| # taz.de -- Geheimverträge der Hochschulen: Vetorecht für Nestlé | |
| > Abkommen mit Lehrstuhlsponsoren waren in der Schweiz lange unter | |
| > Verschluss. Nun haben Journalisten vor Gericht erstritten, Einblick | |
| > nehmen zu dürfen. | |
| Bild: Auch der Vertrag der ETH Zürich mit dem Chemiekonzern Syngenta ist nicht… | |
| LAUSANNE/ZÜRICH taz | Seit die Schweizer Universitäten in den späten 1990er | |
| Jahren autonom wurden, stehen sie untereinander in verstärktem Wettbewerb | |
| um Köpfe und Geld. So wollte es die Politik; in der Schweiz nicht anders | |
| als in Deutschland. | |
| Wie sich das vermehrte Werben um privates Geld – und allenfalls damit | |
| verbundene Konzessionen an die Geldgeber – auf die Inhalte von Wissenschaft | |
| und Lehre auswirken, hat bisher kaum jemand untersucht. Doch in den | |
| vergangenen Wochen schaffte es dieses Thema in der Schweiz zur besten | |
| Sendezeit ins Fernsehen und auf die Titelseiten großer Zeitungen. | |
| Das liegt nicht zuletzt an der großen Diskrepanz zwischen dem, wie | |
| Hochschulen wahrgenommen werden wollen und dem, was sie tun. | |
| 2006 hat die Eidgenössisch Technische Hochschule Lausanne (ETHL) – neben | |
| der ETH Zürich die kleinere der zwei Schweizer Bundesuniversitäten – eine | |
| Kooperation über rund 25 Millionen Franken (20 Mio Euro) mit dem | |
| Nahrungsmittelgiganten Nestlé vereinbart. Die ETHL feierte den | |
| Vertragsabschluss als Erfolg. | |
| Nur die kleine linke Wochenzeitung [1][WOZ] kommentierte den Deal | |
| skeptisch. Sie schrieb allerdings, die Verträge seien „sauber“, denn Nestl… | |
| erhalte keine Mitspracherechte. So behauptete es damals jedenfalls der | |
| ETHL-Pressesprecher. Überprüfen ließ sich das nicht: Der Vertrag war | |
| geheim. | |
| 2012 gab die Uni Zürich bekannt, dass sie von der Schweizer Großbank UBS | |
| 100 Millionen Franken (80 Mio Euro) erhält, um ein neues Zentrum „für | |
| Ökonomie in der Gesellschaft“ mit fünf Lehrstühlen zu gründen. Diesmal gab | |
| es etwas lautere Kritik: Seit die UBS 2008 mit Steuermilliarden vor dem | |
| Untergang gerettet werden musste, genießt die Bank nicht mehr viel | |
| Sympathie in der Öffentlichkeit. | |
| Mit einer akademischen Verspätung von einigen Monaten protestierten Anfang | |
| des vergangenen Jahres 27 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit | |
| ihrem [2][„Zürcher Appell“] in der Zeit dagegen, dass „die Bank den Raum | |
| der Universität als Interessenplattform benutzt“. Vertreter der Uni | |
| versicherten zwar, die akademische Freiheit sei vertraglich garantiert – | |
| allein: Auch dieser Vertrag war geheim. | |
| Seit einigen Jahren kennt die Schweiz auf Bundesebene wie in den meisten | |
| Kantonen Informationsfreiheitsgesetze. 2012 beantragte ich Einsicht in den | |
| Vertrag der ETH Lausanne mit Nestlé wie auch in einen Vertrag, den die ETH | |
| Zürich mit dem Agrokonzern Syngenta geschlossen hatte zwecks Schaffung | |
| eines Lehrstuhls für nachhaltige Agrar-Ökosysteme. | |
| Zusammen mit einem Kollegen der Zeit beantragte ich zudem Einsicht in den | |
| Vertrag der Uni Zürich mit UBS. Beide Hochschulen lehnten die Gesuche ab, | |
| wobei die ETH Zürich mir den Vertrag mit Syngenta informell zeigte. | |
| Gegen die Ablehnung aller Gesuche legte ich Beschwerde ein – und bekam in | |
| erster Instanz jeweils Recht. Die Rechtspraxis scheint hierzulande | |
| öffentlichkeitsfreundlicher zu sein als etwa in Nordrhein-Westfalen, wo | |
| Ende 2012 das Verwaltungsgericht Köln eine Klage auf Offenlegung des | |
| Vertrags der Uni Köln mit Bayer ablehnte. | |
| ## Verbindungen offenlegen | |
| Ebenfalls offenlegen mussten die Hochschulen die Interessenbindungen ihrer | |
| Professoren – etwas, was der oberste Forschungsförderer der USA, Francis | |
| Collins, selbst in den öffentlichkeitsfreundlichen USA nicht durchsetzen | |
| konnte. | |
