# taz.de -- Kurdengebiete im Irak: Bagdad verliert den Norden | |
> Nördlich der Städte Tikrit und Kirkuk hat eine neue Zeitrechnung | |
> begonnen. Hier gibt es nur noch Isistan und Kurdistan. | |
Bild: Die Kurden haben die Gunst der Stunde genutzt: Peshmerga in der irakische… | |
TELL KEIF taz | Eine neue Regierung ohne den jetzigen Ministerpräsidenten | |
Nuri al-Maliki soll es im Irak richten. Indem darin Schiiten, Sunniten und | |
Kurden gleichermaßen vertreten sind, soll sie die Einheit des Landes wahren | |
und vor allem die Extremisten des Islamischen Staates im Irak und in Syrien | |
(Isis) schlagen. So sehen es die Gegner von Maliki und vielleicht nicht | |
ganz so vernehmlich auch die USA. Doch was derzeit in Bagdad und der | |
kurdischen Regionalhauptstadt Erbil an Gesprächen läuft: Die Realität im | |
Irak ist seit dem Wochenende eine andere. | |
Im Nordirak nahmen die Extremisten am Sonntagabend Tell Afar ein, eine | |
Stadt, die zwischen Mosul und der syrischen Grenze liegt. Nach tagelangen | |
Kämpfen gab sich der Kommandant Abu Walid geschlagen und setzte sich mit | |
seinen verbliebenen Truppen in das von den Kurden regierte Sinjar ab. Dort | |
ergab sich der „Löwe von Maliki“, wie ihn die regierungsnahen Medien | |
nennen, den Peschmerga. | |
Damit hat im Nordirak eine neue Zeitrechnung begonnen. Nördlich von Tikrit | |
und Kirkuk hat die Zentralregierung die Kontrolle verloren. Es gibt nur | |
noch die Region Kurdistan, den von Kurden regierten Teilstaat, und | |
„Isistan“, die von Extremisten beherrschten Gebiete. „Hier beginnt das | |
Gebiet des Daash“, sagt der Offizier der kurdischen Eliteeinheit Zerevani. | |
Daash ist das arabische Kürzel für Isis. | |
In Begleitung von Zerevani-Kämpfern sind wir von Tell Keif, knapp 20 | |
Kilometer nördlich von Mosul, zum letzten Checkpoint der Kurden gefahren. | |
Hinter uns liegt eine Hügellandschaft, vor uns die Ebene um Mosul, die | |
erste Vorstadt ist nur wenige hundert Meter entfernt. Zu sehen ist von den | |
Extremisten nichts. „Sie kommen uns nicht zu nahe“, sagt der Offizier. In | |
der Vorstadt hätten sie aber Maschinengewehre aufgestellt, damit die | |
kurdischen Kämpfer ihrerseits Abstand halten. | |
## „Hier bleiben wir“ | |
Wir sind erst knapp zwei Minuten da, als einer der Wachen dem Offizier sein | |
Handy zeigt. Er hat aus der Vorstadt eine Textnachricht erhalten. „Achtung, | |
sie gehen in Stellung“, steht dort. Wir treten lieber den Rückzug an. Von | |
der kurzen Nervosität abgesehen, geht es in der Region aber erstaunlich | |
friedlich zu. | |
Die Kurden haben den Fall von Mosul genutzt, um in die von ihnen | |
beanspruchten Gebiete nördlich und östlich der Millionenstadt vorzustoßen. | |
Tell Keif und sämtliche umliegende Gebiete, in denen viele Minderheiten | |
leben, befinden sich jetzt fest in Peschmerga-Hand. | |
„Und hier bleiben wir auch“, sagt General Sefer Ahmed, der Kommandant der | |
Zerevani in Tell Keif. Die Freiwilligen, die sich im Büro des Generals | |
versammelt haben, unterstreichen das. Ein alter Mann in Tracht hat sich | |
einen museumsreifen Patronengürtel umgeschnallt. | |
„Die Gebiete gehören zu Kurdistan“, sagt der Alte. Er ist so beleibt, dass | |
er im Gefechtsfall wohl kaum hundert Meter rennen könnte. Aber den Männern | |
und dem Kommandanten ist es bitterernst. „Die Amerikaner müssten uns schon | |
bombardieren, damit wir wieder abrücken“, sagt der General. | |
## Alltag in Mossul | |
Dass die Kurden die Gunst der Stunde nutzen, war angesichts des kompletten | |
Rückzugs von Armee und paramilitärischer Polizei kaum anders zu erwarten. | |
Überraschend ist jedoch, dass der General Isis anders sieht als die | |
Regierung in Bagdad. | |
„Das sind nicht alles Terroristen und Diebe“, sagt er. Dann bestätigt er, | |
was Dutzende von Vertriebenen in den letzten Tagen immer wieder sagten. Die | |
vermeintliche Mörderbande lasse die Leute in Mosul in Ruhe, das Leben gehe | |
beinahe seinen normalen Gang. | |
Selbst gegen die Kurden seien sie nicht. „Zehn Jahre lang hat sich die | |
Frustration über Verhaftungen, Vergewaltigung und Folter durch die | |
Regierung angehäuft. Jetzt ist sie explodiert“, sagt Sefer. Statt von | |
Terroristen spricht er wie viele Vertriebene lieber von Rebellen. Diese | |
seien vor allem Einheimische: „Das ist eine sunnitische Intifada.“ | |
24 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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