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# taz.de -- Stimmungsbild aus Bagdad: Warten auf den nächsten Krieg
> Die Kämpfe zwischen der Regierung und den sunnitischen Rebellen finden
> außerhalb Bagdads statt. Doch in der Stadt reißen sie alte Wunden auf.
Bild: Die Gewalt nimmt zu, alle sind auf der Hut, und doch geht das Leben in de…
BAGDAD taz | Fahl leuchten die goldenen Kuppeln und die Minarette des
schiitischen Heiligtums von Imam Kadhim in der Nachmittagssonne. Ein
Sandsturm hat Bagdad mit einer dichten Staubwolke überzogen. Es ist ein
Wetter wie am jüngsten Tag.
An einem solchen Tag, so glauben viele Schiiten, werde das komplette Chaos
ausbrechen, das Blut in Strömen fließen, bevor schließlich der Imam Mehdi,
der zwölfte Imam, auf die Erde zurückkehren werde. Seitdem sunnitische
Extremisten um den selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi im Juni
große Gebiete im Nord- und Zentralirak überrannt haben, drohen sie mit dem
Sturm auf Bagdad und die heiligen Stätten der Schiiten.
„Nichts ist ihnen heilig“, sagt Hamsa Ali Nasser al-Obeidi. Mit seiner
betagten Mutter lebt der hagere Sunnit in einer kleinen Behausung nicht
weit vom schiitischen Heiligtum. In einem Stall im Hof hat der Metzger ein
paar Schafe, Ziegen und Kühe untergebracht. Hühner gackern. Viel leisten
kann sich die Familie nicht. Aber immerhin habe er als Sunnit hier in
Kadhimiya nichts zu befürchten. „Die Schiiten im Viertel sind gute Leute“,
sagt der 42-Jährige. Und überhaupt seien die Extremisten eine große Gefahr
für alle.
Viele Sunniten in der Hauptstadt sehen es so wie der Metzger. Aber der
Vormarsch der Extremisten hat die kaum verheilten Wunden des Krieges
zwischen Schiiten und Sunniten vor acht Jahren wieder aufgerissen.
Hunderttausende schiitische Freiwilligen haben sich in die Listen der
Sicherheitskräfte und Milizen eingetragen, um gegen den „Islamischen Staat“
(IS) von Baghdadi in den Krieg zu ziehen. Sie tun es unter dem Banner der
Verteidigung ihrer Heiligtümer in Nadschaf, Kerbala, Samarra und Kadhimiya.
## Kadhimiya ist abgeriegelt
Mit den Gräbern von zwei Imamen ist die Moschee von Kadhimiya eines der
bedeutendsten Heiligtümer für die Schiiten. Wegen der vielen Anschläge in
der Vergangenheit ist der Bezirk im Westen der Hauptstadt heute hermetisch
abgeriegelt. Nur registrierte Taxen sind zugelassen, die letzten 200 Meter
sind für Autos ganz gesperrt.
An Laternenpfählen in einer Straße auf dem Weg zu dem Heiligtum hängen
Bilder von getöteten Kämpfern der Badr-Organisation, einer der
gefürchtetsten Milizen im Irak. Wem diese sich verpflichtet fühlt, zeigt
das Bild des iranischen Revolutionsführers Ali Chameini. Noch vor ein paar
Wochen wäre so etwas in Bagdad undenkbar gewesen. Heute machen nicht nur
die Badr-Kämpfer mit Plakaten kein Hehl aus ihrer Nähe zum Nachbarland
Iran.
Vor dem Schrein versucht ein Händler vergeblich, Umhänge an die Frau zu
bringen. Normalerweise ist kaum ein Durchkommen in den Straßen und Gassen
rund um das Heiligtum. Doch an diesem Nachmittag sind nur ein paar hundert
Gläubige unterwegs. Die sonst ausgebuchten Hotels in Kadhimiya stehen leer.
