# taz.de -- Irakische Flüchtlinge: „Warum tun sie uns das an?“ | |
> Hunderttausende sind auf der Flucht vor Isis-Terroristen und | |
> Regierungstruppen. Viele werden bereits zum zweiten Mal vertrieben und | |
> ziehen ins Kurdengebiet. | |
Bild: Rund 650.000 Menschen sollen im Irak auf der Flucht sein | |
KHAZER taz | Es waren nur zwei Wörter, die der Vermummte zischte, aber Umm | |
Kassem wusste, dass sie ihr Todesurteil bedeuten können. „Hau ab!“, sagte | |
er. Vor Jahren hatte sie den gleichen Satz schon einmal gehört. Damals | |
vertraute die Schiitin noch darauf, dass ihre Nachbarn sie schützen würden. | |
Diesmal packten sie und ihr Mann, ein Sunnit, das Allernötigste in ein paar | |
Tüten und schlossen sich mit ihren beiden Kindern dem Flüchtlingstreck im | |
Nordirak an. | |
Seit der Einnahme von Mossul vor zwei Wochen haben Extremisten der Isis und | |
sunnitische Aufständische große Gebiete im Nord- und Westirak unter ihre | |
Kontrolle gebracht. Hunderttausende sind aus Furcht vor den Islamisten und | |
den Bombardements der Regierung geflohen. Die UNO schätzt ihre Zahl auf | |
650.000. | |
Einen Tag und zwei Nächte hat Umm Kassem für die gut 200 Kilometer von | |
Beiji bei Tikrit bis nach Khazer gebraucht. Immer wieder musste der Fahrer | |
den Minibus anhalten, um Schutz vor den Bombardierungen der irakischen | |
Armee zu suchen. „Von der einen Seite greift uns Daash (Isis) an und von | |
der anderen die Regierung“, sagt die 38-Jährige. „Wir wollen beide nicht.�… | |
Rund 1.500 Männer, Frauen und Kinder sind in der kleinen Zeltstadt in | |
Khazer, rund vierzig Kilometer westlich der kurdischen Regionalhauptstadt | |
Erbil, untergebracht. In zahlreichen Orten fanden Flüchtlinge in Schulen | |
und öffentlichen Gebäuden Unterkunft. Wie viele es sind, weiß derzeit | |
niemand so genau. Die Behörden, die UNO und Hilfsorganisationen kommen mit | |
der Erfassung und den Hilfeleistungen kaum hinterher. | |
In ihrem Zelt räumt Sana Khalid ihre Habseligkeiten in eine Plastikkommode. | |
Für die dreifache Mutter ist es bereits die dritte Flucht. Vor acht Jahren | |
floh die Sunnitin aus Bagdad nach Samarra, nachdem schiitische Milizionäre | |
ihren Schwager und Neffen ermordet hatten. In Tikrit baute sich die Familie | |
mit einem Imbiss eine neue Existenz auf. Dann überrannten vor zehn Tagen | |
die Isis-Extremisten und Aufständischen die Stadt. Neben Irakern habe sie | |
auch Afghanen und Libyer gesehen, sagt Khalid. Die Extremisten hätten | |
Familien wie die ihre nicht behelligt. Khalid floh vor den Angriffen der | |
Regierungstruppen. „Wir sind Zivilisten. Welche Schuld haben wir, dass sie | |
uns das antun?“ | |
## „Krieg, Krieg und nochmal Krieg“ | |
Nach Angaben der UNO sind im Irak seit dem 5. Juni mindestens 1.000 | |
Zivilisten getötet worden. Sowohl die Isis wie die Sicherheitskräfte | |
verübten Massaker. Die Extremisten haben vermutlich Hunderte von Soldaten | |
hingerichtet. Südlich von Kirkuk ermordeten sie mindestens 30 Angehörige | |
der Minderheit der schiitischen Turkmenen. In einem Gefängnis in Bakuba | |
erschossen Polizisten 44 sunnitische Gefangene. Der Tod von mindestens 84 | |
Gefangenen bei Mossul geht vermutlich auf das Konto von Sicherheitskräften. | |
„Schiiten bringen Sunniten um, und Sunniten bringen Schiiten um“, sagt | |
Khalid. Neben ihr sitzt ihr siebenjähriger Sohn und quengelt. Seine | |
viereinhalbjährige Schwester hockt still in der Ecke und spielt mit Mamas | |
Make-up. „Es ist ein konfessioneller Krieg wie damals. Und es wird noch | |
schlimmer werden.“ Auch deshalb sei sie geflohen. „Ich habe den Krieg | |
erlebt. Ich will nicht, dass meine Kinder das auch erleben müssen.“ | |
Aus Angst vor den Angriffen der Regierung und dem drohenden Bürgerkrieg ist | |
auch Abu Omer aus Mossul geflohen. Dort ist es derzeit vergleichsweise | |
ruhig. Die meisten ausländischen Dschihadkämpfer seien weiter gezogen, sagt | |
der Lehrer. Die vermummten Gestalten an den Checkpoints seien Iraker. Und | |
nicht nur das: Ihrem Dialekt nach seien es hauptsächlich Männer aus Mossul. | |
Wer sind sie? Was wollen sie? Der Sunnit weiß es nicht. Aber er ist sich | |
sicher, dass die derzeitige relative Ruhe nur die Ruhe vor dem Sturm ist. | |
„Die Rebellen wollen Bagdad erobern. Im Süden marschieren die Milizen auf. | |
Sie werden sich bis zum Letzten bekriegen“, sagt er. „Das ist nicht mein | |
Krieg.“ | |
So sieht es auch Umm Kassem. Vor elf Jahren floh die Schiitin mit ihrem | |
Mann aus dem Südirak nach Bagdad, weil schiitische Milizionäre den Sunniten | |
bedrohten. Als 2006 der konfessionelle Konflikt explodierte, suchte das | |
Paar in Beiji Zuflucht. „Ich habe für meinen Mann meine Familie verlassen. | |
Und jetzt werde ich von Sunniten bedroht“, sagt sie und zieht sich das | |
Kopftuch so weit ins Gesicht, dass man nur noch die Augen sieht. „Ich will | |
endlich in Frieden leben, egal wer regiert. Aber im Irak gibt es immer nur | |
Krieg, Krieg und noch mal Krieg.“ | |
27 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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