| # taz.de -- Dschihadisten und Nationalisten im Irak: Eine unheilige Allianz | |
| > Was die Terrorgruppe IS erfolgreich macht, ist ihre Zusammenarbeit mit | |
| > Saddam-Anhängern und Baathisten. Das ist zugleich ihre Schwäche. | |
| Bild: Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat viele Fans in Bagdad. | |
| KAIRO taz | US gegen IS, heißt es also nun. Rasend schnell haben die | |
| Kämpfer des Islamischen Staates (IS) die sunnitischen Gebiete des Irak | |
| überrannt. Sie zwingen die USA – mehr als zehn Jahre nach deren Einmarsch | |
| im Irak –, erneut einzugreifen, um das Vordringen der Islamisten auf | |
| kurdisches Gebiet zu stoppen. Ironie der Geschichte: Die Kampfbomber, die | |
| die IS-Artilleriestellungen nun beschießen, steigen vom US-Flugzeugträger | |
| „George H. W. Bush“ auf. Dessen Namensgeber aber trägt eine nicht | |
| unwesentliche Mitverantwortung für das heutige irakische Chaos. | |
| Jetzt wird die Rechnung für viele Jahre verfehlter Irakpolitik präsentiert. | |
| Sie fingen an, als der damalige US-Besatzungsverwalter Paul Bremer die | |
| irakische Armee per Federstrich auflöste. Die Armee war die institutionelle | |
| Hochburg der Sunniten des Landes, unter Saddam Hussein stellte sie die | |
| Elite. Über Nacht waren Tausende gut ausgebildete Offiziere arbeitslos. | |
| Immer mehr wurden die Sunniten seither aus dem politischen System | |
| verdrängt. Der irakische Premier Nuri al-Maliki hat diesen Kurs beibehalten | |
| und perfektioniert. | |
| Kein Wunder, dass das irakische Kartenhaus schnell in sich zusammenfiel, | |
| als ein paar tausend Kämpfer, deren Organisation damals noch Isis hieß, die | |
| Grenze von Syrien in den Irak überschritten: Binnen Kurzem konnten sie die | |
| zweigrößte Stadt des Landes, Mossul, und alle sunnitischen Gebiete erobern. | |
| Sie stießen auf eine große Unzufriedenheit der Sunniten, die sie mit | |
| offenen Armen empfingen. Der Coup war von langer Hand geplant. Diesseits | |
| der irakischen Grenze warteten längst die schlafenden Zellen der | |
| sogenannten Militärräte – Gruppen ehemaliger baathistischer Kader aus | |
| Saddams Militärelite. Die sunnitischen Stammesführer reagierten pragmatisch | |
| und schlossen sich den Stärkeren an. | |
| Dieses Zusammenspiel einstiger Baathisten und Saddam-Anhänger und der Isis | |
| war der Schlüssel zum Erfolg. Sowohl die militärischen Baath-Kader als auch | |
| die Kämpfer der IS werden von irakischen Exoffizieren geführt. Die | |
| militärische Stärke, die sich heute daraus ergibt, ist aber gleichzeitig | |
| die Schwachstelle der Zukunft: Ideologisch liegen beide weit auseinander. | |
| Die Baathisten träumen von der arabischen Einheit. Zur Zeit Saddams hatte | |
| mit Tarek Asis ein Christ das Amt des Außenministers und Vizepremiers inne. | |
| Unter ihm genossen gerade Minderheiten wie die Christen besonderen Schutz. | |
| Erste Bruchlinien werden bereits deutlich. Noch Mitte Juli hatte Izzat | |
| Ibrahim ad-Duri, einst enger Vertrauter Saddams und heute einer der | |
| Drahtzieher der baathistischen Kader im Irak, noch die „Ritter des | |
| Islamischen Staates“ begrüßt. Anfang August berichtete dann die kurdische | |
| Webseite Shafaq von einer Erklärung der Baathisten, das die IS als „Kräfte | |
| der Konterrevolution“ beschreibt, „die begonnen haben, die Ränge der | |
| Revolutionäre zu vergiften“ und „Verbrechen gegen das irakische Volk | |
| begangen zu haben, indem sie Menschen vertrieben und religiöse Symbole und | |
| Wohnhäuser in die Luft gejagt haben“. Dazwischen hatte die IS fünf | |