| So konnte ich im November 2013 den Vertrag der Uni Zürich mit UBS und im | |
| Mai 2014 den der ETHL mit Nestlé publizieren. Zwar ging keiner der Verträge | |
| so weit wie der 2011 von der taz publizierte V[3][ertrag der HU und TU | |
| Berlin mit der Deutschen Bank], der dieser das Recht einräumte, über | |
| Publikationen zu befinden. Gleichwohl bargen sie Brisanz. | |
| Die UBS verfügt an der Uni Zürich über keine inhaltlichen Mitspracherechte. | |
| Allerdings ist der Vertrag dem Direktor des zu schaffenden Zentrums, | |
| Volkswirtschaftsprofessor Ernst Fehr, auf den Leib geschneidert, der | |
| gleichzeitig Vizevorsitzender der geldgebenden UBS-Stiftung ist. | |
| Die Uni Zürich müsste laut Vertrag Hörsäle nach der UBS benennen (darauf | |
| hat die Bank mittlerweile verzichtet), und von den Professoren des Zentrums | |
| „wird erwartet“, dass sie an einer jährlichen Veranstaltung der UBS | |
| teilnehmen: Die Bank bestimmt also, wenn auch nur in einer Nebensache, das | |
| Pflichtenheft der Wissenschafter mit. | |
| Im Vertrag mit Syngenta ist festgelegt, dass das Unternehmen gegen die | |
| Berufung des Professors Bedenken anmelden kann. Der Präsident der Uni muss | |
| diese „zur Kenntnis nehmen“ sich allerdings nicht danach richten. | |
| ## Die Uni hat gelogen | |
| An der [4][ETH Lausanne erhält Nestlé das Recht], die Berufungen für die | |
| beiden gestifteten Lehrstühle abzunicken, und der Konzern finanziert am | |
| selben Institut Forschungsprojekte, über deren Inhalte er ebenfalls | |
| mitbestimmt. Die Behauptung des ETHL-Pressesprechers von 2006, Nestlé habe | |
| kein Mitspracherecht, war also eine glatte Lüge. | |
| Die ETH Lausanne versucht nun mit einiger rhetorischer Akrobatik, aber | |
| wenig Überzeugungskraft, die Lesart beliebt zu machen, dass es sich bei den | |
| Vertragspassagen nicht um Vetorechte handle. Und sie verweist darauf, dass | |
| noch nie ein Geldgeber von seinem Vetorecht, das keins sein soll, Gebrauch | |
| gemacht habe. Doch ein Recht wird nicht außer Kraft gesetzt, wenn es nicht | |
| in Anspruch genommen wird. | |
| ## Geheimabsprachen | |
| ETHL-Präsident Patrick Aebischer behauptete zudem, „alle Welt“ schließe | |
| Verträge mit derartigen Rechten ab. Überprüfen lässt sich das bis heute | |
| kaum, weil weltweit nach wie vor die meisten Stiftungslehrstühle aus | |
| Geheimabsprachen hervorgehen. Aber die Rektoren mehrerer Schweizer Unis | |
| beeilten sich, Aebischer zu widersprechen. | |
| Unter ihnen der Rektor der Universität Basel, Antonio Loprieno, der zudem | |
| die Schweizerische Hochschulrektorenkonferenz präsidiert. An seiner | |
| Universität haben Geldgeber formal keine Mitsprache bei der Berufung von | |
| Professoren, können aber ohne Stimmrecht an den Sitzungen der | |
| Berufungskommission teilnehmen. | |
| Doch auch die Uni Basel hat Mühe, zu dem zu stehen, was sie tut: 2012 | |
| behauptete sie noch, die Stifter seien im Berufungsverfahren gar nicht | |
| beteiligt, denn „das wäre mit der akademischen Unabhängigkeit unvereinbar�… | |
| Und von welchen Firmen sie wie viel Geld erhält, gab die Universität Basel | |
| erst nach langem Widerstand auf Druck der Lokalzeitung Tageswoche bekannt. | |
| ## Einige Hochschulen lernen dazu, andere nicht | |
| Wie viel Mitsprache ist mit der akademischen Freiheit vereinbar? Die Frage | |
| ist so einfach nicht zu beantworten, denn die reine, von allen Einflüssen | |
| freie Wissenschaft ist nicht nur eine Illusion, sie wäre wohl nicht einmal | |
| wünschbar. „Wir lernen gerade dazu“, sagte vergangenen Dezember Otfried | |
| Jarren, der kurzzeitig die Universität Zürich führte, nachdem der | |
| amtierende Rektor vorzeitig zurückgetreten war. | |
| In welche Richtung das Lernen führt, ist im Fall der Uni Zürich | |
| einigermaßen klar: Der neue Rektor, Michael Hengartner, sprach sich für die | |
| vollständige Offenlegung aller Verträge aus – noch bevor er im Amt war und | |
