# taz.de -- Wettlesen mit Preisvergabe: Der lässige Saurier von Klagenfurt | |
> Der Ingeborg-Bachmann-Preis mag ein angestaubtes Image besitzen. Doch der | |
> Klagenfurter Lesewettbewerb ist literarisch auf der Höhe. | |
Bild: Kein Saurier, aber lässig: Preisträger Tex Rubinowitz. | |
KLAGENFURT taz | Durch die Innenstadt hallt der Sound einer Coverband, die | |
vor dem WM-Public-Viewing die Hits von vorgestern spielt. Damen mit | |
gebräuntem Teint und wasserstoffblondierten Haaren stolzieren vorbei, der | |
Glanz als Zeichen des Wohlstands. Und nur wenn man durch die dunkle Passage | |
hinter dem Spar-Supermarkt geht, dann sieht man auch die Alkis und Junkies | |
– abseits des pittoresken Stadtbilds. Willkommen in Klagenfurt, | |
Landeshauptstadt des österreichischen Bundeslands Kärnten. | |
Zum 38. Mal wurde hier am Sonntag der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. | |
Noch immer gilt er als eine der wichtigsten Auszeichnungen für | |
deutschsprachige Literatur. Und obwohl sich die Klagenfurter selbst nicht | |
sonderlich für den Preis interessieren – allenfalls werden die im Zentrum | |
verteilten, mit Bachmann-Zitaten bedruckten Liegestühle zur Kenntnis | |
genommen –, passt die Preisverleihung in ihrem etwas angestaubten und | |
unmodischen Auftritt doch ganz gut in diese Stadt. | |
Selbstironisch bezeichnete die Kärnten-Chefin des Österreichischen | |
Rundfunks (ORF), Karin Bernhard, die Tage der deutschsprachigen Literatur | |
bei der Eröffnung als „Saurier, die aus der Zeit gefallen sind“. Ja, die | |
Besonderheit der Veranstaltung läge gar in ihrem Anachronismus. Das klingt | |
sympathisch und glaubwürdig, und ist jedenfalls überzeugender als die | |
ausgedruckten Whatsapp-Piktogramme, die Kollegin Petra Gruber vor ihrer | |
Rede hochhält, um über die angebliche Literaturfeindlichkeit des Internets | |
zu referieren. | |
Dabei ist das Netz durchaus imstande, den Bachmannpreis zu bereichern. | |
Nicht nur, weil sich gleich zwei Beiträge in diesem Jahr stilistisch oder | |
inhaltlich mit Facebook auseinandersetzten. Nicht nur, weil über den | |
Publikumspreis online abgestimmt wird. Man hätte das Netz auch problemlos | |
nutzen können, um die Autorin Karen Köhler, die wegen Krankheit ausgefallen | |
war, ins Studio zu schalten. Windpocken sind ansteckend, schon klar, aber | |
hätten sie Köhler daran gehindert, ihren Text „Il Commandante“ vor der | |
Laptop-Kamera zu lesen? Ihre muntere Videobotschaft aus der Quarantäne | |
lässt jedenfalls das Gegenteil vermuten. | |
## Kein Kaffee, keine Zigaretten | |
Immerhin sind außerhalb des täglich voll besetzten ORF-Theaters Bildschirme | |
aufgestellt worden, über die man die Lesungen live verfolgen kann. Bei | |
Sonnenschein, auf Bierbänken, in Zelten mit Kronleuchtern. | |
Fünf Stunden im Studio sitzen und zuhören, ohne auch nur zu husten, einen | |
Kaffee zu trinken oder eine Zigarette zu rauchen, ist schon möglich. Aber | |
spätestens bei der vierten Lesung droht die Konzentration nachzulassen – | |
zumal bei weitem nicht alle Texte von aufputschender Wirkung sind. | |
Die Jurydiskussionen dagegen spitzen sich nach einer kleinen Aufwärmphase | |
immer weiter zu. Das ist eine Klagenfurter Tradition, die dringend | |
beibehalten werden sollte. Da ist der Deutschlandfunk-Redakteur Hubert | |
Winkels mit seinen hyperreflektierten, mal überinterpretierten Ansätzen; | |
der Schweizer Kurator Juri Steiner mit seiner Vorliebe zum Grotesken oder | |
Literaturkritikerin Meike Feßmann, die weder bei der Textkritik ein Blatt | |
vor den Mund nimmt („Esoterikkitsch!“, „Literarischer Missbrauch!“), no… | |
davor zurückschreckt, ihre KollegInnen in die Schranken zu weisen, weil | |
diese die Texte „in die Höhe schrauben“ oder „kulturelle Überheblichkei… | |
äußern. | |
## Die üblichen Motive | |
Stilistisch gingen die diesjährigen Beiträge in verschiedenste Richtungen. | |
Ein guter Großteil war solide, aber wirklich Erfrischendes gab es selten. | |
Thematisch dominierten die üblichen Motive der deutschsprachigen Literatur: | |
Tod, Liebe, Zweiter Weltkrieg. Auch Süchte spielten eine Rolle, ob | |
Zigaretten, Opium oder das Lecken an Batterien. An Michael Fehrs | |
Spoken-Word-Performance eines „gefaketen Schweizer Nationalepos’“ | |
entzündete sich eine Diskussion darüber, wie zeitgemäß es sei, sich beim | |
Bachmannpreis allein auf schriftliche Beiträge zu konzentrieren – sei doch | |
längst eine Re-Oralisierung der Literatur im Gange. Sein papierfreier | |
Auftritt brachte Fehr schließlich die zweithöchstdotierte Auszeichnung, den | |
Kelag-Preis, ein. | |
Sieben von 13 Teilnehmern waren Frauen, ein Autor war dabei, dessen | |
Muttersprache nicht deutsch ist. Ironischerweise hatte Maja Haderlap, | |
Gewinnerin des Bachmannpreises 2011, in ihrer diesjährigen Eröffnungsrede | |
eben diesen Umstand, den unbedingten Fokus auf ihre Herkunft, kritisiert. | |
Haderlaps Muttersprache ist das Slowenische. Sie ist in Kärnten | |
aufgewachsen, wo die Frage nach der sprachlichen Zugehörigkeit schon immer | |
eine ideologische Kategorie gewesen sei. Nach ihrer Auszeichnung vor drei | |
Jahren sei sie fast nur noch nach ihrem „Sprachwechsel“ gefragt worden. | |
„Die Situationen glichen einer fortdauernden Grenzkontrolle,“ so Haderlap. | |
Das lässigste, was Klagenfurt 2014 zu bieten hatte, war der mit Pointen und | |
Pop-Referenzen gespickte Text „Wir waren niemals hier“ von Tex Rubinowitz | |
und dessen Kür zum Gewinner. Die Jury-Entscheidung zeigt, dass der | |
Bachmannpreis sich zumindest literarisch gar nicht so gestrig verhält. Auch | |
wenn die Bachmann-Umhängetaschen aus stinkendem Hochglanzplastik bestehen, | |
als wäre es 1994. | |
6 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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