# taz.de -- Kulturkampf im Iran: Neue Freiheiten und alte Verbote | |
> Vor einem Jahr übernahm der Geistliche Hassan Rohani die Präsidentschaft | |
> im Iran. Seitdem liegen moderate Religiöse und radikale Islamisten im | |
> Dauerclinch. | |
Bild: Moschee mit aufgestellten Koran-Kopien zum Ramadan. | |
Hassan Rohani, Irans Präsident, sagte kürzlich etwas, womit er bei den | |
Konservativen des Landes eine Welle des Protests auslöste. Er sagte: | |
„Mischt euch nicht so viel in das Leben der Leute ein, überlasst es den | |
Menschen, den Weg ins Paradies selbst zu wählen. Man kann die Leute nicht | |
mit Gewalt und Peitschenschlägen zum Paradies führen.“ | |
Die Sätze trafen. Weit größer als vor Sanktionen und einer möglichen | |
militärischen Intervention ist in der Islamischen Republik die Furcht vor | |
einer kulturellen Unterwanderung oder, wie es offiziell heißt: einem | |
„samtenen Kulturkrieg“. Zwar wird dieser „Krieg“ als eine Verschwörung… | |
Westens dargestellt, die das Ziel habe, einen Regimewechsel im Iran | |
herbeizuführen. Doch in Wirklichkeit handelt es sich bei den kulturellen | |
Auseinandersetzungen um einen Kampf zwischen Tradition und Moderne, einen | |
Kampf zweier Linien innerhalb der gesamten islamischen Welt, der sich immer | |
weiter zuspitzt. | |
In manchen Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Syrien oder Irak wird er | |
blutig geführt, in anderen Staaten wie Türkei oder Iran hat er, von | |
Ausnahmen abgesehen, bislang den Rahmen politischer Auseinandersetzungen | |
nicht überschritten, noch nicht. Sicher scheint jedenfalls, dass der | |
gesamte Nahe und Mittlere Osten sowie größere Teile Afrikas in den nächsten | |
Jahren von diesem ideologischen Kampf geprägt sein werden. | |
Die Islamische Republik Iran hatte seit ihrer Gründung das Ziel, die | |
gesamte Gesellschaft zu islamisieren und von der „dekadenten“ Kultur und | |
Zivilisation des Westens zu säubern. Dabei gab es zwar von Anbeginn im | |
islamischen Lager verschiedene Fraktionen, die nicht nur um die Macht | |
miteinander rivalisierten, sondern auch um die Durchsetzung ihrer | |
unterschiedlichen Vorstellung von einem islamischen Staat. Doch diese | |
Auseinandersetzungen wurden über lange Jahre intern und hinter | |
verschlossenen Türen geführt. Erst mit der Regierungsübernahme von Mohammed | |
Chatami 1997 drangen die zum Teil gravierenden Widersprüche innerhalb des | |
Systems nach außen. Während die Konservativen einen reinen islamischen | |
Staat anstrebten, forderten die Reformer unter Chatami die Durchsetzung der | |
in der Verfassung verankerten republikanischen Elemente. | |
## Lockerung der Zensur | |
Chatami scheiterte an dem vehementen Widerstand der Konservativen, die mit | |
Präsident Mahmud Ahmadinedschad acht Jahre lang die Macht für sich | |
monopolisierten. Seit der Wahl Hassan Rohanis vor einem Jahr ist der Kampf | |
erneut entflammt. Bereits im Wahlkampf hatte Rohani eine Liberalisierung | |
und Öffnung nach außen und innen versprochen. Dazu gehörten die Lockerung | |
der rigorosen Zensur, also mehr Freiheit für Presse, Kunst und Literatur, | |
Abbau von Straßenkontrollen und Mäßigung der strengen religiös begründeten | |
Vorschriften. | |
„Wir führen niemanden mit Gewalt ins Paradies, aber wir wollen, dass | |
Gottesgesetze befolgt werden“, lautete die Stellungnahme des | |
einflussreichen konservativen Predigers Ahmed Chatami auf die Äußerung | |
