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# taz.de -- Bachmann-Preis 2014, der 3. Tag: An Batterien lecken
> Die Liebe als Höllenhund, eine Liebe vor der Kulisse des D-Days, die
> Rückkehr einer verflossenen Liebe: Am letzten Klagenfurter Lesetag wurde
> es romantisch.
Bild: Von der Bühne kamen Lesegeräusche: Tex Rubinowitz, seit Samstag ein Bac…
KLAGENFURT taz | Ach wie schön, dass es heute nur drei Lesungen gibt. Und
dann geht es in allen dreien auch noch um die Liebe. Endlich. Nachdem
[1][am Freitag] zwar mutigere Textformen, aber letztlich doch sehr an
Mittelmäßigkeit grenzende Ideen verlesen wurden, kann es am letzten Lesetag
in Klagenfurt nur noch besser werden. Und auch ist in den bisherigen
Beiträgen [2][schon so viel gestorben und getötet worden], dass ein
bisschen Herzschmerz jetzt ganz gut tut.
Der Grund, warum an diesem sonnigen Samstagvormittag nicht vier, sondern
nur drei Autoren lesen, sind allerdings weniger schön: Karen Köhler ist
wegen einer Windpockenerkrankung ausgefallen und konnte gar nicht erst nach
Kärnten anreisen, um ihren ausgerechnet von Krankheit handelnden Text
vorzulesen. Somit ist eine heimliche Titelfavoritin bereits im Vorfeld
ausgeschieden.
Wie Köhler ist auch Katharina Gericke (geboren 1966 in Kyritz)
Theaterautorin, unter anderem für die Berliner Schaubühne, und hat bereits
einen Preis des Heidelberger Stückemarkts gewonnen. [3][Ihr Text] „Down
Down Down To The Queen of China Town“ zeichnet sich durch eine leichtfüßige
Choreografie der Szenen und seine rhythmische Sprache aus. Seinen Titel hat
Gericke einem Discosong von Amanda Lear aus dem Jahr 1977 entlehnt, der von
einer Opium-Dealerin handelt.
Ein Hinweis auf den Drogenkonsum der wahrscheinlich etwas betagten
Protagonistin ist nur eine verwahrloste Wohnung, in die sie niemanden
hereinlässt. Stattdessen geht sie täglich mit einem Herr Malou und dessen
Hund aus, um in einem Café das Nicht-Zusammenfinden zweier Liebender zu
beobachten. Gerickes Referenzen auf „Aida“ und Dantes „Göttliche Komödi…
machen das Leben zu einer Oper und die Liebe zu einem Höllenhund.
(Schlüsselsatz: „Was interessieren uns die fremden Leben? Weil es eigene
nicht gibt.“)
## Ein postmodernes Trashspiel
Jurorin Daniela Strigl ist begeistert vom nostalgischen Blick auf die
Figuren, Meike Feßmann berührt vom Pathos. Burkhard Spinnen findet, dass
Gerike es geschafft hat, mit einer Fülle von Kunstmitteln zu hantieren,
ohne dass diese kippen oder instrumentiert wirken. Hildegard Keller erkennt
ein postmodernes Trashspiel und als dann schon Vergleiche zu Felicitas
Hoppe oder Sibylle Lewitscharoff (der „frühen Lewitscharoff“, natürlich)
anklingen, mahnt Feßmann vor Überhöhung: „Der Text hatte seine Stärken.
Aber das war's.“
Und dann folgt etwas, womit man fast nicht mehr gerechnet hatte: ein
rührender, intelligenter und [4][zum Schreien komischer Text], der
sprachlich wie erzählerisch voll auf der Höhe der Zeit ist – und imstande,
Gertraud Klemms „Ujjgayi“ vom ersten Lesetag das Wasser zu reichen. Der
Cartoonist, Musiker und Reisejournalist Tex Rubinowitz, geboren 1961 in
Hannover, erzählt in seinem Pointenfeuerwerk „Wir waren niemals hier“ von
den Erinnerungen eines Protagonisten an dessen erste Freundin Irma, die ihm
dreißig Jahre später eine Freundschaftsanfrage über Facebook sendet.
Irma ist neurotisch, lethargisch, fast litauisch, „finsterste Sowjetunion“.
Sie leckt an Batterien und sagt „Guten Tag“ auf koreanisch, anstatt „Ich
liebe dich“. Die Beziehung wird zur Slapstick-Nummer (Chaplin taucht auch
auf), in der das Ich von Irma gestellte Aufgaben bewältigen muss, etwa ein
Brathuhn vom Wiener Prater klauen. Sex kommt nicht infrage. (Schlüsselsatz:
„Beim Sex […] ist man sich sowieso fremder als bei jedem anderen Kontakt
zwischen zwei Zellhaufen, man beginnt vielleicht gemeinsam etwas (sechzig
Sekunden Aufeinandergeklatsche), aber entfernt sich mehr und mehr,
konzentriert sich doch nur auf sich, um am Ende in einer ratlosen Lähmung
zu erstarren, wie zwei sterbende Karpfen.“)
## Ein souveränes Stück Understatement
Dass es erst zum Bruch kommt, als sich Irma dem Ich nicht mehr entzieht
(sie erntet dafür eine Ohrfeige), findet Juror Hubert Winkels besonders
bewegend. Arno Dusini sieht in dem Text ein souveränes Stück
Understatement, Hildegard Keller eine „kleine poetologische Abhandlung der
Negation“. Daniela Strigl, die Rubinowitz eingeladen hat, gefällt das Wort
„Charismaradiergummi“ sehr gut.
Schwer hat es Georg Petz, geboren 1977 in Wien, weil er nach Rubinowitz
lesen muss. Und auch, weil er seine ohnehin [5][zähe Geschichte] mit so
viel Metaphorik beladen hat, dass man die Handlung kaum verfolgen kann.
Zwei Männer, ein Deutscher und ein Franzose, konkurrieren um eine Frau. In
der Normandie. Vor D-Day-Kulisse. Zwischen Panzern und Tricolore. Der Titel
lautet „Millefleurs“. Im Ernst. (Schlüsselsatz: „Und was im Meer geht, g…
mit ihm an Land: Gischt und Pontoons, Treibmienen, shells: lose
Austernkörbe, Miesmuscheln in Sturmbannführerschwarz (..).“)
Die Jury ist zum Glück nicht zurückhaltend, was ihre Kritik angeht: von
„Überliterarisierung“ ist die Rede, von „Beklemmung“, von einem
„Poetenkragen, mit Fell besetzt“. Daniela Strigl bittet: „Lassen Sie doch
wenigstens die Miesmuschel Miesmuschel sein!“ Hildegard Keller, die Petz
eingeladen hat, meint, die Jury sei nur überfordert, weil dies schon die
dritte Liebesgeschichte an diesem Morgen sei.
Mag sein. Also Schluss mit Liebe. Die Gewinner werden am Sonntagvormittag
verkündet.
5 Jul 2014
## LINKS
[1] /Bachmann-Preis-2014-der-2-Tag/!141809/
[2] /Bachmannpreis-2014-der-1-Tag/!141723/
[3] http://bachmannpreis.eu/de/texte/4894
[4] http://bachmannpreis.eu/de/texte/4898
[5] http://bachmannpreis.eu/de/texte/4907
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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