| bevor der juristische Entscheid gefallen war. | |
| ## Merkwürdige Interpretation | |
| Dagegen will die ETH Lausanne ihre Praxis beibehalten. [5][Vetorechte bei | |
| Berufungen seien nicht zulässig, beschloss zwar ihr Aufsichtsgremium, der | |
| ETH-Rat, Ende Mai] – folgte aber gleichzeitig der merkwürdigen | |
| Interpretation der ETHL, wonach das Recht, eine Berufung gutzuheißen, kein | |
| Vetorecht sei. | |
| Nicht in Sicht ist eine einheitliche Regelung für alle zwölf Universitäten | |
| der Schweiz (von den Fachhochschulen ganz zu schweigen). Die Akademien der | |
| Wissenschaften wurden durch die Kontroverse um das UBS-Sponsoring zwar | |
| aufgeschreckt. Sie organisierten eine Workshop zum Thema und wollten | |
| gemeinsam mit der Universitätsrektorenkonferenz Richtlinien ausarbeiten. | |
| Die Rektoren aber gaben den Akademien im Sommer 2013 einen Korb. | |
| Die Sozialdemokratische Partei möchte Mindestanforderungen an das | |
| Lehrstuhlsponsoring ins Universitätsförderungsgesetz schreiben. Im | |
| Parlament ist diese Forderung aber chancenlos. So bleibt denn als Resultat | |
| zunächst nur die Klärung, dass Geheimverträge in der privaten | |
| Lehrstuhlfinanzierung nicht legal sind. | |
| 5 Jun 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.woz.ch/ | |
| [2] http://www.zuercher-appell.ch | |
| [3] /Institutsgruendung-an-Berliner-Unis/!71442/ | |
| [4] http://mhaenggi.ch/03_Wissenschaftspolitik/artikel_EPFL-Nestle.html | |
| [5] http://www.woz.ch/1422/uni-sponsoring/vertraege-muessen-zugaenglich-sein | |
| ## AUTOREN | |
| Marcel Hänggi | |
| ## TAGS | |
| Universität | |
| Wirtschaft | |
| Hochschule | |
| Nestlé | |
| Indien | |
| Informationsfreiheitsgesetz | |
| Verwaltung | |
| Prüfung | |
| USA | |
| Schwerpunkt Bayer AG | |
| Bildung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Größter Lebensmittelkonzern der Welt: Nestlé kriegt den „besten Manager“ | |
| Ulf Schneider leitet künftig das Unternehmen. Es will verstärkt auf | |
| Lebensmittel setzen, die die er als gesundheitsfördernd ausgibt. | |
| Indien fordert Schadensersatz von Nestlé: Bleihaltige Nudeln | |
| Erst verboten Indiens Behörden den Verkauf von vermutlich | |
| gesundheitschädlichen Maggi-Nudeln. Jetzt drohen hohe | |
| Schadensersatzforderungen. | |
| Mehr Transparenz - aber nicht überall: Vom Soll zum Muss | |
| Die Grünen wollen das Bremer Informationsfreiheitsgesetz ändern, damit mehr | |
| Daten öffentlich sind. Manche Hochschulforschungen würden aber geheim | |
| bleiben. | |
| Verwaltungsforscher verlieren Förderung: Am Bedarf vorbei geforscht | |
| Die Leibniz-Gemeinschaft verstößt das FÖV. Das Institut habe nicht genug | |
| publiziert und forsche zu Projekten ohne öffentliche Akzeptanz. | |
| Studienabbrecher in Deutschland: Die Prüfungsfalle | |
| Von 100 Teilnehmern schafften nur 14 die Klausur im ersten Anlauf. Sollen | |
| Erstsemester abgeschreckt werden? Die Hochschulen widersprechen heftig. | |
| US-Militär lässt in Deuschland forschen: Sprengstoff, Panzerglas und Munition | |
| Über 10 Millionen Euro steckten die USA in den letzten Jahren in | |
| Grundlagenforschung an deutschen Unis. Auch Hochschulen mit Zivilklausel | |
| sind unter den Empfängern. | |
| Transparenz in der Wissenschaft: Geheimakte Fusselforschung | |
| Hochschulen kooperieren zunehmend mit der Wirtschaft – über die Bedingungen | |
| schweigen sie sich aus. Wie viel Transparenz braucht es? | |
| Finanzierung von Hochschulgebäuden: Billiger bilden mit Lidl | |
| Die Lidl-Stiftung finanziert einer staatlichen Hochschule im Ländle | |
| Gebäude. Dass dadurch die Freiheit der Lehre gefährdet sein könnte, sehen | |
| nur wenige. | |
| Forschung an der Kölner Uniklinik: Im Auftrag der Pharmaindustrie | |
| Die Kölner Uniklinik forscht im Auftrag der Bayer AG. Im Vertrag ist die | |
| Entwicklung und Testung von neuen Medikamenten vereinbart. Viel mehr verrät | |
| die Uniklinik nicht. |