# taz.de -- Berliner Grüne und Flüchtlinge: Zwischen den Fronten | |
> Die Grünen sind sonst immer auf der Seite der Flüchtlinge. Nun gehen sie | |
> gegen die Besetzer der Berliner Schule vor. Die Partei kann nur | |
> verlieren. | |
Bild: Die Grünen haben auch die Verhandlungsführung an die Polizei übergeben… | |
BERLIN taz | Rund um das abgeriegelte Viertel in Berlin-Kreuzberg treffen | |
sich seit einer Woche jeden Tag viele hundert Anwohner, Künstler, | |
Politisierte, um ein Bleiberecht für die Flüchtlinge zu fordern. Erst | |
Dienstagmittag versammelten sich tausend Schüler und Studierende, um ihre | |
Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Unten auf der Straße rufen die Leute | |
„Say it loud, say it clear, refugees are welcome here!“ Oben vom Dach | |
winken die Flüchtlinge und schreien zurück: „We are here and we will fight. | |
Freedom of movement is everybodys right!“ | |
Normalerweise sind die Grünen die Ersten, die auf die Straße gehen, um für | |
die Rechte von Flüchtlingen zu demonstrieren. Andernorts würden sie sich | |
über den massiven Polizeieinsatz der vergangenen Woche fürchterlich | |
aufregen und jede Einschränkung der Pressefreiheit scharf kritisieren. | |
Doch hier stehen sie auf der anderen Seite. Sie sind es, die die | |
Flüchtlinge aus der Schule holen wollen und den Journalisten den Zutritt | |
verweigern. Sie haben nun auch die Verhandlungsführung an die Polizei | |
übergeben. Auf Twitter spottete jemand: Der Begriff „grün regiert“ bekomme | |
angesichts der Polizeipräsenz eine ganz neue Bedeutung. | |
Was die Flüchtlingspolitik angeht, bewegen sich die Kreuzberger Grünen seit | |
fast zwei Jahren in einem Spannungsfeld der Erwartungen. Zum einen sind da | |
die alten grünen Ideale. Das schlechte Gewissen gegenüber den Menschen in | |
der sogenannten Dritten Welt, ist vielen Grünen wie eingeimpft. Man teilt | |
auch viele der politischen Forderungen der Flüchtlinge. Also duldete das | |
Bezirksamt sie, zunächst auf dem Oranienplatz, ab Ende 2012 auch in der | |
Schule. | |
## „Menschenunwürdige Bedingungen“ | |
Der politische Protest wurde so öffentlich sichtbar. Doch die Situation in | |
der Schule verselbstständigte sich. Zuletzt lebten dort über 200 Menschen, | |
darunter viele Flüchtlinge aus Afrika, aber auch Roma-Familien und | |
Obdachlose. Anwohner klagten über die zunehmende Zahl an Dealern im nahe | |
gelegenen Park. Im Haus reichten Duschen und Toiletten nicht aus. Immer | |
wieder kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ende April wurde | |
ein 29-jähriger Marokkaner von einem Mitbewohner erstochen – weil sie sich | |
um die Dusche gestritten hatten. | |
Sozialverbände kritisierten die „menschenunwürdigen Bedingungen“ in der | |
Schule. Die bürgerlichen unter den Grünenanhängern waren sauer, dass der | |
Bezirk es überhaupt so weit hatte kommen lassen. „Wir müssen jetzt räumen�… | |
soll jemand aus der Parteiführung Herrmann direkt nach dem Tod des | |
Marokkaners nahegelegt haben. Fragt man Realos nach ihrer Haltung zur | |
besetzten Schule, kriegen die einen dicken Hals. | |
Die linken Szene wiederum lehnt schon den massiven Polizeieinsatz der | |
vergangenen Woche strikt ab. Mindestens 500 Polizisten waren rund um die | |
Schule zu jeder Zeit im Einsatz. „Dieser Bulleneinsatz kostet doch | |
Unsummen. Und dann sagen sie, sie hätten für die Flüchtlinge kein Geld“, | |
sagt eine gepiercte junge Frau, die seit Tagen vor der Schule demonstriert. | |
Indem sie das Zepter an die Polizei übergeben, verspielen die Grünen hier | |
die letzten Sympathien. | |
Vor allem bei den Flüchtlingen selbst hatte die grüne Bezirkspolitik andere | |
Erwartungen geweckt. Sie konnten in Kreuzberg für ihre politischen | |
Forderungen kämpfen. Ein Aufenthaltsrecht haben sie aber immer noch nicht. | |
Da überwiegt die Enttäuschung. Dass der Bezirk beim Bleiberecht gar keine | |
Kompetenzen hat, ändert daran nichts. | |
## Versteinerte Miene | |
Freitagnachmittag vor der besetzten Schule. Drei junge Flüchtlinge stehen | |
vor dem Tor. Sie erzählen den Journalisten, dass sie aus dem Sudan stammen | |
und ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Sie schreien nicht, sie toben nicht. | |
Sie haben diese Ernsthaftigkeit der Verzweifelten. „Wenn die Polizei | |
reinkommt, werden wir vom Dach springen“, sagt einer. Er hebt den Finger | |
und zeigt auf Hans Panhoff, Stadtrat der Grünen, der hinten steht. Als | |
wolle er ihn verfluchen. „Wenn einem von uns etwas passiert, dann ist das | |
die Schuld von Panhoff und dem Senat.“ Der Stadtrat starrt mit | |
versteinerter Miene geradeaus. | |
Er ist derjenige, der nun die Polizei angefordert hat. Diese Sommertage | |
dürften den Kreuzberger Grünen noch lange nachgehen. Recht machen können | |
sie es keinem. Den Flüchtlingen nicht. Den linken Grünen-Anhängern nicht. | |
Und den Bürgerlichen schon gar nicht. | |
Bei den Europawahlen im Mai stimmten fast 10 Prozent weniger Wähler in | |
Friedrichshain-Kreuzberg für die Grünen als noch vor fünf Jahren. Ob das | |
mehr den Politikern in Straßburg galt oder den Grünen im Bezirk, wird sich | |
spätestens bei den Berlin-Wahlen 2016 zeigen. | |
1 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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