# taz.de -- Transparenz der Behörden: Stadt aus Glas | |
> Lange hielten Behörden ihre Aktenschränke konsequent vor den Bürgern | |
> verschlossen. Nun muss Hamburg ab Oktober viele Unterlagen frei ins Netz | |
> stellen. | |
Bild: Bauarbeiter auf der Glasfassade der Elbphilharmonie. | |
In Stuttgart ist es der Bahnhof, der unter Tage entstehen soll, in Berlin | |
die Fantasie eines Hauptstadtflughafens und in Hamburg das Konzerthaus: | |
Prestigeprojekte mit Shitstorm-Potenzial. | |
Jedoch: Bürger, die ganz nüchtern Fakten sammeln wollten, um die Details | |
dieser Projekte zu verstehen, gingen bislang leer aus. In Stuttgart | |
immerhin hat ein Untersuchungsausschuss viele Details ans Tageslicht | |
befördert. In Berlin zeigt sich aber, wie Verwaltungen für gewöhnlich | |
ticken: BER-Verträge? Verschlusssache! Anders geht es nur in Hamburg zu. | |
Wer im Netz nach den Stichworten „Verträge Elbphilharmonie“ sucht, wird | |
fündig: Das Material steht auf der Seite der Kulturbehörde. Von den | |
Leistungs- über Planungs- bis hin zu Pachtverträgen kann jeder nachlesen, | |
auf was sich die Hansestadt eingelassen hat. Das schließt auch viele | |
Details mit ein, wie die Spielregeln für den Schriftzug an der Ostfassade | |
zum Beispiel. Kurzum: Hier kann sich jeder selbst ein Bild von der | |
Bauaffäre machen. | |
Diese Veröffentlichung markiert einen Wendepunkt in der deutschen | |
Behördenkultur. Wenn auch bisweilen zögerlich, hat die sogenannte | |
Informationsfreiheit inzwischen auch Deutschland erreicht. Das Prinzip, das | |
in Skandinavien schon im 18. Jahrhundert und in den USA mit dem „Freedom of | |
Information Act“ vor bald fünf Jahrzehnten etabliert wurde, ist simpel: | |
Staaten und Behörden öffnen ihre Aktenschränke für das Volk. | |
## Kulturwandel im Amt | |
„Wir sind absoluter Pionier“, schwärmt André Basten und übertreibt dabei | |
kein bisschen, denn er betritt hierzulande tatsächlich Neuland: Spätestens | |
vom 6. Oktober an muss die Hamburger Verwaltung viele Unterlagen von sich | |
aus frei ins Netz stellen. Was bei den Verträgen zur Elbphilharmonie noch | |
freiwillig geschah, wird schon bald zur Regel, da Pflicht. Projektleiter | |
Basten ist dafür verantwortlich, dass das klappt. | |
Die Hamburger Verwaltung bereitet sich seit knapp zwei Jahren auf dieses | |
neue Zeitalter vor. Damals hat erst eine Bürgerinitiative unter dem Titel | |
„Transparenz schafft Vertrauen“ Druck gemacht und dann schließlich die | |
Bürgerschaft geschlossen ein Transparenzgesetz verabschiedet, das weiter | |
geht als die Informationsfreiheitsgesetze, die es auf Bundesebene und in | |
einigen Bundesländern bereits seit ein paar Jahren gibt. | |
„Dieser Kulturwandel zieht sich quer durch alle Behörden und Bezirksämter�… | |
erklärt Basten, der mit seinen Leuten seit Monaten durch die Abteilungen | |
zieht und die neue Lage erklärt. Er selbst geht davon aus, dass circa 2.000 | |
Mitarbeiter mit dem neuen Gesetz in Berührung kommen werden. Wann immer sie | |
künftig Unterlagen in die ohnehin elektronischen Akten legen, gilt es zu | |
prüfen: Gehört das auch ins Internet? Aber diese aktive Transparenz hat | |
Grenzen. | |
„Die Behörden werden jetzt nicht all ihre Aktenschränke und Festplatten | |
öffnen“, sagt Basten und erklärt: „Im Register sind die Ergebnisse, nicht | |
auch die Entstehungsgeschichten dieser Vorgänge einzustellen.“ Klassische | |
Aktenvermerke, Entwürfe oder auch Protokolle von Besprechungen bleiben | |
