem | |
Kollegen vielleicht doch noch den einen oder anderen Kompromiss ab und die | |
Lobbyisten freuen sich über nützliche Infos aus den Institutionen. Es ist | |
eine große Kontakt- und Informationsbörse. In der Mitte des Platzes, auf | |
einem kleinen Rasenstück, fläzen sich einige Praktikanten aus den | |
EU-Institutionen in ihren Anzügen. Sie trinken Bier aus Dosen, haben | |
Rotweinflaschen mitgebracht, Oliven und einer spielt Gitarre. | |
So manche europäische Ehe hat hier ihren Anfang genommen und unzählige | |
kurzweilige Freundschaften und Liaisons, die alle ihren Teil zur | |
europäischen Völkerverständigung beitragen. Und genau das ist das schöne an | |
Brüssel: Hier wird Europa erfahrbar, trotz aller Technokratie. | |
9 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Ruth Reichstein | |
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