# taz.de -- Irakischer Schrifsteller über die DDR: „Sie wollten mich raussch… | |
> Fadhil al-Azzawi stammt aus Kirkuk im Irak. Im Interview spricht er über | |
> seine Zeit in der DDR und seinen Roman „Der Letzte der Engel“. | |
Bild: Der Schriftsteller Fadhil al-Azzawi gibt sich hier als Heiliger. | |
taz: Herr al-Azzawi, wie ist es für Sie gewesen, damals, 1976, den Irak zu | |
verlassen und dann in die DDR zu kommen. Ist es Ihnen schwer gefallen, Fuß | |
zu fassen? | |
Fadhil al-Azzawi: Zunächst einmal ist es sehr schwer für mich gewesen, im | |
Irak zu leben. Die einzige Möglichkeit für Schriftsteller war damals in den | |
1970er Jahren, Propaganda zu produzieren. Für mich war das nichts. Also | |
musste ich das Land verlassen, was sehr schwer, fast unmöglich war. Damals | |
gab es aber einen Vertrag zwischen dem irakischen und Journalistenverband | |
und dem der DDR. Durch diesen Vertrag war es irakischen Journalisten | |
möglich, in die DDR zu kommen, um dort zu studieren. Also nutzte ich diese | |
eine Möglichkeit. | |
Aber ganz unbehelligt waren Sie dann in der DDR auch nicht? | |
Oh, nein! Die politischen Beziehungen zwischen dem Irak und der DDR waren | |
sehr gut. Die Behörden in der DDR wollten nicht, dass ich weiterstudiere. | |
Sie haben mehrmals versucht, mich rauszuschmeißen. | |
Wohin, zurück in den Irak? | |
Die irakische Botschaft hat damals der DDR-Regierung gesagt: Der soll | |
aufhören! Außerdem hat man mir in der DDR als Student die | |
Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Ich habe deswegen versucht, als | |
Auslandskorrespondent für verschiedene arabische Zeitungen zu arbeiten. | |
Ohne Aufenthaltstitel? | |
Es gibt eine „diplomatische“ Aufenthaltsgenehmigung. Mit der wurde ich als | |
Journalist zugelassen. Damit konnte ich auch in den Westen reisen. In der | |
DDR musste ich regelmäßig meine Artikel vorzeigen und belegen, dass ich | |
genug Geld verdiente. Ich musste auch mehr für alles bezahlen als die | |
anderen DDR-Bürger. Für eine Wohnung haben die zum Beispiel nur 200 oder | |
250 Mark bezahlt. Ich bezahlte in etwa 1.500 Ost-Mark. | |
So setzte man also unliebsame ausländische Journalisten unter Druck. | |
Du hattest keine Rechte. Als dann 1989/90 die Einheit kam, die Wende, hatte | |
ich immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung. | |
Wurden Sie von der Stasi überwacht? Gab es irakische Spitzel, die in der | |
DDR auf Sie angesetzt wurden? | |
Natürlich! Beides. | |
In der DDR haben Sie dann nur als Journalist gearbeitet. | |
Nee, nee – ich habe damals auch als Schriftsteller Bücher veröffentlicht. | |
Aber um Geld zu verdienen, habe ich als Journalist für arabische Medien | |
gearbeitet. | |
Es war bestimmt schwierig, die Überweisungen für das Geld abzuwickeln. Die | |
Behörden waren ja theoretisch in der Lage, alles abzufangen. | |
Eigentlich lief es ganz gut, ich wurde von meinen ausländischen | |
Auftraggebern in US-Dollar oder D-Mark bezahlt, in harter Währung. Das war | |
sehr gut für mich, das muss ich wirklich sagen. In der DDR selbst habe ich | |
mit meiner Arbeit kein Geld verdient. | |
Gab es denn Kontakte mit anderen exilierten Schriftstellern, Autoren, | |
Intellektuellen? | |
Damals gab es viele irakische Schriftsteller in der DDR, in der | |
Bundesrepublik, in ganz Europa. Wir haben 1980 in Beirut sogar einen | |
Verband gegründet, den Verband der demokratischen irakischen Schriftsteller | |
im Exil. Ich war damals in der Leitung dieser Organisation tätig. Wir | |
hatten etwa 600 bis 650 Mitglieder. Wir organisierten Konferenzen, in | |
Beirut, in Damaskus, auch eine in Westberlin. Es gab viele irakische | |
Schriftsteller, die gegen die Diktatur Saddams kämpften. | |
Haben Sie nicht auch Pläne gehegt, sich aus der DDR in ein anderes Land | |
abzusetzen? | |
Das war nicht so einfach. Mein Sohn ging noch zur Schule. Außerdem hatte | |
die irakische Botschaft in der DDR meinen Pass konfisziert. | |
Was für einen Pass haben Sie heute? | |
Einen deutschen Pass. | |
Und fühlen Sie sich mittlerweile auch als Deutscher? | |
Ja, ich fühle mich hier zu Hause, ebenso wie in der arabischen Welt. In | |
gewisser Weise ist für mich im Laufe der Jahre die gesamte Welt mein | |
Zuhause geworden. | |
Haben Sie Ihre Erlebnisse in Ostdeutschland bislang literarisch | |
verarbeitet? | |
Eigentlich habe ich über meine Zeit in der DDR überhaupt nicht geschrieben. | |
Und das, obwohl sich große historische Ereignisse abgespielt haben – der | |
Aufstand der Bürger, die Wende, und dann die Einheit. Auch die Natur des | |
Regimes, diese alten Männer, die das ganze Volk terrorisiert haben, mit | |