außen vor, können allerdings gezielt angefragt werden. Und wenn Mitarbeiter | |
dann merken, dass sich viele Bürger für die Details interessierten, dann | |
liege es „natürlich nahe, dass sie diese Information auch ins Register | |
einstellen“, so Basten. | |
## Erst wird geschwärzt | |
Der Vorläufer „Elbphilharmonie“ zeigt aber, dass Neugierigen entscheidende | |
Details selbst dann vorenthalten bleiben, wenn die Stadt einen Vorgang | |
umfassend ins Netz stellt: Bevor Mitarbeiter ein Dokument ins Netz speisen, | |
prüfen sie, ob sie etwas schwärzen müssen. So kann zwar jeder nachschauen, | |
wer wann mit wem einen Vertrag geschlossen hat, was dieser beinhaltet und | |
wie die Leistung erbracht werden muss. Die Konditionen einer Vereinbarung | |
bleiben hingegen mitunter geheim. | |
„Es geht insbesondere um den Schutz Dritter“, erklärt Asmus Maatsch, der | |
auf die juristischen Feinheiten des Projekts achtet. So müsse die Stadt auf | |
ihrer Plattform etwa „sensible Unternehmensdaten“ und Persönlichkeitsrechte | |
von Bürgern schützen. Einkommensteuererklärungen etwa sind tabu – anders | |
als in Skandinavien, wo jeder nachschauen kann, wie viel sein Nachbar | |
verdient. „Wir wollen zwar den gläsernen Staat, aber nicht den gläsernen | |
Bürger“, sagt Johannes Caspar, Hamburgs Datenschutzbeauftragter, der über | |
das städtische Projekt wacht. | |
Weil die Verwaltung die Schutzpflichten aber mit dem öffentlichen Interesse | |
an einem Vorgang abwägen muss, werden über die eine oder andere Schwärzung | |
Gerichte befinden müssen – vor allem, wenn es um Geschäftsgeheimnisse geht. | |
Wer mit einer Schwärzung oder Anonymisierung in den Dokumenten nicht | |
einverstanden ist, kann eine Klage anstrengen, um die gewünschte | |
Transparenz zu erzwingen. | |
## Lagerdenken der Parteien | |
Unterdessen teilen sich die Ländern bei der Informationsfreiheit in zwei | |
Lager auf: in die, die sich diesem Prinzip konsequent verweigern, und in | |
die, die sich zu Fans staatlicher Transparenz erklären. Zwar vorhersehbar, | |
aber dennoch wahr: Wo die Union mitredet, zieht sich durch den | |
Verwaltungsapparat noch immer der alte Mief vom Amtsgeheimnis. | |
Sozialdemokraten und vor allem die Grünen strengen indes den Wandel an. | |
Beispiel Bund: Dass hier zumindest das Prinzip „Akteneinsicht auf Antrag“ | |
gilt, geht auf die rot-grüne Regierungszeit zurück. Bei den Ländern sind | |
Hessen, Bayern und Sachsen transparenzfreie Zone. In Baden-Württemberg und | |
Niedersachsen haben Rot-Grün beziehungsweise Grün-Rot nach der | |
Machtübernahme entsprechende Gesetze angekündigt. Niedersachsen arbeitet | |
inzwischen auch daran. | |
So oder so geht Hamburg demnächst mit seinem „Transparenzregister“ vorweg | |
und dabei über klassische Dokumente hinaus. „Es geht ja nicht nur um | |
Gutachten und Verträge“, berichtet Hausjurist Maatsch, „sondern auch um | |
strukturierte Daten, die teils auch noch laufend aktualisiert werden.“ Als | |
Beispiele nennt er die fortlaufenden Ergebnisse der Luftmessung und | |
sogenannte Geodaten wie Karten, die das Wassernetz dokumentieren. Die neue | |
Plattform soll bei diesem Material „den Wert eines lebenden Systems“ | |
abbilden und Rohdaten liefern. „Entwickler von Apps werden darauf | |
vermutlich schon warten.“ Hamburg wird im Herbst also einen neuen Standard | |
setzen – weg von verschlossenen Aktenschränken, hin zu echter Transparenz. | |
2 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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