Dies alles sei die Schuld der irakischen Politiker, sagt Wissam Kadhim, der
in einer Seitengasse einen kleinen Buchladen betreibt. „Die Milizen und
Parteien verbreiten Chaos, um unsere Besitztümer zu stehlen und Macht zu
erlangen.“ Der heute 24-Jährige war fast noch ein Kind, als die Amerikaner
vor elf Jahren Saddam Hussein stürzten. Er hat studiert und auf ein Leben
wie in Amerika oder Europa gehofft. Stattdessen habe er in den letzten elf
Jahren nur Gewalt und Terror erlebt. „Wenn ich das Haus verlasse, weiß ich
nicht, ob ich lebend zurückkomme. Niemand weiß das.“
## „Alle Politiker sind Warlords“
Während des Gesprächs taucht ein kräftiger Mittdreißiger auf. Er blättert
in ein paar Büchern von schiitischen Geistlichen. Aber ganz offensichtlich
interessiert ihn das Gespräch mehr, als es die Bücher tun. Sein Benehmen
erinnert an die Zeiten von Saddam, als an jeder Ecke die Spitzel des
Regimes lauerten. Doch der junge Schiit lässt sich von dem Lauscher nicht
beeindrucken. Regierungschef Maliki habe versagt. Nur ein starker Mann, der
Araber und Kurden, Schiiten und Sunniten, aber auch die Minderheiten
zusammenbringe, könne den Irak retten.
Am 30. April haben die Iraker ein neues Parlament gewählt.
Ministerpräsident Maliki, dessen schiitisches Bündnis knapp ein Drittel der
Sitze hält, beharrt auf einer dritten Amtszeit und lehnt die Bildung einer
Einheitsregierung mit Sunniten und Kurden im Kampf gegen die Terrormiliz IS
vehement ab. Nach zähem Ringen haben sich die Abgeordneten diese Woche
zumindest auf Salim al-Dschuburi, einen Sunniten und Vorsitzenden des
parlamentarischen Menschenrechtsausschusses, als neuen
Parlamentspräsidenten geeinigt. „Die Demokratie im Irak ist gescheitert“,
sagt Kadhim.
Wie der Buchhändler hat auch Sabir Abdul Amir al-Ameli den Glauben an einen
demokratischen Irak verloren. „Unsere politischen Führer sind habgierig und
machthungrig“, sagt der 36-Jährige. „Sie sind alle Warlords, die Zwietracht
und Krieg zwischen Schiiten und Sunniten provozieren, um davon zu
profitieren.“ Die einzige Lösung sei eine Teilung des Iraks zwischen
Schiiten, Sunniten und Kurden.
## Wem gehört Bagdad?
Und was ist mit der Hauptstadt? Es gibt kaum eine Familie hier, die durch
das Blutvergießen der letzten Jahre nicht einen Angehörigen verloren hat.
Zehntausende wurden vertrieben, die einst gemischten Viertel sind
weitgehend verschwunden. Noch findet der Krieg außerhalb von Bagdad statt.
Aber die Extremisten liefern sich in Abu Ghraib, das nur wenige Kilometer
vom Flughafen entfernt ist, teils heftige Kämpfe mit Regierungstruppen und
Milizionären.
„Bagdad ist schiitisch“, sagt Ameli. „Die Sunniten müssen die Stadt dann
verlassen.“ In allen Farben leuchten die Äpfel, Melonen, Trauben, Ananas
und Bananen an seinem Fruchtstand. Die Worte klingen wie Schwerthiebe. Aber
der 36-Jährige ist kein schiitischer Hardliner. Im Gegenteil: Durch ihre
Milizen fühlt er sich ebenso wie der Buchhändler bedroht. „Die Teilung ist
der einzige Ausweg, damit alle Iraker wieder in Frieden leben können.“
## Jugend ohne Hoffnung
So wie die jungen Schiiten von Kadhimiya ihr Viertel nicht verlassen, wagt
auch Ahmed Amer Mohammed keinen Schritt außerhalb von Adhamiya. Nur der
Tigris und eine Brücke trennen den altehrwürdigen sunnitischen Stadtteil
von dem heiligen Bezirk am Westufer. Rund um die Abu-Hanifa-Moschee, eines
der wichtigsten Heiligtümer der Sunniten, haben Soldaten Stellung bezogen.