ihrer Naivität und ihrem meiner Meinung nach intellektuell niedrigem | |
Niveau. Das wären schon interessante Themen. Vielleicht schreibe ich noch | |
einmal darüber. | |
Wie sieht es mit Ihrer eigenen politischen Vergangenheit aus? In Ihrem im | |
August erscheinenden Roman „Der Letzte der Engel“ spielt der Kommunismus | |
eine große Rolle. Haben Sie selbst ein Parteibuch besessen? | |
In den 1950er und 60er Jahren war die Linke im Irak sehr stark. Und ich war | |
jung. Im Alter von 18 Jahren hatte ich Kontakt zur Kommunistischen Partei. | |
Aber nach drei oder vier Jahren bin ich wieder ausgetreten. Ich war einfach | |
zu kritisch gegenüber der Partei, der Ideologie, dem Sozialismus. Ich habe | |
ja gesehen, wie man diesen Sozialismus damals in der Sowjetunion und im | |
Ostblock praktiziert hat, wie man gegen Dissidenten vorgegangen ist, vor | |
allem gegen Schriftsteller. Darüber habe ich bereits früh geschrieben, als | |
ich noch im Irak war. Mit 22 Jahren habe ich dann entschieden, dass ich gar | |
keinen Kontakt zu Parteien haben möchte. Als Schriftsteller wollte ich frei | |
denken und arbeiten. | |
Das ist dann ja schon recht früh, wenn man bedenkt, wie lange | |
Schriftsteller und Intellektuelle, auch in Europa, sich von dem | |
Sowjetsystem haben blenden lassen … | |
Ich war auch im Gefängnis. Und diese Erfahrung hat mich viel gelehrt. Im | |
Gefängnis habe ich gesehen, wie die Kommunisten mit Worten ihre eigene Welt | |
erschaffen haben. Sie wollten nicht verstehen, dass die Realität anders | |
aussieht. | |
Das sind für mich jetzt auch die humorvollsten Passagen Ihres Romans, in | |
denen Hamid Nylon die Kommunisten in ihrer Zentrale aufsucht und in denen | |
er nachher selbst eine Revolution startet – und das nur gelingt, weil er | |
Geldgeschenke verteilt. „Der Letzte der Engel“ scheint ein Panoptikum | |
menschlicher Torheiten zu sein. Verachten Sie Ihre eigene Gattung? | |
Sicher, es geht um die Dummheit der Menschen. Aber es geht vor allem um die | |
Dummheiten der Revolutionäre. Die Dummheiten der Kommunisten, die im Keller | |
sitzen. Sie glauben, sie können die Welt verändern, aber sie lassen nicht | |
Taten, sondern nur Wörter sprechen. Sie machen gar nichts, sie sitzen | |
einfach nur rum. Hamid Nylon aber ist praktischer veranlagt. Er ist auch | |
kein Kommunist, er ist frei. Aber er versteht besser als die Ideologen, wie | |
das Leben funktioniert. | |
Im Roman gibt es ja auch eine Passage, in der Hamid Nylon durch die Straßen | |
von Kirkuk läuft und den Mullah trifft. Der soll ja eigentlich der geistige | |
Führer der Gemeinde sein, ist aber zu dem Zeitpunkt ebenfalls verzweifelt | |
und sagt: „Hamid, du verstehst besser als ich, wie das Leben funktioniert. | |
Wie machst du das? Erklär es mir bitte!“ Dann lädt er ihn ein, mit ihm | |
einen Arak, einen Anisschnaps zu trinken. | |
Die Figur Hamid Nylon ist für mich ein Symbol für den Umgang der Iraker mit | |
der alten britischen Herrschaft. Er reflektiert den Wunsch der Iraker, ihr | |
Land zu befreien und für sich zurückzugewinnen. Hamid ist ein Abenteurer, | |
er fühlt sich als Iraker, und er findet, dass er das Recht hat, das Land | |
für die Iraker zurückzuerobern. Dabei geht es auch um das Öl, das damals | |
von den Engländern kontrolliert wurde. Hamid möchte sich – und sein Land – | |
von all diesen Dingen befreien. | |
Haben Sie eigentlich jemals die Theaterstücke und Romane von Saddam Hussein | |
gelesen? Und wenn ja: Wie schlecht sind sie wirklich? | |
Oh, sie sind schrecklich. Sehr naiv. Nee, nee, er konnte nicht schreiben. | |
Da muss man wohl auch eher das Instrumentarium der Psychopathologie und | |
nicht der Literaturwissenschaft anwenden, um dieses Werk zu bewerten. | |
Saddams Texte wurden ja sogar von Doris Kilias ins Deutsche übertragen. | |
Warum hat die das gemacht? | |
Wohl wegen dem Geld. | |
Aber wer hat sie denn bezahlt? | |
Saddam Hussein. Das war natürlich der Diktator selbst. | |
Das kann man sich ja kaum vorstellen. Immerhin war sie die renommierte | |
Übersetzerin von Nagib Machfus. | |
Vielleicht hat sie sich gedacht: Ist doch nur eine Übersetzung. | |
Gab es eigentlich auch deutsche Autoren, die Sie besonders geprägt haben? | |
Ich hatte an der Universität im Irak zum Beispiel viel von Enzensberger | |
gelesen. Ich habe ihm das mal erzählt; der konnte das kaum glauben. | |
Natürlich auch Thomas Mann oder Heine und Rilke. Aber auch Nietzsche. Wir | |
liebten damals Nietzsche! Vielleicht ein bisschen zu sehr. | |
6 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Lewis Gropp | |
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