# taz.de -- Kommentar Flüchtlinge in Berlin: Sieg der Angst | |
> Das Verhalten des Bezirks Kreuzberg zeigt: Grüne Solidarität mit | |
> Flüchtlingen hat Grenzen. Die Forderung nach Bleiberecht geht vielen zu | |
> weit. | |
Bild: Klare Aussage: Protestschild aus den vergangenen Tagen. | |
Die Einigung zwischen dem Bezirk Kreuzberg und den Flüchtlingen in der | |
Schule mag auf den ersten Blick wie ein Sieg „grüner Vernunft“ scheinen. So | |
versucht Stadtrat Hans Panhoff die Geschichte zu verkaufen: Erst mit seinem | |
Räumungsersuchen an die Polizei habe er den notwendigen Druck auf die | |
Besetzer aufgebaut – und sich dennoch kompromissbereit gezeigt, so dass | |
niemand vom Dach springen musste. Auch viele andere Grüne und ihre | |
Sympathisanten dürften erleichtert sein: Ist noch mal alles gut gegangen. | |
Aber gar nichts ist gut. Nicht nur, weil der Bezirk die Eskalation selbst | |
hervorrief, als er die Polizei holte, um die Schule leerzubekommen. Es war | |
ja abzusehen, dass einige Besetzer bis zum Äußersten gehen würden, um die | |
Schule zu verteidigen. Sie hatten und haben nichts zu verlieren. | |
Gar nichts ist gut, weil die Kreuzberger Grünen mit ihrem Ruf nach der | |
Polizei zu guter Letzt doch ihre Solidarität mit den Flüchtlingen | |
aufkündigten. Sie haben damit gezeigt, dass ihre Unterstützung von deren | |
politischen Forderungen nichts ist als hohle Phrase. Wenn man aus der | |
Schule ein Flüchtlingszentrum machen will, warum sollten die Flüchtlinge | |
ausziehen? Nun dürfen sie zwar bleiben, aber nur, weil sie unter Einsatz | |
ihres Lebens dafür kämpften – und die grünen Politiker am Ende vor dem | |
Einsatz des allerletzten Mittels zurückgeschreckt sind. Willkommen sind die | |
Flüchtlinge in Kreuzberg schon lange nicht mehr – weder in der Schule noch | |
am Oranienplatz. Sie sind nur noch lästig. | |
Diese Ambivalenz der Kreuzberger Grünen – einerseits verbale Unterstützung, | |
andererseits faktische Zurückweisung – ist nur zum Teil Ausdruck der | |
Überforderung. Zwar kann der Bezirk kein Bleiberecht aussprechen. Aber wenn | |
er seine eigenen politischen Maximen ernst nimmt, hätte er schon längst für | |
anständige Lebensbedingungen derjenigen sorgen müssen, die für dasselbe | |
kämpfen. | |
## Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes | |
Und er hätte sie jetzt auch nicht der Ausländerbehörde zum Fraß vorwerfen | |
dürfen. Aber genau das hat er getan: Nur wegen des Drucks des Bezirks | |
kommen die Schulbesetzer jetzt in das Oranienplatz-Verfahren, das sie | |
eigentlich ablehnen. Schließlich haben sie guten Grund zu der Annahme, dass | |
ihnen auch das keine Bleibensperspektive ermöglicht. | |
Aber vermutlich stimmen die Forderungen der Flüchtlinge gar nicht mit dem | |
überein, was die Grünen wollen. Trotz der Beteuerungen, sich beim Senat für | |
ein Bleiberecht der Protestler einzusetzen, dürfte es nicht wenige in der | |
Partei – wie in der Bevölkerung – geben, die im Stillen dem Diktum von | |
Innensenator Henkel zustimmen: Es darf für die Oranienplatz-Leute keine | |
Sonderbehandlung geben. Gibt man ihnen Bleiberecht, so die Argumentation, | |
schafft man ein Zwei-Klassen-System – und dann kommen bald alle und | |
schreien laut nach der Extrawurst. | |
