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# taz.de -- Nach Bergwerksunglück in der Türkei: Tag der Rechtfertigungen
> Die Betreiberfirma der Todesmine verteidigt sich, die Polizei attackiert
> Angehörige der Opfer – und setzt erneut Tränengas und Wasserwerfer ein.
Bild: Warum kursieren unter den Angehörigen höhere Opferzahlen? Das konnte di…
ISTANBUL/SOMA taz/rtr | Bei Protesten nach dem schweren Bergwerksunglück im
westtürkischen Soma ist es zu Zusammenstößen zwischen Tausenden Bewohnern
der Stadt und der Polizei gekommen. Die Sicherheitskräfte feuerten am
Freitag Tränengas auf die Demonstranten und setzten massiv Wasserwerfer
ein, wie Reuters-Reporter vor Ort berichteten.
Kollegen der Opfer und Familienangehörige geben den Behörden und der
Regierung in Ankara eine Mitschuld an dem Drama. Sie werfen ihnen vor, die
Profitinteressen der Bergwerksbetreiber über Sicherheitsinteressen zu
stellen. Die Demonstranten hatten versucht, zu einem Denkmal für Bergleute
in Zentrum der Stadt zu marschieren, waren aber von der Polizei aufgehalten
worden.
„Ich bin 76 Jahre alt und mit dem größten Leid meines Lebens konfrontiert�…
Das sagte am Freitag im türkischen Unglücksort Soma nicht etwa einer der
Angehörigen eines getöteten Bergmanns, sondern Alp Gürkan, der Pächter und
Betreiber der Todesmine.
## Betreiberfirma stellt sich erstmals der Öffentlichkeit
Nach den Wogen der Empörung in den vergangenen Tagen war am Freitag so
etwas wie der Tag der Rechtfertigungen und Entschuldigungen. Am Vormittag
stellte sich in Soma das erste Mal nach dem Unfall am Dienstagnachmittag
die Betreiberfirma der Öffentlichkeit.
Besitzer Alp Gürkan und seine Betriebsleiter des Soma-Bergwerks beteuerten,
sie hätten ihr Unternehmen vorbildlich geführt und könnten auch drei Tage
nach dem Unglück nicht erklären, wie es zu dem Brand gekommen sei, durch
den die Katastrophe verursacht wurde.
Auf Fragen nach den nicht vorhandenen Rettungsmitteln sagte Alp Gürkan,
eine Überlebenskammer sei in Bau gewesen. Wäre der Unfall drei Monate
später passiert, hätten sie viele Arbeiter retten können. Er beteuerte, wie
sehr er mit seinen Arbeitern, denen er jahrelang Hungerlöhne zahlte,
verbunden sei: „Es ist als wären meine Söhne und Brüder gestorben.“
Bei aller weinerlichen Rethorik zauberte Gürkan dann doch noch eine
vermeintlich harte Information aus dem Meer an Unwissenheit. Anhand der
Listen der Arbeiter hätte die Betriebsleitung festgestellt, dass sich noch
maximal 18 Bergarbeiter in der Grube befänden, die noch nicht geborgen
seien. Da man davon ausgehen muss, dass diese 18 Menschen tot sind, käme
man dann auf eine Gesamtopferzahl von 302 Bergarbeitern.
Warum unter den Angehörigen und innerhalb der Gewerkwschaft wesentlich
höhere Opferzahlen kursieren, konnte Alp Gürkan nicht erklären. Die
Branchengewerkschaft Maden Is hatte aber schon am Mittwoch erklärt, die
Zahl der Männer in der Grube sei durch die Subunternehmen und Leiharbeiter,
die dort eingesetzt würden, leicht zu verschleiern.
## Eine „unverschämte Unterstellung“
In Ankara stellte sich dann wenig später Regierungssprecher Hüseyin Celik
der Presse. Celik, einer der Scharfmacher der Regierung, verteidigte
Erdogan vehement und betonte noch einmal, Bergarbeiter sei nun mal wie
Seemann und Soldat ein riskanter Beruf.
Dass Erdogan Demonstranten geschlagen habe, wies er als „unverschämte
Unterstellung“ zurück, obwohl mittlerweile immer mehr Videos und Fotos auf
Youtube auftauchen, die genau das belegen.
Celik musste auch zu dem Erdogan-Berater Yusuf Yerkel Stellung nehmen. Auf
einem Foto ist zu sehen, wie dieser auf einen Demonstranten eintritt, den
die Polizei festhält. Das Foto, das mittlerweile in der gesamten Welt
Furore macht, ist laut Celik eine Momentaufnahme, die den gesamten Vorgang
verzerrt darstellt. Yerkel sei zuvor von dem Demonstranten angegriffen
worden und dabei so schwer verletzt worden, dass er sich krank gemeldet
habe. Yerkel selbst hatte zuvor allerdings schon schriftlich erklärt, er
bedauere es, dass er sich habe provozieren lassen.
Als Journalisten Celik fragten, ob die Regierung denn nun daran denke, den
Kohleabbau als zu gefährlich einzuschränken, sagte Celik, die Türkei
brauche Energie und habe nun einmal Kohle: „Windenergie ist eine Träne im
Ozean, wir können auf die Kohle nicht verzichten.“
16 May 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Soma
Bergbau
Grubenunglück
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Recep Tayyip Erdoğan
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