| # taz.de -- Freiheit und Ökomoderne: Dürfen Grüne keine Ökos sein? | |
| > Schleswig-Holsteins grüner Energiewendeminister Habeck mampft Wurst und | |
| > kauft auch bei Aldi, weil Öko-Kultur ein „Stigma“ sei. | |
| Bild: Sieht aus wie ein Hot Dog. Ist aber ein Veggie Chilli Dog. Sieht aus wie … | |
| Muss ein regierender Grüner Fleisch essen und seine Milch auch mal bei Aldi | |
| kaufen, damit die Leute jenseits eines kleinen Teils von Stammwählern ihn | |
| nicht für einen Lebensstil-Vorschreiber halten, der ihre Freiheit | |
| einschränken will? Mit Robert Habeck vertritt einer der wichtigsten | |
| Spitzenpolitiker der Grünen diese Position. Der stellvertretende | |
| Ministerpräsident von Schleswig-Holstein erklärt in der soeben erschienenen | |
| Ausgabe des Umweltmagazins zeo2, dass er als grüner Politiker Klimakultur | |
| und einen Ökofaktor im Lebensstil nicht identitär verkörpern könne. | |
| „Öko“ zu sein, sei in der Mehrheitsgesellschaft ein „Stigma“, sagt Hab… | |
| in dem von der taz herausgegebenen Magazin. Wenn er als Energiewende-, | |
| Umwelt- und Landwirtschaftsminister auftrete, eine Wurst esse und den | |
| Leuten erzähle, dass er seine Milch auch mal beim Discounter kaufe, dann | |
| seien sie glücklich. „Wenn ich aber kein Fleisch esse und niemals Milch bei | |
| Aldi kaufe, predige ich das bessere Menschentum. Das würde als abgehobene | |
| Lebensstil-Vorschreiberei verstanden.“ Dürfen Grüne keine Ökos sein? Ein | |
| Lebensstil mit Ökofaktor würde ihm politisch schaden, glaubt Habeck. | |
| „Ich verlöre den Anschluss an viele Menschen. Damit wäre ich nicht da, wo | |
| die Gesellschaft ist, für die ich Politik machen will.“ Man müsse eine | |
| „emanzipatorische Politik“ machen, aber „den anderen nicht jeden Firlefanz | |
| vor die Nase halten“. | |
| Ein Hintergrund dieser Einschätzung ist die negative öffentliche Resonanz | |
| auf den Grünen-Vorschlag eines fleischfreien Donnerstags in deutschen | |
| Kantinen, im Volksmund „Veggieday-Debakel“ genannt und als Grund für die | |
| krachende Niederlage bei der Bundestagswahl ausgemacht; nach Trittins | |
| Steuererhöhungsplänen oder um davon abzulenken. | |
| ## Eine No-win-Situation | |
| Damit wurde eigentlich nur das antike Spaßbremsenvorurteil gegen | |
| Klimakultur aufgewärmt. Doch seither wird Freiheit – wie ja auch | |
| Gerechtigkeit – in großen Teilen der Gesellschaft und des Parteienspektrums | |
| wieder strategisch oder reflexartig als Gegensatz von ökologischer Moderne | |
| interpretiert. Gerade auch in linksliberalen Kreisen herrscht häufig die | |
| Ansicht, man müsse sich für das eine oder das andere entscheiden. | |
| „Hätten alle gesagt, das ist ja mal eine tolle Idee, dass die Kantinen | |
| einen Tag in der Woche fleischfrei kochen und das übertragen wir darauf, | |
| welchen Strom wir nutzen, welche Kleidung wir tragen, welche Autos wir | |
| fahren: Dann wären die Grünen durch die Decke gegangen und wir hätten eine | |
| andere Regierung“, sagt Habeck. Das Gegenteil sei der Fall. „Der Streit um | |
| Lebensstilfragen ist sehr präsent, nur wirkt er sich eben negativ aus für | |
| den, der sie stellt.“ | |
| Eine Öko-Vorbildfunktion hält er für eine No-win-Situation. Wer | |
| ökologisches Vorbild sein wolle, werde entweder als Heuchler abgewertet, | |
| wenn er dann mal in den Urlaub fliege, oder als Prediger des besseren | |
| Menschentums, wenn er sich wirklich ideal verhalte. | |
| ## Grüne Politik und grüne Ästhetik | |
| Das Komplizierte an der Sache ist, dass die Grünen deutlich breiter als Öko | |
| sind und das auch sein wollten. Seit dem Wahldesaster im letzten Herbst ist | |
| das angebliche „Kernthema“ rhetorisch wieder klar in den Vordergrund | |
| gerückt. Unter den Ökos innerhalb und außerhalb der Grünen gibt es zwei | |
| Denkrichtungen: Die Suffizienz-Fraktion, etwa Reinhard Loske, setzt auf | |
| Postwachstum und Mäßigung, die Green-New-Deal-Fraktion um Ralf Fücks setzt | |
| auf „grünes“ Wachstum und Effizienzrevolution. Habeck gehört zur zweiten | |
| Fraktion. | |
| Viele Grüne sind aber weder habituelle Ökos noch brennen sie für die | |
| sozial-globale Dimension der Energiewende und Ökomoderne, sondern | |
| definieren sich eher über klassisches Gerechtigkeitsdenken, Menschenrechte | |
| und moralisch-emanzipative Fragen. Dagegen steht die kollektive Projektion, | |
| dass alle Grünen Ökos seien. Das ist einerseits Markenmythos und Wahlgrund, | |