Aber es gibt nun mal diesen Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes, wonach ein | |
Bundesland aus „völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung | |
politischer Interessen“ einer bestimmten Gruppe Aufenthalt gewähren kann. | |
Das Zwei-Klassen-System – wenn man so will – ist gesetzlich vorgesehen. | |
Und es gibt sehr gute Gründe, das Gesetz in genau diesem Fall anzuwenden. | |
Die Oranienplatz-Bewegung hat mit ihrem Protest die Bundesrepublik | |
verändert. Sie hat die gesellschaftliche Debatte um die deutsche | |
Asylpolitik und ihre unmenschlichen Folgen immens vorangetrieben. Das | |
wachsende Bewusstsein, das etwas fundamental falsch läuft in diesem Staate, | |
verdanken wir nicht zuletzt den Menschen vom Oranienplatz und der Schule. | |
Es ist also in unserem Interesse, dass sie hierbleiben. | |
Dieser Kommentar ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts in der | |
taz.berlin.Am Sonnabend in Ihrem Briefkasten und am Kiosk. | |
4 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Kreuzberg | |
Schule | |
Bezirke | |
Hans Panhoff | |
Flüchtlinge | |
Hans Panhoff | |
Flüchtlinge | |
Asylrecht | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gescheiterter Abwahlantrag: Panhoff bleibt Stadtrat | |
Linke und Piraten können sich mit der Kritik an der Räumung der | |
Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg nicht durchsetzen. | |
Kosten für Einsatz an Flüchtlings-Schule: Polizei besetzt Kreuzberg umsonst | |
Nach dem vom Bezirksamt bestellten Großeinsatz hat Innensenator Henkel | |
geprüft, ob der Bezirk auch dafür zahlen muss. Das Ergebnis ist eindeutig. | |
Räumung der Flüchtlingsschule in Berlin: „Entweder der Held oder der Arsch�… | |
Hans Panhoff, grüner Baustadtrat, hatte die Räumung der von Flüchtlingen | |
besetzten Schule in Kreuzberg beantragt. „Es war der Mut der Verzweiflung“, | |
sagt er heute. | |
Flüchtlingstherapeut über Asyldebatte: Eine Chance für mehr Menschlichkeit | |
Dietrich F. Koch betreut seit 25 Jahren Folteropfer. Er sagt, es sei gut, | |
dass sich die Menschen nicht mehr still in ihr Leiden zurückziehen müssen. | |
Flüchtlingsanwältin zu Asylrecht: „Wort und Recht gebrochen“ | |
Berenice Böhlo hält die Asylrechtsänderung des Bundestages für | |
katastrophal. Die Situation der Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg sei äußerst | |
prekär. | |
Flüchtlingsschule in Kreuzberg: „Wir sind fast verrückt geworden“ | |
Für die Flüchtlinge war die Belagerung der Schule durch die Polizei eine | |
Extremsituation, erzählt eine von ihnen, Mai M. aus dem Sudan. | |
Ehemalige Schule in Kreuzberg: Flüchtlinge machen die Grenzen dicht | |
Die Flüchtlinge wollen selbst entscheiden, wen sie in die Schule lassen. | |
Vor unkontrolliertem Zuzug schützen gesicherte Fenster, verschließbare | |
Türen und die Polizei. | |
Anwältin über Flüchtlingskompromiss: „Es ging oft um Scheinangebote“ | |
Berenice Böhlo war für die Flüchtlinge bei den Verhandlungen in Kreuzberg | |
dabei. Die Wortbrüche des Senats hätten viel Vertrauen zerstört, sagt sie. | |
Bezirk einigt sich mit Flüchtlingen: Immerhin, ein Papier | |
Kreuzbergs Stadtrat Panhoff zeigt sich erleichtert über die Einigung | |
zwischen Flüchtlingen und Bezirk. Piraten und Linke fordern seine Abwahl. |