| # taz.de -- Bachmann-Preis für Tex Rubinowitz: Brathuhn statt Sex | |
| > Der Cartoonist und Schriftsteller Tex Rubinowitz hat den | |
| > Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Er wurde für den Text „Wir waren | |
| > niemals hier“ ausgezeichnet. | |
| Bild: Tex Rubinowitz, hier bei einer Lesung 2009. | |
| KLAGENFURT taz | „Einen durch und durch pragmatischen Menschen kann man | |
| nicht anfassen, man kann ihn ja eigentlich auch nicht umbringen, du kriegst | |
| ihn nicht.“ Von Einsichten wie dieser wimmelt es nur so in dem Text „Wir | |
| waren niemals hier“, der Autor Tex Rubinowitz den diesjährigen | |
| Bachmann-Preis einbrachte. Es ist eine melancholische und zugleich | |
| irrsinnig witzige Liebesgeschichte zwischen einem männlichen Ich-Erzähler | |
| und seiner ersten Freundin, der neurotischen, batterielutschenden | |
| Baltendeutschen Irma. | |
| Dass Rubinowitz neben seinen Tätigkeiten als Reisejournalist, | |
| Schriftsteller und Musiker auch Cartoonist ist, merkt man seiner | |
| unaufhörlichen Pointenjagd deutlich an, die ganz frei von Sprachblumen und | |
| Psychoanalyse vonstatten geht. An einer Stelle grüßt Charlie Chaplin - | |
| nicht umsonst. Die beschriebene Beziehung wird immer mehr zur | |
| Slapstick-Nummer, in der das Ich von Irma gestellte Aufgaben bewältigen | |
| muss, etwa ein Brathuhn vom Wiener Prater klauen, um den | |
| nicht-stattfindenden Sex zu kompensieren. Das US-Gesangsduo Righteous | |
| Brothers, der koreanische Film „Oldboy“, der Wiener Club U4, Falco: | |
| Rubinowitz geizt nicht mit Referenzen zur Popkultur und haucht seinem | |
| ohnehin bilderreichen Text damit noch mehr Leben ein. | |
| Rubinowitz, geboren 1961 in Hannover unter dem bürgerlichen Namen Dirk | |
| Wesenberg, lebt seit vielen Jahren in Wien und ist kein Unbekannter in | |
| Klagenfurt. Jährlich fährt er zum Bachmann-Preis, normalerweise um mit | |
| seinem Kollektiv „Höfliche Paparazzi“ den Wettbewerb analytisch zu | |
| begleiten. In seinem Buch „Rumgurken“ befinden sich zwei Reportagen vom | |
| Bachmann-Preis. Aufgrund seiner Erfahrungen sollte Rubinowitz wissen, dass | |
| Humor in Klagenfurt selten belohnt wird. So dürften Sieg und 25.000 Euro | |
| Preisgeld für den Autor eine Überraschung sein, für das Publikum vor Ort | |
| aber weniger. | |
| Wenngleich sich die Jury am Samstagvormittag nicht einigen konnte, ob | |
| Rubinowitz' schnelle und fehlerhafte Leseweise „scheußlich“ oder | |
| „kongenial“ war, kaum einer hatte nicht laut aufgelacht, als er brillante | |
| Sätze vorlas wie: „Sie meinte, die Bitterkeit des Bieres sei ihr zu | |
| arrogant.“ Besonders schön ist, dass es in der Erzählung erst zu einem | |
| Bruch kommt, als die unangreifbare Irma sich plötzlich nicht mehr entzieht | |
| und dafür eine Ohrfeige erntet. Die Sehnsucht nach Irma ist stärker als die | |
| Liebe zu ihr, und es ist traurig, dass all dies unbewältigt geblieben | |
| scheint, bis dreißig Jahre später eine Freundschaftsanfrage von Irma über | |
| Facebook kommt - der Ausgangspunkt der Geschichte. | |
| ## Weitere Preise | |
| Gertraud Klemms Romanauszug „Ujjgayi“, der am Sonntag mit dem | |
| Publikumspreis in Höhe von 7.000 Euro geehrt worden ist, beginnt derweil | |
| mit schmutzigem Geschirr am Muttertag. Die 1971 in Wien geborene Autorin, | |
| die inzwischen mit Ehemann und zwei Adoptivkindern in Pfaffstätten lebt, | |
| hat am ersten Lesetag eine postemanzipatorische Wuttirade vorgetragen, in | |