Rohanis. „Sie empfehlen uns, die Leute sich selbst zu überlassen und sie | |
nicht mit Gewalt ins Paradies zu führen. Einverstanden. Wir setzen alle | |
Verbote und Gebote außer Kraft und raten dem Herrn Verbrecher sowie dem | |
unsittlich gekleideten Mädchen, brav zu sein. Ist das islamisch oder die | |
Sorge um die Durchsetzung der Gesetze Gottes? Wir müssen unsere | |
Staatsordnung verteidigen und raten allen, nicht den Weg in die Hölle zu | |
beschreiten.“ | |
Der Prediger stellte die gesamte Kunst und Kultur, die seiner Ansicht nach | |
unter westlichem Einfluss steht, an den Pranger. Musikalische Darbietungen | |
bezeichnete er als „ein Vergehen, gerichtet gegen Gott und Kultur“. Er | |
betonte: „Unser Ziel ist eine religiöse Kultur.“ Die Kultur müsse dazu | |
dienen, jungen Menschen bei der Suche nach der eigenen Identität zu helfen, | |
eine Identität, die sich nur im Rahmen der Religion bilden könne. | |
Ausländische Sender, die auf Iran gerichtet seien, würden „Dekadenz und | |
Inhaltslosigkeit“ verbreiten. | |
## Der Weg ins Paradies | |
Chatami forderte die Regierung zu Maßnahmen gegen die „westliche | |
Einflussnahme“ auf. „Die geistigen und kulturellen Viren“ der ausländisc… | |
Sender seien „schlimmer als die Pest“, sagte er. Die islamische Republik | |
sei verpflichtet, die Menschen ins Paradies zu führen. „Wir können den | |
Menschen nicht einfach überlassen, moralisch, wirtschaftlich und kulturell | |
zu tun, was ihnen beliebt.“ | |
Der Prediger von Maschhad, Alam Alhodi, ging in seiner Stellungnahme gegen | |
Präsident Rohani sogar noch weiter. Unverblümt sagte er: „Nicht allein mit | |
Peitschenschlägen, wir werden mit ganzer Kraft gegen Leute, die den Weg ins | |
Paradies sperren wollen, Widerstand leisten.“ | |
Doch wie wollen die Konservativen den Iran aus der Wirtschaftskrise bringen | |
und vor sozialen Unruhen schützen, ohne Zugeständnisse an den Westen zu | |
machen? Ohne Reformen dürften die USA an der Politik der | |
Wirtschaftssanktionen festhalten. Doch die Ultrakonservativen ziehen es | |
offenbar vor, der Bevölkerung weitere wirtschaftliche Entbehrungen | |
zuzumuten, als ihre ideologische Basis im Volk zu verlieren. | |
„Wenn unser Anliegen rein wirtschaftlicher und materieller Art gewesen | |
wäre, hätten wir 1979 keine Revolution zu machen brauchen“, sagt der | |
Geistliche Mesbah Yasdi. Seine Vorstellung vom Islam ist gesellschaftlich | |
allumfassend; sie bestehe eben nicht allein aus Beten, Fasten und | |
religiösen Trauerfeiern, sagt er. Auf der Webseite des Obersten Rats der | |
Kulturrevolution heißt es dazu genauer: „Ziel des Rats ist die Erstellung | |
eines Modells zur Entwicklung der Gesellschaft vom jetzigen zu einem | |
Idealzustand. Das heißt: eine bewusste Veränderung der Meinungen, Gefühle, | |
Wertvorstellungen und Überzeugungen der gesamten Gesellschaft.“ | |
## Das Internet als Chance | |
Die Macht der Konservativen im Iran basiert auf den Institutionen, viele | |
befinden sich in ihrer Hand. Das erlaubt ihnen, den Gemäßigten um Rohani | |
ständig Steine in den Weg zu legen und ihre Entscheidungen zu torpedieren. | |
Dabei tritt Absurdes zutage, zum Beispiel bei der Nutzung der sozialen | |
Netzwerke im Internet. Zwar ist die Nutzung von Facebook und Twitter im | |
Iran verboten, doch der Staatspräsident, sein Außenminister und viele | |
Kabinettsmitglieder gehören zu den eifrigsten Nutzern der digitalen Foren. | |