| aber andererseits auch Stigma und Wahlverweigerungsgrund. Was tun? | |
| „Die Grünen machen einen schweren Fehler, wenn sie diese Identität | |
| ablegen“, sagt der Sozialpsychologe und Klimakulturforscher Harald Welzer. | |
| Zu grüner Politik gehöre auch eine „grüne Ästhetik“. Den Zuschreibungen… | |
| Vorurteilen müsse man sich stellen, anstatt sich in jeder Hinsicht dem | |
| Mainstream anzudienen. Ansonsten bestätige man ja nur den ohnehin im Raum | |
| stehenden Vorwurf, kein Alleinstellungsmerkmal mehr zu haben. | |
| Es stellen sich diverse Fragen: Wenn sie den grünen Lebensstil komplett von | |
| ihrer Politik abkoppeln, sind die Grünen dann noch unterscheidbar von | |
| Sozialdemokraten? Und auch wenn Habeck mit dem Öko-Stigma völlig richtig | |
| liegt, gibt es nicht die Notwendigkeit von Vorbildern und | |
| gesellschaftlichen Gruppen, die vorangehen? Was ist das für eine Logik, | |
| beim Discounter zu kaufen, um eine Mehrheit für die sozialökologische | |
| Transformation zu gewinnen? | |
| ## Wider das Ökospießertum | |
| Man bräuchte über die Sache gar nicht zu reden, wenn sie aus den üblichen | |
| Verlautbarungskanälen käme. Aber Habeck, 44, ist nicht nur ein | |
| Schriftsteller und Doktor der Philosophie mit Raketenkarriere, der zwei | |
| Jahre nach Parteieintritt Landesvorsitzender und dann in kurzer Zeit der | |
| erste Energiewendeminister Deutschlands wurde. Er stellt die Figur eines | |
| grünen Gegenwartspolitikers dar, die in ihrem Auftreten Geschichte und | |
| Zukunft, Idealismus und Pragmatismus, Schlitzohrigkeit und Redlichkeit, | |
| Intellektualität und Coolness zu verbinden scheint. Wenn der ans Pult geht, | |
| dann wird es sogar bei den Parteitagen interessant. | |
| Was will er also mit seinem Angriff auf das „Ökospießertum“, wie er das | |
| nennt? Er will sich nicht mehr vom vermeintlichen Gegensatz zwischen | |
| Ökologie und Freiheit treiben lassen. Er will aber ökosoziale | |
| Ordnungspolitik auch nicht mehr klassisch mit dem Verweis auf | |
| Freiheitseinschränkung Dritter begründen, also den nachfolgenden | |
| Generationen und den armen Menschen in Bangladesch, deren Lebensgrundlage | |
| der Klimawandel raubt, den unser Lebensstil befeuert. Das ist für ihn | |
| abstrakter Moralismus. Er versucht einen Befreiungschlag, indem er in der | |
| Sache weder mit einem abstrakten Freiheits- noch mit einem abstrakten | |
| Moralbegriff hantiert. | |
| ## Reale Form eines guten Lebens | |
| Mal abgesehen davon, dass die entscheidenden Freiheitsfragen des 21. | |
| Jahrhunderts sich nicht um Fleisch oder Tempo 100 drehen: Freiheit, sagt | |
| Habeck, müsse etwas über die reale Form eines guten Lebens aussagen. Das | |
| aber tut ein Recht auf Rasen und Energieverschwenden nicht. Es gibt für ihn | |
| eine Ordnungspolitik, die die Freiheit schützt und ein gelingendes Leben | |
| erst ermöglicht. Das sieht im Grunde jeder so, wenn die Freiheit des | |
| Diebstahls, Hausanzündens oder Schlagens von Kindern gefordert wird – nur | |
| nicht, wenn es um die Ökomoderne geht, also die Freiheit der eigenen Strom- | |
| und Lebensmittelproduktion, etwa in Genossenschaften. Es brauche „nicht die | |
| Erziehung zu besseren Menschen, sondern andere Rahmenbedingungen“. | |
| Treiber dieser Erkenntnis ist die Realität, also der nach wie vor | |
| vergleichsweise geringe Anteil von Biolebensmittel- bis zu | |
| Ökostromkonsumenten. Die einen können nicht, die anderen wollen nicht, und | |
| er glaubt, dass er sie dennoch für große politisch organisierte Veränderung | |
| gewinnen kann. Aber nicht, wenn in der öffentlichen Wahrnehmung etwas | |
| dominiert, was aus seiner Sicht Popelkram ist. | |
| Letztlich stellt Robert Habeck eine entscheidende Frage, über die man jetzt | |
| sprechen muss: Fleischfressen bis zum Abwinken oder Beharren auf ein | |
| Menschenrecht auf Glühbirnen huldigen nur einem abstrakten | |
| Freiheitsbegriff, okay. Aber huldigt der Gegensatz, nämlich gelebte | |
| Klimakultur, letztlich auch nur einem abstrakten Moralismus? Da will man | |
| doch wissen, was der Teil der Gesellschaft dazu sagt, der wirklich für die | |
| sozialökologische Moderne brennt – und der sie leidenschaftlich lebt. | |
| 12 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
| ## TAGS | |
| Robert Habeck | |
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| Bündnis 90/Die Grünen | |
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| Michael Kellner | |
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