| denen eine Protagonistin sich von der Selbstverständlichkeit des | |
| Kinderkriegens überfordert fühlt. Es wundert nicht, dass die seitenlangen | |
| Sätze, der radikale Ton und die Abgründigkeit des Alltäglichen die | |
| abstimmenden Zuschauer bewegt haben: „ [...] es ist schon lange nicht mehr | |
| ihr Körper, es ist jedermanns Luststätte, Labstelle, Raststätte, Brutraum, | |
| und mittendrin der glasklare Gedanke, ihn [das Kind] einfach fallen zu | |
| lassen, um endlich schlafen zu können, und ein paar Momente später die Reue | |
| mit einer Schärfe, als hätte sie es wirklich getan [...].“ | |
| Radikal sind auch die Kriterien des Preises der Automatischen | |
| Literaturkritik, der seit 2008 jährlich von einem Team um Kathrin Passig am | |
| Rande der offiziellen Bachmann-Zeremonie verliehen wird: Für „1. Zwei oder | |
| mehr Frauen, die 2. miteinander reden und zwar 3. nicht über einen Mann“ | |
| gibt es etwa Pluspunkte. Die Erwähnung der Stadt Marseilles gibt einen | |
| Minuspunkt. In diesem Jahr ging dieser „objektivste und transparenteste | |
| Literaturpreis“, der „überwiegend ernst gemeint“ sei, an den Schweizer | |
| Michael Fehr und sein Bauerntheater „Simerliberg“. | |
| Nach dreitägigem Wettlesen bei den 38. „Tagen der deutschsprachigen | |
| Literatur“ wurden noch weitere Preise vergeben. Michael Fehr erhielt noch | |
| den Kelag-Preis in Höhe von 10.000 Euro. Der in Sri Lanka geborene | |
| Senthuran Varatharajah gewann mit „Vor der Zunahme der Zeichen“ den mit | |
| 7.500 Euro dotierten 3sat-Preis. Den Ernst-Willner-Preis in Höhe von 5000 | |
| Euro bekam die in Berlin lebende Autorin Katharina Gericke für „Down, down, | |
| down“. (mit dpa) | |
| 6 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
| ## TAGS | |
| Klagenfurt | |
| Literatur | |
| Senthuran Varatharajah | |
| Roman | |
| Ingeborg-Bachmann-Preis | |
| Klagenfurt | |
| Klagenfurt | |
| Ingeborg-Bachmann-Preis | |
| Klagenfurt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Chamisso-Preisträger über Sprache: „Das Fehlen beschreibt, was ich bin“ | |
| Senthuran Varatharajah erhält für sein Debüt den Chamisso-Förderpreis. Ein | |
| Gespräch über Identität, Haftbefehl und einen Heilsbringer. | |
| Neuer Roman von Tex Rubinowitz: Schneller als der Schall | |
| Pop ist bei Rubinowitz literarischer Wille zum Stil und Ausgangspunkt für | |
| schlaue Gedanken. Sein Roman „Irma“ ist eine unaufgeregte Lovestory. | |
| Schriftstellerin Gertraud Klemm: „Immer 'aber' sagen“ | |
| In „Aberland“ zeigt die österreichische Autorin Gertraud Klemm, wie die | |
| moderne Frau in uralte Fallen tappt. | |
| Wettlesen mit Preisvergabe: Der lässige Saurier von Klagenfurt | |
| Der Ingeborg-Bachmann-Preis mag ein angestaubtes Image besitzen. Doch der | |
| Klagenfurter Lesewettbewerb ist literarisch auf der Höhe. | |
| Bachmann-Preis 2014, der 3. Tag: An Batterien lecken | |
| Die Liebe als Höllenhund, eine Liebe vor der Kulisse des D-Days, die | |
| Rückkehr einer verflossenen Liebe: Am letzten Klagenfurter Lesetag wurde es | |
| romantisch. | |
| Bachmann-Preis 2014, der 2. Tag: Esoterikkitsch und rennende Kühe | |
| Noch bis Sonntag konkurrieren Schriftsteller in Klagenfurt um den | |
| diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Jury spart nicht mit Kritik. | |
| Bachmannpreis 2014, der 1. Tag: Nerz-KZ und Babygeschrei | |
| Viel Tod und ein wenig Analsex: Wie gewohnt geht es beim Wettlesen um den | |
| Ingeborg-Bachmann-Preis drastisch zu. Eine erste Favoritin gibt es | |
| ebenfalls. |