Die Gegend weitum ist mit Stacheldrahtrollen abgesperrt. Es ist die Zeit
nach dem abendlichen Fastenbrechen. Obwohl dies die Stunden sind, in denen
Familien bummeln und sich die Männer in Straßencafés zum Plausch oder Spiel
treffen, ist in Adhamiya nur wenig los. „Wenn wir auf die Straße gehen,
werden wir von den Soldaten beleidigt“, sagt Mohammed. „Sie durchsuchen
unsere Wohnungen, nehmen uns ohne Grund fest. Für sie sind wir Sunniten
alle Terroristen.“ Wie der Metzger von Kadhimiya hegt auch der 30-Jährige
keine Sympathien für die Extremisten um den „Kalifen“ Baghdadi. Aber er hat
persönlich erlebt, was viele Sunniten als große Ungerechtigkeit empfinden.
Durch harte Arbeit hat Mohammed ein Jurastudium absolviert und es zum
stellvertretenden Richter geschafft. Doch dann wurde er vor drei Jahren
wegen angeblicher Korruption und Beleidigung verhaftet und landete sechs
Monate im Gefängnis. Ein Richter sprach ihn von allen Vorwürfen frei, seine
Stelle hat er trotzdem nicht zurückbekommen. „Nur weil ich Sunnit bin“,
sagt Mohammed.
Wie die Schiiten auf der anderen Seite des Tigris glaubt auch der Sunnit,
dass es für den Irak keine Hoffnung mehr gibt. „Überall sind Milizen. Sie
glauben an die Rückkehr des Mehdi, und davor wird es Chaos und
Blutvergießen geben. Niemand, nur Gott kann mich und meine Familie
schützen.“
## Das Leben geht weiter
Von einem Krieg wie 2006 und 2007 kann in Bagdad derzeit keine Rede sein.
An der Oberfläche wirkt die Hauptstadt sogar relativ friedlich. Doch im
Großraum der Hauptstadt häufen sich die konfessionellen Morde, auch die
Zahl der Entführungen ist wieder gestiegen. Die Hauptstädter haben sich
keinesfalls an die Gewalt gewöhnt, aber sie haben feine Antennen dafür
entwickelt und versuchen irgendwie damit zu leben.
Im zentralen Stadtteil Karrada nimmt das für Außenstehende beinahe surreale
Züge an. An der Straße entlang des Tigris gegenüber dem
Hochsicherheitstrakt der grünen Zone führen jugendliche Motorradfahrer
halsbrecherische Kunststücke vor. Das schicke Restaurant auf einem Schiff
ist trotz der hohen Preise brechend voll. Es herrscht ein buntes
Nebeneinander von Familien mit züchtig bedeckten Frauen und jungen Leuten
in trendigen, westlichen Outfits.
## Wer weiß, was morgen ist
In Ameriya, einem der sunnitischen Viertel an der Straße zum Flughafen im
Westen von Bagdad, verlässt nach Einbruch der Dunkelheit keiner mehr das
Haus, berichten Einwohner. Während schiitische Milizionäre Massenaufmärsche
veranstalten und Fremde die meisten schiitischen Quartiere problemlos
besuchen können, herrscht in Ameriya wie in vielen sunnitischen Bezirken
von Bagdad der Ausnahmezustand. Das Viertel ist mit einer hohen
Sprengschutzmauer umstellt, und selbst die kleinen Seitenstraßen sind mit
Barrikaden verrammelt. Am Checkpoint der Zufahrt weht eine halb zerrissene
Fahne, dahinter prangt ein großes Porträt von Ministerpräsident Maliki.
Hier ist Endstation für Fremde, auch Journalisten hätten keinen Zutritt,
sagt der wachhabende Offizier.
Es ist diese Art der Belagerung, die selbst gemäßigte Sunniten gegen Maliki
aufbringt. „Der Irak ist dem Untergang geweiht“, sagt der Metzger Obeidi in
Kadhimiya. Im letzten Krieg hat er seinen Vater und zwei Brüder verloren.
„Die Regierung kann uns nicht schützen“, wirft seine betagte Mutter ein.
„Wenn jemand an die Tür klopft, haben wir Angst, dass sie uns holen. Sie
kennen alle keine Gnade.“
19 Jul 2014
## AUTOREN
Inga Rogg
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