| hochrangige Offiziere der Baathisten nach Syrien verschleppt und dort | |
| exekutiert. | |
| ## Die Regierung muss umdenken | |
| Angeblich haben sich in Mossul bereits erste Brigaden gegen IS gebildet, | |
| nachdem diese Ende Juli die berühmte Moschee des Propheten Junis (biblisch: | |
| Jonas) in die Luft gejagt hatten. Die Moschee war ein beliebtes Ziel | |
| muslimischer und christlicher Pilger. Unklar bleibt dabei die | |
| Machtverteilung der beiden sunnitischen Seiten. Medienberichten zufolge hat | |
| die IS die strategische Oberhand. Dank Geld und modernster, aus dem | |
| irakischen Armeearsenal eroberten Waffen gelinge es ihr, frustrierte junge | |
| Sunniten zu rekrutieren. | |
| Besonders dann, wenn es keine politische Alternative gibt, sind | |
| militärische Erfolge, moderne Waffen und Geld attraktiv. Hier liegt ein | |
| Schlüssel, um den Vormarsch der IS zu stoppen: Die Zentralmacht in Bagdad | |
| muss den Sunniten ernsthafte Angebote einer politischen und | |
| wirtschaftlichen Teilhabe machen. Das aber geht nicht ohne Machtverlust der | |
| schiitischen Parteien, was zugleich den iranischen Einfluss verringern | |
| würde. Funktionieren könnte es wohl auch nur, wenn man einige der alten | |
| baathistischen Kader einbezieht. | |
| Auch im Weißen Haus in Washington scheint man inzwischen erkannt zu haben, | |
| wie fatal es war, die Sunniten aus dem politischen Leben in Bagdad | |
| auszugrenzen. Es werde sehr schwer werden, ohne eine Einheitsregierung auf | |
| breiter Basis, eine vereinte irakische Bewegung gegen die Dschihadisten | |
| aufzubauen, erklärte Präsident Barack Obama. Sonst, fügte er hinzu, sei die | |
| IS für die Sunniten die einzig verbliebene Option. | |
| 10 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
| ## TAGS | |
| Irak | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Bagdad | |
| Mossul | |
| Paris | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Irak | |
| Libanon | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Irak | |
| Flüchtlinge | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Junge Rekruten für den Dschihad: Angehörige bleiben ratlos zurück | |
| Für religiöse französische Jugendliche sind Syrien und Irak derzeit „places | |
| to be“. Dort kämpfen sie nach eigenem Verständnis für Gerechtigkeit. | |
| Unterstützung gegen Dschihadismus: „Ich hoffe, dass er zurückkommt“ | |
| Wenn der Sohn in den „Heiligen Krieg“ ziehen will, sind viele Eltern | |
| überfordert. Die einzige Beratungsstelle für solche Fälle gibt es in | |
| Bremen. | |
| Krieg im Irak: USA intervenieren auf allen Ebenen | |
| Die USA ergreifen Partei für Präsident Masum im Streit mit | |
| Ministerpräsident al-Maliki. Die gegen die Dschihadisten kämpfenden Kurden | |
| erhalten Waffen. | |
| „Islamischer Staat“ greift Libanon an: Dschihadisten auf dem Vormarsch | |
| Die Miliz „Islamischer Staat“ rückt weiter vor. Der Libanon liegt in den | |
| Grenzen des Wunschkalifats der Terroristen und wird bereits angegriffen. | |
| Kriegstagebuch aus dem Irak: Bagdad online | |
| Facebook ist eine gute Quelle, um etwas über den Alltag im Irak zu | |
| erfahren. Die Stimme des Krieges finden wir im Netz. Ein Update. | |
| Stimmungsbild aus Bagdad: Warten auf den nächsten Krieg | |
| Die Kämpfe zwischen der Regierung und den sunnitischen Rebellen finden | |
| außerhalb Bagdads statt. Doch in der Stadt reißen sie alte Wunden auf. | |
| Irakische Flüchtlinge: „Warum tun sie uns das an?“ | |
| Hunderttausende sind auf der Flucht vor Isis-Terroristen und | |
| Regierungstruppen. Viele werden bereits zum zweiten Mal vertrieben und | |
| ziehen ins Kurdengebiet. |