Damit nicht genug, Rohani forderte die Bevölkerung auf, die sozialen | |
Netzwerke so oft wie möglich zu nutzen. | |
Die Zeit der Diktatur und des Verkündens von Botschaften durch Lautsprecher | |
oder von der Kanzel sei vorüber, sagt er. „Wir müssen das Internet als eine | |
Chance zur Darstellung unserer iranischen und islamischen Kultur | |
betrachten.“ | |
Demgegenüber sagte Justizchef Sadegh Laridschani: „Jene, die die giftige | |
Atmosphäre im Internet übersehen, scheinen vom Internet keine Ahnung zu | |
haben.“ Er verglich das Internet mit einem „Sumpfgebiet“, das mit | |
„Stacheldraht eingezäunt“ werden müsse. Doch zu seinem Leidwesen haben | |
Millionen Internetnutzer im Iran Wege gefunden, um die Zäune der Justiz zu | |
überwinden. | |
## Kampf um die Antennen | |
Absurd ist auch, dass ein Großteil der iranischen Bevölkerung ausländische | |
Fernseh- und Radiosendungen in persischer Sprache empfängt, obwohl die | |
dafür erforderlichen Parabolantennen verboten sind. Zwar beschlagnahmen | |
Ordnungs- und Sicherheitsdienste immer wieder die Antennen. Das hindert die | |
Leute aber nicht daran, neue zu installieren, sobald die Kontrolleure | |
verschwunden sind. Laut Kulturminister Ali Dschannati kommunizieren vier | |
Millionen Iraner über Facebook, 71 Prozent der Bewohner Teherans benutzen | |
Satellitenantennen. | |
„Demnach befinden sich täglich Millionen Menschen außerhalb der Legalität�… | |
sagte der Minister. Seine Regierung sei entschlossen, die Einschränkungen | |
aufzuheben. „Wir können uns nicht vor der Außenwelt verschließen. Man kann | |
nicht unter dem Vorwand, moralische Werte schützen zu wollen, alles | |
verbieten.“ | |
Schwerer als im Internet ist die Überwindung der Zensur bei Büchern, | |
Filmen, Kunst- und Musikwerken und natürlich bei der Presse. Hunderte | |
Bücher liegen seit Jahren ohne Nennung von Gründen bei der Zensurbehörde. | |
Rohani sagte: „Wir müssen dafür sorgen, dass sowohl Meinungen als auch | |
Gedanken frei geäußert werden können.“ Dies sei ohne Freiheit nicht | |
möglich. Ziel seiner Regierung sei die Abschaffung der Zensur. Und sein | |
Kulturminister Dschannati, in dessen Ministerium die Zensurbehörde | |
angesiedelt ist, sagte, die Kultur könne sich nur entwickeln, wenn es eine | |
offene Atmosphäre und eine Vielfalt von Meinungen gebe. Aber weder die | |
Zensoren noch die Justiz lassen sich von den Äußerungen des Präsidenten und | |
des Kulturministers beeindrucken. Eine ganze Reihe von Journalisten, | |
Autoren, Verlegern, auch Filmemachern und Künstlern sitzen im Gefängnis, | |
zahlreiche von ihnen haben Berufsverbot. | |
Die Regierung Rohani hat in ihrer nun einjährigen Amtszeit bei der inneren | |
Öffnung des Landes kaum konkrete Erfolge vorzuweisen. Die Wiedereröffnung | |
des „Hauses des Kinos“, in dem iranische Filmemacher vereint sind, der | |
Auftritt des Teheraner Orchesters nach langjähriger Auszeit gehören zu den | |
wenigen nennenswerten Schritten. Doch schon die verbalen Bekundungen zu | |
Freiheit und Vielfalt haben die Atmosphäre im Land spürbar verwandelt und | |
neue Hoffnungen geweckt. Ein Erfolg in der Außenpolitik, insbesondere bei | |
den laufenden Atomverhandlungen, könnte der Regierung mehr Rückenstärke | |
verleihen, um sich gegen die Konservativen durchzusetzen. | |
3 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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